Gabriels Traum

Die niedersächsischen Wähler entscheiden am 2. Februar auch über das Schicksal der rot-grünen Bundesregierung. von klaus thörner

Niemand bezweifelt, dass Roland Koch die hessische Landtagswahl gewinnen wird. Inzwischen rechnet sich aber auch die CDU in Niedersachsen Chancen auf einen Sieg aus. Sollte die Partei beide Wahlen gewinnen, erhielte sie eine stabile Mehrheit im Bundesrat. Eine Mitarbeit an den »Reformprojekten« der Bundesregierung dürfte dann kein Thema mehr sein, das Ende der rot-grünen Bundesregierung würde immer wahrscheinlicher.

Auf Niedersachsen kommt es also an. Den Wahlkampf dort eröffneten sowohl die SPD als auch die CDU mit einer Mischung aus Rockkonzert und Talkshow. Während der Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) vor 7 000 Zuhörern in Hannover den Kabarettisten Ingo Appelt und die abgehalfterten deutschen Rockmusiker Peter Maffay und Klaus Meine von der Band Scorpions (»Winds of Change«) um sich scharte, präsentierte sich der Kandidat der CDU, Christian Wulff, in der Braunschweiger Volkswagenhalle mit Angela Merkel und Edmund Stoiber in einer betont lockeren Gesprächsrunde mit dem Fernsehmoderator Jörg Wontorra. Für die Musik sorgte die Band Hot Chocolate (»You Sexy Thing«).

Gabriel müht sich seit Wochen verzweifelt, sein Amt zu retten. Angesichts des schlechten Auftritts der Bundesregierung besteht seine Strategie vor allem darin, ständig andere Meinungen zu vertreten als der Bundeskanzler. Doch zuerst scheiterte er mit seinem Vorschlag einer Erhöhung der Erbschafts- und Schenkungssteuer, dann erteilte Schröder Mitte Dezember auch seiner Forderung nach einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer eine Absage. Anfang Januar hielt es Gabriel für eine gute Idee, die nächste Stufe der Steuerreform vorzuziehen. Schröder widersprach. Die letzte Meinungsverschiedenheit gab es in der Frage einer Erhöhung der so genannten Dienstwagensteuer. Schröder ist dafür, Gabriel dagegen.

Eigentlich hat Gabriel noch viel vor. Sein Amt erlangte er im Jahr 1999 zwar nur, weil sein Vorgänger Gerhard Glogowski sich bei einer von der Firma TUI bezahlten Urlaubsreise nach Ägypten unvorsichtigerweise vor dem Logo des Reiseveranstalters fotografieren ließ und schließlich zurücktreten musste. Bald schon aber galt Gabriel als neuer Hoffnungsträger der SPD und wurde sogar als möglicher Nachfolger Schröders gehandelt.

Dabei ist die Bilanz seiner Amtszeit nicht unbedingt überzeugend. So stieg die Zahl der Insolvenzanträge in Niedersachsen im ersten Halbjahr 2002 um 30 Prozent. In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode hat die Regierung in Hannover fast acht Milliarden Euro neue Schulden angehäuft.

Der niedersächsische Landeshaushalt wird u.a. durch die Kosten für die Polizeieinsätze bei den Castortransporten und die Folgekosten der Expo 2000 belastet. Allein die Expo hinterlässt Schulden von einer Milliarde Euro, die Niedersachsen und der Bund gemeinsam übernehmen müssen. Die Arbeitslosenquote in Niedersachsen betrug im Dezember des vergangenen Jahres 9,7 Prozent, in den westlichen Bundesländern ist sie nur in Bremen höher.

Die Arbeit ist daher auch eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf. »Wir schaffen Arbeit für die Küste«, verspricht die SPD. Die CDU fordert: »Arbeit muss sich wieder lohnen.« Die FDP nennt ihre Website www.an-die-Arbeit.de. Die PDS meint: »Von Arbeit muss man leben können.« Der Preis für das dümmste Wahlplakat aber gebührt den Grünen. Über dem Bild einer entblößten schwangeren Frau heißt es: »Frauen und Männer sollten überall so erfolgreich zusammenarbeiten.« Noch die schönste Freizeitbeschäftigung wird so zu deutscher Wertarbeit.

