Die Fernsehserie »Popular« auf RTL

Amerikanische Teenager wissen, was sie tun

Die Post-»Beverly Hills«-Generation ist abgebrüht, chic und unwiderstehlich. »Popular« heißt die neue große Teenagerserie auf RTL.

Dass John F. Kennedy Amerika modernisiert hat, ist eine beliebte Floskel. Wir wollen ihr mal glauben. Zumindest an der Kennedy High in Santa Monica geht es extrem fortschrittlich zu. Hier sind die Lehrerinnen schwarz und unterstützen streikende Reinigungskräfte; die Schülerinnen reden ihre Eltern mit Vornamen an, und die Schulapothekerin lebt offen in einer lesbischen Beziehung.

Nein, wir befinden uns weder in einer ach so kritischen Independent-Filmreihe auf dem Sundance-Festival noch in einer amerikanischen Lindenstraße unter der Regie von Michael Moore. Es ist Samstagnachmittag, es läuft RTL, und es flimmert die aktuelle Soap »Popular« über den Bildschirm. Nach wenigen Folgen bereits hat sie die Teenager-Kult-Serie »Beverly Hills 90 210« von ihrem angestammten Sendeplatz verdrängen können. Kein Wunder, denn während es dort von gebildeten, reichen, halbwegs attraktiven und durch und durch moralisch qualifizierten Langweilern nur so wimmelt, geht es in »Popular« zur Sache.

Schon mal rein optisch. So sind auf der Kennedy High nicht alle gleich angezogen und tragen auch nicht dieselben Haarschnitte, wie es in »90 210« oder »Melrose Place« der Fall ist. In »90 210« wird der reiche Mittelstand protegiert, in »Popular« werden die Extreme nobilitiert. Die integrativ-einschläfernden Neunziger sind schließlich vorbei.

Da wir uns auf einer High School befinden, geht es eigentlich um nichts und damit um die großen Teenager-Schicksale der Gegenwart. Im Mittelpunkt steht der dramatische Schwesternkonflikt: Prinzessin versus freche Göre. Jede Soap ist schließlich ein Märchen. Doch der »Popular«-Dark Angel Sam McPherson (Carly Pope) ist trotzdem hübscher als seine gefällige Gegenspielerin. Außerdem besticht die dunkelhaarige Sam durch die Fähigkeit, ihre Augenbrauen theatralisch hochzuziehen, und das sieht einfach unwiderstehlich aus. Die Prinzessin Brooke McQueen (Leslie Bibb) ist blond, größer und kann keine ordentliche Grimasse ziehen, was vielleicht auch an den Möglichkeiten der Schauspielerin liegen mag.

In der Schule können sich die beiden Amazonen noch irgendwie aus dem Weg gehen, problematisch ist jedoch, dass die Stiefschwestern nicht nur unter demselben Dach wohnen, sondern sich auch noch das Bad teilen müssen. Nachdem der erste Streit um die adäquate Feuchtigkeitscreme zwar überraschend schnell beigelegt werden konnte, tauchen abrupt immer neue und, sagen wir es mal so: durchaus ernstere Probleme des amerikanischen Teenager-Daseins auf. Tatsächlich hat keine Serie bislang das strenge Cliquenwesen der US-Teenies derart drastisch abgebildet und so schön gehässig aufs Korn genommen.

Die Stars in »Popular« sind aber nicht die Angepassten, sondern die Individualisten, die der Langeweile der Suburbia trotzen und gerade dadurch dem Ideal des Individualismus zu seinem Recht verhelfen. Oh Lord, Amerika lebt. Und es gibt natürlich weiterhin Schönheitskonkurrenzen und Konventionen. So gewinnt bei der Wahl zur Homecoming Queen weder die schwarze Kandidatin, die in Sachen Intriganz keine Minderheitenförderung mehr benötigt, noch das obligatorische hässliche, aber nette Entlein Carmen (Sara Rue), sondern - so viel Realismus muss sein - Miss McQueen.

Nomen ist Omen in dieser Serie. Aber vor allem: Karikatur ist Karikatur. Die klassische Außenseiterrolle spielt zum einen Sugar (Ron Lester), ein typisches voluminöses Fast-Food-Opfer, zum anderen sind es die Mitglieder eines Schachclubs, die der Patchwork-Fraktion der Freaks zuzurechnenen sind. Es sind Streber, die durch Penetranz genauso wie durch Intelligenz ihre MitschülerInnen terrorisieren. Ihr Gegenpart heißt Mary Cherry und ist so eine Art blondierte Feldbusch. Dass man intelligent sein kann, ohne zu nerven, beweist das emanzipierte Latina-Girlie Lily Esposito (Tamara Mello).

In »Popular« wandelt eine desillusionierte Post-Generation X von Klassenraum zu Klassenraum. Das alte Amerika ist tot, nicht mal Football ist noch wirklich angesagt. Aber immer nur zu kiffen und Kurt Cobain zu hören bringt es auch nicht, findet man an der Kennedy High. In diesem Milieu geht's dann vor allem um das Recht auf den eigenen Lebensstil. Aus der Frage, ob eine lesbische Mutter dem schulischen Ansehen des good guy Harrison (Christopher Gorham) schadet, wird deshalb auch keine moralintriefende Depressionsgeschichte gesponnen. Die Angelegenheit wird nicht mal ausgiebig erörtert, weil das Recht auf das intime Glück als selbstverständlich gilt. Die Lesben werden folglich auch nicht als promiskuitive Exotinnen dargestellt, sondern als relativ spießige Nachbarinnen von nebenan.

Eigentlich ist in »Popular« kein amerikanisches Idol und keine Institution vor bitterer Satire sicher. Das Dating-System erntet Hohn und Spott; die Britney Spears-Kopie Lolly Pop mit ihrer »True Love Waits«-Legende sowie das All-American Girl Brooke Shields werden von ihrem Girlie-Olymp geholt. Mal geht es um Hysterie und Prüderie der Schulbehörden, mal um die sexualisiert-eintönige Popkultur, die einschüchternden Codes der jeweiligen Peer Groups werden dechiffriert und die verrückt-unrealistischen Ansprüche an die »amerikanische Frau«, die zugleich modern und konservativ sein soll, zerpflückt. Kill your idols ist das Motto von »Popular«. Dass solches Aufrührertum sich durchaus mit elegantem Styling, weiblichem Schuhfetischismus und Trendklamotten überschneiden kann, kann - Hallelujah, praise the lord! - ebenso bewiesen werden.

Nach »South Park«, den Schulmassakern und dem religiösen Rollback Ende der Neunziger musste die amerikanische Soap neu erfunden werden, keine Frage. Dass es jedoch mit solch durchdringender Häme geschehen konnte, überrascht selbst diejenigen, die der künstlerischen Flexibilität der Kulturindustrie vertrauen. Was die amerikanische Kultur nach wie vor auszeichnet, ist die Fähigkeit, ihre eigenen Widersprüche offensiv zelebrieren und zum Gelächter freigeben zu können.

Nichts ist heilig, weder die Form noch der Inhalt. Und eins ist sowohl im realen Amerika als auch im »Popular«-Mikrokosmos erst mal sicher: Auf das echte große Happy End wird man lange warten müssen.

»Popular«, samstags auf RTL um 11.05 und 14.50 Uhr