Volles Programm

Im März beginnt der Prozess gegen die mutmaßlichen Mitglieder der Gruppe 17. November. Doch der griechische Staat scheint sich damit nicht zu begnügen.

Ein dichtes Programm steht Griechenland in den kommenden Monaten bevor. Anfang des Jahres übernahm das Land für sechs Monate die Präsidentschaft der Europäischen Union. Am 16. April sollen in Athen unterhalb der Akropolis die Verträge und Protokolle des Beitritts der neuen EU-Mitgliedsstaaten zum Mai 2004 unterzeichnet werden. Ein zweiter Gipfel zum Abschluss der griechischen Ratspräsidentschaft findet am 20. Juni in der Nähe von Thessaloniki statt. Neben der Erweiterung der EU hat Ministerpräsident Kostas Simitis die Steuerung der Zuwanderung zum zentralen Ziel der griechischen Präsidentschaft erklärt. Doch vor den EU-Gipfeltreffen steht noch ein anderes Event auf dem Programm: der »Prozess des Jahrhunderts«.

Anfang März soll der Prozess gegen die mutmaßlichen Mitglieder der Stadtguerillagruppe 17. November beginnen. Der Staat lässt sich das Spektakel einiges kosten. So sollen allein die Ausgaben für den Umbau der Frauenabteilung des Athener Knastes Koridalos, wo der Prozess stattfinden soll, mehr als zwei Millionen Euro betragen.

Dort wurden auch die Sonderabteilungen eingerichtet, in denen sich die Gefangenen mit drei Stunden Hofgang täglich begnügen müssen und den Rest des Tages alleine in ihren Zellen in Isolationshaft verbringen. Den härtesten Haftbedingungen unterworfen ist Ageliki Sotiropoulou, die einzige Frau, die wegen Mitgliedschaft in der Gruppe 17. November angeklagt ist. Ihr ist keinerlei Kontakt zu den anderen Gefangenen der Gruppe erlaubt.

Sotiropoulou wurde aufgrund eines Fingerabdrucks in U-Haft genommen, bestreitet aber die Mitgliedschaft in der Organisation. Bei ihr scheint man eine Art Sippenhaft anzuwenden, denn ihr Lebensgefährte Dimitris Koufodinas, den sie Mitte Dezember im Knast heiratete, gilt als eine der zentralen Figuren der Gruppe.

Am Tag nach ihrer Eheschließung begann Sotiropoulou einen Hungerstreik gegen ihre Haftbedingungen. Kurz darauf solidarisierten sich sechs Gefangene der Gruppe 17. November mit ihr und nahmen ebenfalls keine Nahrung mehr zu sich. Immerhin gestattete ihr die Gefängnisaufsicht daraufhin, einmal pro Woche für eine halbe Stunde ihren Sohn ohne Anwesenheit der Wärter zu empfangen.

Diskutiert wird derzeit darüber, ob die Gerichtsverhandlung im Fernsehen übertragen werden soll. Der Justizminister ist dagegen, weil er meint, daraus könne eine »Seifenoper« werden. Der Athener Anwaltsverein hingegen befürwortet eine Fernsehübertragung, da so eine Transparenz des Prozessverlaufs hergestellt werden könne. Zudem hoffen die Anwälte, auf diese Weise möglichen Verstößen gegen Strafprozessregeln vorbeugen zu können, die insbesondere in politischen Prozessen häufig vorkommen.

Neben Alekos Giotopoulos, der als Theoretiker der Gruppe gilt und nach der Anklageschrift die Attentate geplant und die Bekennerschreiben verfasst haben soll, ist Koufodinas der zweite Hauptangeklagte. Er soll die Aktionen der Gruppe geleitet haben. Koufodinas stellte sich selbst den Behörden und übernahm die Verantwortung für die Aktionen der Guerilla. Seitdem fungiert er als eine Art Sprecher der Gruppe 17. November.

Im Dezember erschien ein Interview mit ihm in der Tageszeitung Eleftherotypia, in dem er mit einer klassischen antiimperialistischen Argumentation die Ziele und Methoden der Guerilla verteidigte: »Wenn die Linke die revolutionäre Gewalt nicht als eine politische und soziale Erscheinung betrachtet und auf banalen Etiketten beharrt, kann sie sich auf zukünftige angebliche Geheimagenten gefasst machen.« Er kritisierte damit einen Teil der griechischen Linken, der in den militanten Vertretern des typischen linken Patriotismus und Antiamerikanismus nur Kriminelle und Agenten sehen will.

Kurz darauf meldete sich Koufodinas erneut zu Wort und erklärte, dass sechs der insgesamt 84 Texte, die in einem kürzlich erschienenen Band mit sämtlichen Materialien der Gruppe 17. November enthalten sind, Fälschungen der Geheimdienste seien. Alle entstammten der kurzen Regierungszeit der rechtskonservativen Nea Dimokratia in den Jahren 1990 bis 1992. Eleftherotypia zitierte darauf eine nicht näher benannte Quelle aus der Polizeiführung mit den Worten: »Ich stimme der Unterscheidung des Terroristen völlig zu.«

Ähnlich wird in einem Schreiben argumentiert, das ein anderer Gefangener, Vassilis Tzortzatos, aus dem Gefängnis schickte. Er wirft der Polizei vor, bei den Verhören gefoltert zu haben, und beschreibt die Weltsicht der Gruppe. Die wahren Terroristen seien die Imperialisten, die griechische Gesellschaft hingegen ist bei ihm kein Gegenstand der Kritik.

Das gesamte linke Spektrum verfolgt die Geschichte verwirrt. Außer der ausdrücklichen Unterstützung für den autonomen Gewerkschafter Giannis Serifis (Jungle World, 40/02), mit dessen Verhaftung im vergangenen Herbst die Repression gegen die radikale Linke deutlich verschärft wurde, weiß man nicht, mit wem man sich solidarisieren soll. Der Protest gegen die Sonderhaftbedingungen gilt als selbstverständlich. Darüber hinaus aber gehen die Auffassungen in Sachen 17. November weit auseinander.

So wollen manche Linksradikale, die den bewaffneten Kampf keineswegs ablehnen, nichts mit der Organisation zu tun haben. Andererseits entdecken manche Anarchisten plötzlich Sympathien für die leninistisch-maoistischen Gefangenen. Sie vergessen dabei nicht nur, dass deren autoritäre Vorstellungen mit den eigenen kaum etwas gemein haben, sondern auch, dass diese Gruppe nie Kontakte zu sozialen Bewegungen suchte.

Gleichzeitig verbreiten die Medien ständig neue Gerüchte über weitere bevorstehende Verhaftungen. So ist von 15 Mitgliedern anderer, zum Teil nicht mehr aktiver Stadtguerillagruppen die Rede, die als nächste ins Visier der Antiterrorfahndung geraten sollen. Da sich an diesen Gruppen (Jungle World, 52/01) weitaus mehr Menschen beteiligten, könnte ein großer Teil der linksradikalen Szene kriminalisiert werden.

Ein neuer Antiterrorgesetzentwurf, der die griechische Gesetzgebung mit im vergangenen Jahr beschlossenen Richtlinien der EU-Innenministerkonferenz in Einklang bringen soll, ist schon fertig. Weitere Maßnahmen vor dem EU-Gipfel von Thessaloniki sind zu erwarten.