Massaker im mexikanischen Oaxaca

Warnungen ignoriert

Nach einem Massaker an 27 Arbeitern im mexikanischen Oaxaca wird die Region militarisiert.

Oaxacas Generalstaatsanwalt Sergio Santibáñez hatte gleich mehrere Motive parat: illegaler Holzabbau, Drogenhandel, Landkonflikte. Und José Murat Casab, der Gouverneur des mexikanischen Bundesstaates, verwies auf die soziale Lage in der Region. Die Menschen »sind so arm, dass sie sich umbringen, um etwas zu erreichen«, ließ der Politiker in der vergangenen Woche wissen.

Erklärungsversuche, die den Einwohnern der indigenen Gemeinde Santiago Xochiltepec jetzt wenig nützen. Vor zwei Wochen starben 27 Männer des in der Sierra Sur von Oaxaca gelegenen Zapoteken-Dorfes bei einem Überfall. Unbekannte hatten den Lastwagen der Arbeiter in der Nähe des Ortes Aqua Fria gestoppt und das Feuer eröffnet. Lediglich drei Personen überlebten den Angriff.

Die mexikanischen Sicherheitsbehörden reagierten ungewöhnlich schnell. Kaum hatte man von dem Massaker erfahren, ließen sie die gesamte Zone von Soldaten umstellen. Die Bundesregierung in Mexiko-Stadt schickte gleich zwei Elitetruppen der Polizei in die Sierra Sur, 66 Beamte der Staatsanwaltschaft reisten aus der Landeshauptstadt Oaxaca an. Schon am darauf folgenden Tag nahmen die Polizisten 17 Bewohner des nahe gelegenen Dorfes Santo Domingo Teojomulco als Verdächtige fest.

Dass die Beschuldigten tatsächlich hinter dem Massaker stecken, wird in Teojomulco selbst heftig bestritten. Die Festnahmen seien eine »verzweifelte« Antwort des Gouverneurs Murat, »um sich aus der Verantwortung zu ziehen und sich selbst reinzuwaschen«, sagt der Gemeindesprecher Laurencio Gutiérrez.

Doch nicht nur in Teojomulco, dem einzigen mestizischen Dorf der Region, hält man wenig von den Verlautbarungen aus Oaxaca und Mexiko-Stadt. Vertreter aus 15 Gemeinden des »Forstforums Sierra Sur« erklärten ungeachtet der Tatsache, dass einige von ihnen schon seit über 60 Jahren im Stereit mit den Mestizen von Teojomuclo liegen, in einem offenen Brief an den Präsidenten Vicente Fox und den Gouverneur Murat, dass »weder in unseren Kommunen noch in der Region« Drogenhandel oder »illegale Geschäfte mit Forstprodukten« existierten. Murat müsse endlich »gegen die wirklich Verantwortlichen ermitteln«.

Ungeklärte Nutzungsverhältnisse sorgen seit 1941 regelmäßig für harte Auseinandersetzungen. In deren Folge starben mindestens 100 Menschen. Nicht zuletzt deshalb steht nun nach dem Massaker von Aqua Fria das Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen (Semarnat) im Zentrum der Kritik. Semarnat habe Genehmigungen zur Rodung in der umstrittenen Zone erteilt und damit den Hass geschürt, wirft Oaxacas Gouverneur Murat der bundesstaatlichen Behörde vor. Das Umweltministerium weist diese Kritik zurück. Man habe nur Erlaubnisse für Grundstücke verteilt, wo es keine Agrarkonflikte gebe. Auch der Gemeindesprecher Gutiérrez aus Teojomulco hält an seiner Kritik an den Ermittlern fest. Ja, es habe viele Auseinandersetzungen mit den Leuten aus Santiago Xochiltepec gegeben, aber die Behauptungen der Regierung, hinter dem Überfall stehe ein Streit zwischen den beiden Kommunen über die Nutzung eines Edelholzgebietes, sei absurd.

Wer auch immer an diesem 31. Mai geschossen hat, für Octavio García, den evangelischen Pfarrer von Teojomulco, sitzen die Verantwortlichen ohnehin woanders. Seit Murat von der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) 1998 an die Macht gekommen sei, wisse er von den Konflikten in der Sierra Sur. Die Menschenrechtsorganisation Barca habe der Bundesregierung und auch Murat regelmäßig Informationen gesandt. »Aber die Antwort war immer dieselbe: Schweigen«, berichtet García.

