Das »Europa der Regionen«

Das Kleine im Großen

Die EU soll eine Weltmacht werden und gleichzeitig ein »Europa der Regionen«. Ein Widerspruch ist das nicht.

Im Brüsseler Parc Léopold, unmittelbar neben dem Europaparlament, wird derzeit gebaut. Das einstige Institut Pasteur, ein geräumiger Altbau der Jahrhundertwende, wird saniert und soll demnächst die Vertretung des Freistaats Bayern beherbergen. Knapp 30 Millionen Euro haben die Bayern bezahlt, um im Herbst des kommenden Jahres über »die größte und repräsentativste Vertretung der Bundesländer bei der EU« zu verfügen.

Der »neue Vorposten Bayerns in der EU-Hauptstadt«, tönte jüngst der Münchner Europaminister Reinhold Bocklet, solle »die Vielfalt Bayerns und das Selbstbewusstsein sowie den Mitgestaltungswillen unseres Landes bei der Europäischen Union angemessen zum Ausdruck bringen«. Der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europaparlament, Markus Ferber, ergänzt: »Stoiber hat schon lange verstanden, wie wichtig Brüssel für die deutsche Politik ist und wie die EU funktioniert. Er und seine Bayerische Vertretung in Brüssel sind stets bestens informiert und nehmen frühzeitig und leise Einfluss.«

So leise geht es zuhause selten zu. Gern und laut wird dort gegen die »Brüsseler Bürokratie« und den »EU-Zentralismus« gewettert und immer wieder das »Europa der Regionen« betont. Zusammen mit den Christdemokraten aus den anderen Bundesländern kämpft die CSU gegen eine vermeintliche Anmaßung von Kompetenzen durch die EU. Das allgegenwärtige Stichwort ist die »Subsidiarität«, das in den Europäischen Verträgen fixierte Prinzip, wonach die EU nur in jenen Bereichen tätig werden soll, die auf der Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend geregelt werden können.

Ende der achtziger Jahre tauchte der Begriff in der europapolitischen Diskussion auf und wurde danach, insbesondere mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam, ins Europarecht aufgenommen.

Daneben entstand zu Beginn der neunziger Jahre der Ausschuss der Regionen bei der EU, in dem Vertreter unterschiedlicher regionaler und kommunaler Gebietskörperschaften vom Stadtrat Birminghams bis zur Autonomen Regierung Aragoniens sitzen, die beratend am Gesetzgebungsprozess mitwirken und über die Beachtung der Subsidiarität wachen.

Für Regionalisten in ganz Europa ist das Subsidiaritätsprinzip ein Selbstwert, wobei sich insbesondere Politiker aus den deutschen Bundesländern hervortun. »Werte wie Solidarität und Subsidiarität« gehören, meint etwa die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan (CDU), zum »Grundbestand christlicher Überzeugung«, von dessen Geist auch künftig die »europäische Kultur« geprägt sein solle.

Deutlicher heißt es auf der Homepage der CDU: »Zur Verteidigung ihrer föderalen Interessen sind daher insbesondere die deutschen Bundesländer bestrebt, das Subsidiaritätsprinzip, so wie es in der deutschen Rechtslehre verstanden wird, auch im Europarecht für die Aufgabenverteilung zwischen nationaler und supranationaler Ebene zu verankern.« Es geht also um die Machtposition der Bundesländer, wenn immer wieder die Brüsseler »Regelungswut« beklagt und eine Rückverlagerung von Kompetenzen der EU auf die nationale bzw. regionale Ebene verlangt wird.

Dabei sind es - eine auffällige Parallele zu regionalistischen Bestrebungen in anderen EU-Staaten wie Italien oder Belgien - zumeist wirtschaftlich prosperierende Regionen, die sich in dieser Diskussion hervortun. Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, aber auch das sozialdemokratisch regierte Nordrhein-Westfalen, die gemeinsam gegen den innerdeutschen Finanzausgleich zu Felde ziehen, rechnen sich die besseren Standortchancen in einem »Europa der Regionen« aus und wollen daher zwar nicht die Fördermittel, wohl aber die lästigen Vorschriften aus Brüssel minimieren.

Partikularinteressen stehen auch hinter den Vorstößen der Bundesländer im Europäischen Konvent, der derzeit in Brüssel über einen Verfassungstext für die EU berät. Der Vertreter des deutschen Bundesrates, der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU), wurde in den vergangenen Monaten nicht müde, seine Forderung nach einer rigiden Abgrenzung der Kompetenzen der EU und der Mitgliedstaaten zu wiederholen. Teufel trug seinen Wunsch nach einem »Kompetenzkatalog« so häufig vor, dass schließlich auch seine konservativen Kollegen in der EU genervt abwinkten.

Dient die Subsidiaritätsformel den prosperierenden Regionen als Schlagwort in den Auseinandersetzungen mit den Institutionen der EU, so können sich unter dem in den sechziger Jahren geprägten Begriff vom »Europa der Regionen« wegen seiner unklaren Bedeutung verschiedene regionalistische Strömungen in ganz Europa versammeln.

Nicht nur der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber schwärmt von den Regionen als »Trumpf Europas im Wettbewerb der Kulturen« und ihrer Funktion »zur Bewahrung von Identität und Geborgenheit in der zunehmend globalisierten Welt«.

Die Anhängerschaft dieser Konzeption reicht von Grün-Alternativen über linksregionalistische und konservative Europaskeptiker bis zu rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen. Die Extremform des Regionalismus, der von dem Publizisten Guy Héraud entwickelte völkische Regionalismus, betont, dass die Regionen »homogen in Bezug auf ihre Sprache und Kultur« sein sollen, und will neue Grenzen nach ethnischen Kriterien ziehen. Dass diese Konzeption von Vertriebenenverbänden aufgegriffen wird, verwundert ebensowenig wie die Tatsache, dass der Schirmherr der Sudetendeutschen, der bayerische Ministerpräsident, sie mit offenen Drohungen gegen die EU-Beitrittskandidaten Tschechien und Polen verbindet.

Der hier aufscheinende Autoritarismus zeigt, wohin der Regionalismus führen kann. In den ideologischen Entwürfen von Stoiber, aber auch von Jörg Haider und Umberto Bossi, wird das »Europa der Regionen« nationalistisch aufgeladen und als Schlagwort im »Volkstumskampf« verwendet.

Es geht um die Behauptung und Ausweitung von Einflusszonen, die sich gegen wirtschaftlich schwächere Regionen durchsetzen und gegen Migration abschotten sollen. Der Regionalismus entpuppt sich in seiner rechtspopulistischen Spielart denn auch als Standortnationalismus, der mit der wirtschaftlichen Globalisierung durchaus vereinbar ist.