Die CDU verknüpft das Thema Arbeit geschickt mit den Themen Bildung und innere Sicherheit. So fordert Wulff zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die Einstellung neuer Lehrer und 1 000 neuer Polizisten. Die Partei will eine Gendatei aufbauen, in der selbst Kleinkriminelle registriert werden sollen. Ihre Vorschläge bringt die CDU den Wählern auf einem Wahlplakat mit der typisch deutschen Gemütlichkeit nahe: »Sicher leben, geborgen fühlen – CDU.«

Was die Partei unter Geborgenheit versteht, wird auf einem anderen Plakat deutlich. Über einem Paar Handschellen steht die Aufforderung: »Härter durchgreifen.« Doch die Kritik an der SPD ist ungerecht. Auch die Sozialdemokraten versprechen: »Wir schaffen Sicherheit für die Menschen.«

Das Sicherheitskonzept der SPD stellte Gabriel im vergangenen Jahr in Wir, der Zeitung der IG Metall, vor. Angesichts steigender Zahlen bei Autodiebstählen und -aufbrüchen habe Niedersachsen im Sommer 2002 beim Landeskriminalamt eine Task-Force Osteuropäische Bandenkriminalität eingerichtet. Auf die Initiative Niedersachsens seien bereits länderübergreifende Abstimmungen erfolgt. Und schon seit vier Jahren gebe es bei den niedersächsischen Bezirksregierungen die Zentralen Ermittlungsgruppen Bandenkriminalität (ZEG Banden).

In der Bildungspolitik unterbreitet der gelernte Gymnasiallehrer Gabriel wegen des schlechten Abschneidens Niedersachsens in der Pisa-Studie ständig neue »Reformvorschläge«. Auf die Unterrichtsgarantie, die die hessische Regierung unter Roland Koch propagiert, reagierte Gabriel mit der Einführung der so genannten »verlässlichen Grundschule«.

In diesem Modell wird bis zur vierten Jahrgangsstufe der Aufenthalt der Kinder in der Schule bis zum Mittag garantiert. Wenn Unterricht ausfällt, übernehmen unterbezahlte Aushilfskräfte statt ausgebildeter Lehrer die Betreuung. Das ist die Realität der Parole »Kraft, Wärme, Zukunft«, die auf einem Wahlplakat der SPD über dem Bild Gabriels zu lesen ist.

Der 43jährige Jurist Christian Wulff will Gabriels Wahlkampf der Kraft-Wärme-Kopplung übertreffen. Auf seiner Website versucht er mit dem Hinweis Eindruck zu schinden, dass ihn das World Economic Forum (WEF) in Davos 1995 zu einem der »100 Global Leader for Tomorrow« gewählt habe.

Den Niedersachsen ist der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende jedoch in einer anderen Rolle vertraut, als Verlierer. Zum dritten Mal versucht er bereits, die Herrschaft der SPD in Niedersachsen zu beenden. Wulff ist klar, dass eine weitere Niederlage das Ende seiner politischen Karriere bedeuten würde. Er gilt in den eigenen Reihen als ehrgeizig und talentiert, und als einer, der sich im entscheidenden Moment nicht durchsetzt.

Wulffs Ruf als »junger Wilder« ist längst dahin. Er erwarb ihn sich in der Endphase der Regierung Helmut Kohls durch sorgfältig dosierte Kritik am Parteivorsitzenden, ähnlich der Gabriels an Schröder. Die rückwärts gewandte Programmatik Wulffs wird heute schon an den Namen der beiden prominentesten Mitglieder seines Schattenkabinetts deutlich. Ursula von der Leyen, die Tochter des langjährigen CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, eine achtfache Mutter, ist für das Ressort Soziales vorgesehen; Michael Buback, der Göttinger Professor für Chemie und Sohn des 1977 von der RAF erschossenen Generalbundesanwaltes, soll die Wissenschaft übernehmen.

Im direkten Vergleich mit Gabriel schneidet Wulff in den Umfragen schlecht ab. Und dennoch fallen die Werte für die SPD. Zurzeit werden den Sozialdemokraten 36 Prozent der Stimmen vorhergesagt, der CDU 48. So bleibt Gabriel nur noch eine Trumpfkarte: die Ablehnung eines Irakkrieges. Dabei unterstellt er, dass die CDU für eine deutsche Unterstützung der USA in einem Krieg eintrete. Das hat wenig mit der Realität zu tun, denn die CDU ist selbst gespalten in dieser Frage. Aber es ist bezeichnend, dass es das einzige Thema ist, bei dem Gabriel und Schröder einer Meinung sind.