Ähnliche Erfahrungen machte auch Domingo Hernández Sánchez, der Präsident der Organisation Vereinigter Dörfer der Sierra Sur. Bereits Mitte März, so erinnert er sich, hätten die Verwaltungen der betroffenen Dörfer ein amtliches Schreiben an Murat geschickt, in dem sie ihre Besorgnis über einen möglichen »bewaffneten Angriff der Nachbarn aus Santo Domingo Teojomulco« zum Ausdruck brachten. Auch diese Warnung wurde von den Behörden ignoriert. »Warum haben sie keine Polizisten geschickt, als wir sie darum gebeten haben?«, fragen sich nun die Witwen aus Xochiltepec.

Pfarrer García liefert eine simple Erklärung. Die Regierung wolle »die Gewalt in den Kommunen am Leben halten«. Auch die Menschenrechtsorganisation Centro de Derechos Humanos Miguel Agustin Pro Juárez macht die Landesregierung von Oaxaca für das Massaker verantwortlich. Indem sie nicht gehandelt habe, sei die unsichere Situation der indigenen Kommunen verstärkt worden. Die Menschenrechtler werfen noch weitere Fragen auf: Woher hatten die mutmaßlichen Täter jene schweren Armeewaffen, die am Tag danach beschlagnahmt wurden? Und warum findet nun geradezu eine Militarisierung der Sierra Sur statt? Pfarrer García verweist indes darauf, dass es in der Region viele Interessen gebe. Hinter dem Massaker könnten politische Interessen stecken, »möglicherweise von Fremden, die eine Situation der sozialen Instabilität schaffen wollen«.

Tatsächlich spielt die Gegend eine immer größere Rolle, seit Präsident Fox im vergangenen Jahr seinen Plan Puebla Panamá (PPP) bekanntgegeben hat. Die südmexikanischen Bundesländer sollen demnach mit den mittelamerikanischen Staaten zu einem »Entwicklungskorridor« zusammengefasst werden. Fox träumt von einer Freihandelszone, in der billige Arbeitskräfte Investoren für Weltmarktfabriken anziehen und zahlreiche Pflanzen den Pharmamultis neue Patente ermöglichen sollen.

Oaxaca, eines der ärmsten Länder Mexikos, ist hier von besonderer Bedeutung. Im Isthmus von Tehuantepec, wo nur 300 Kilometer den atlantischen Golf von Mexiko von der pazifischen Küste trennen, soll eine Frachtverbindung geschaffen werden, um den Panama-Kanal zu entlasten. Zudem zählt die Gegend zu den wertvollsten Rohstoffregionen. Im Norden lagern rund 90 Prozent der mexikanischen Ölvorkommen.

Doch neben den angrenzenden Bundesstaaten Chiapas und Guerrero gilt Oaxaca auch als einer der wichtigsten Schauplätze des Widerstandes. Im Westen werden noch immer Guerilleros und Guerilleras des EPR, der »Revolutionären Volksarmee«, vermutet, im Isthmus von Tehuantepec organisieren sich zahlreiche indigene Gemeinden gegen den PPP, in dem sie ein Projekt sehen, das »mehr als 65 Millionen Bewohner der Region zur Armut verurteilt«. Ebenso wie in Chiapas stehen sie den Plänen aus dem Präsidentenpalast erheblich im Weg, und ebenso wie dort dürfte man ihnen letztlich nur mit militärischer Gewalt beikommen können.

Es liegt also nahe, nach dem Massaker von Aqua Fria Vergleiche anzustellen. Etwa mit jenem Angriff paramilitärischer Einheiten vom Dezember 1997, bei dem im chiapanekischen Actéal 45 Indígenas ermordet wurden. Heute zweifelt niemand mehr daran, dass staatliche Stellen in das Verbrechen involviert waren, während damals nur von Streitigkeiten verschiedener Bevölkerungsgruppen die Rede war. Tausende Soldaten wurden daraufhin ins rebellische Chiapas verlegt, um, wie es hieß, für Sicherheit in der Region zu sorgen.