Bored by Bush

Wann schlägt die Kritik an den USA ins antiamerikanische Ressentiment um? Ein Kongressbericht von franz marnet

Einsam und konkurrenzlos führt US-Präsident George W. Bush die Hitliste verhasster Persönlichkeiten bei der Linken an. So intonierte Fehlfarben-Sänger Peter Hein kürzlich in der Berliner Volksbühne als Zugabe a cappella den alten Clash-Gassenhauer »I’m so bored with the USA«. Wenige Tage später entfesselte am gleichen Ort die Video-Beamer-Projektion der Städtenamen Havanna, Berlin und Tripolis am Konzertabend von MIA & guests wahre Begeisterungsstürme. Und der in Berlin wieder eröffnete Club »Maria« wirbt auf seinem aktuellen Flyer mit der Headline »Die Demokratie ist zu wichtig, um sie den Amerikanern zu überlassen«.

Um einen etwas differenzierteren Blick bemühte sich jetzt eine Tagung des Berlin-Brandenburgischen Instituts für Deutsch-Französische Zusammenarbeit in Europa (Bbi) im Schloss Genshagen bei Berlin. Das Institut hatte schon lange zuvor zum Thema »Amerika und Europa – Das Selbstverständnis der Europäer am Beispiel von Frankreichs und Deutschlands Wahrnehmung der USA« geladen und war von der plötzlichen tagespolitischen Aktualität völlig überrascht worden.

Der Leitgedanke des interdisziplinären Treffens basiert auf dem Prinzip der Stereotypenforschung, demzufolge Fremdbilder immer auch Selbstbilder sind. Vorstellungen über die USA reflektieren also zugleich das Selbstverständnis der Europäer. Das hat sich bekanntlich immer mal wieder gewandelt. »Amerika ist ein Fehler«, schrieb schon Sigmund Freund zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Amerika, die traditionslose Moderne. Die neue Heimstatt des europäischen Proletariats. Mit dem Gründungsereignis des modernen Europa, dem Zweiten Weltkrieg, wurde Amerika zur Projektionsfläche der eigenen Ängste vor dem drohenden Kulturverlust.

Vielleicht sehnen sich umgekehrt alle amerikanischen Intellektuellen aus ganz ähnlichen Gründen in die alte Welt zurück, sehen hier ihre kulturellen Wurzeln?

Ihre in Genshagen anwesenden Vertreter jedenfalls plädierten annähernd ausnahmslos für eine strikte Trennung zwischen einer legitimen Kritik an den USA und ihrer derzeitigen Politik und alten europäischen Ressentiments gegen Amerika. Der in Leipzig und Tel Aviv lehrende Dan Diner hatte zu bedenken gegeben, dass sich das Ressentiment einer Festlegung entzieht. Es kann immer mit der Mannigfaltigkeit der Realität entschuldigt werden. Sich die Realität mit Ressentiments zu strukturieren, sei eine Umschreibung für das Paradoxon, mit der Wahrheit zu lügen.

Nach Ansicht des amerikanischen Historikers George Iggers sind die USA heute nur in beschränktem Maße eine Demokratie. Der Begriff Plutokratie wäre zutreffender, da die Wahl von George W. Bush wegen der manipulierten Auszählung in Florida einer Art Staatsstreich gleiche. Zugleich gewinne der religiöse Fundamentalismus in den USA an Bedeutung, der jedoch auf einer ganz anderen Grundlagen als der islamische, der sich nach vormodernen Zeiten sehnt, beruhe. Das protestantische Lager in den Vereinigten Staaten spaltet sich seiner Ansicht nach in weltoffene, liberale Christen und in eine fundamentalistische Bewegung in dem südlichen bible belt. Mit Bush sei der protestantische Fundamentalismus als politische Macht etabliert. Diese Entwicklung drohe die Trennung von Kirche und Staat rückgängig zu machen – und damit das erste Zusatzkapitel der amerikanischen Verfassung von 1791 auszuhöhlen.

Wenig zimperlich äußern sich die Franzosen zu ihrer tief verwurzelten Amerikakritik. Freizügig räumen einige ein, dass Frankreich gerne das Gegenteil von dem behauptet, was die USA wollen. Antiamerikanische Ressentiments seien an der Seine traditionell weit verbreitet. Dabei gehe es in erster Linie um die Ablehnung der amerikanischen Massen- und Fast-Food-Kultur. Amerika sei das Symbol für schlechtes Essen, daher auch die Popularität des Globalisierungsaktivisten und Anti-McDonald’s-Kämpfers José Bové.

Pierre Rigoulot vom Institut d’Histoire Sociale in Paris bezeichnete die Vereinigten Staaten sogar als ein Symbol für unsoziale Politik und »fröhliche Überausbeutung«. Antiamerikanische Positionen seien zum einen in links-intellektuellen Kreisen zu finden, zum anderen bei der extremen Rechten, die gegen das »kulturelle Tschernobyl« polemisiere. Zur aktuellen Irak-Krise befand Rigoulot lapidar: »Bush will weiter pinkeln als sein Vater.« Sein Kollege Pierre Guerlain von der Université du Maine/FNSP verteidigte ebenfalls die entschiedene Gegnerschaft zur US-amerikanischen Politik. »Amerika ist eine Übermacht. Jede Übermacht schafft Ablehnung. Ist das vielleicht Antiamerikanismus?«

Dem ehemaligen französischen Innenminister Jean-Pierre Chevénement lieferte die Tagung ebenfalls Gelegenheit, seine Weltsicht darzulegen. Ein von den USA verursachter Kontinentaldrift habe es schon lange vor dem 11. September 2001 gegeben. Die Anschläge hätten diese Tendenz nur verstärkt. Der Weltfrieden könne unmöglich von einer einzigen Hegemonialmacht durchgesetzt werden. Und es sei eine irrige Vorstellung, Demokratie mit den Mittel des Militärs zu exportieren. In Anlehnung an den häufig bemühten Vergleich zwischen Rom und Athen stelle sich sowieso die Frage: »Wo sind heute die Barbaren?«

Weniger blumig äußerte sich der deutsche Politologe Claus Leggewie. »Aus empirischer Sicht ist unser Problem momentan nicht der Anti-, sondern der Proamerikanismus.« Es gebe zwar eine Flut neuer Verschwörungstheorien, wie sie etwa der ehemalige taz-Redakteur Mathias Bröckers nach dem Motto »die USA – wahlweise: die Juden – sind selbst schuld« in seinem Buch zum 11. September kolportiert. Es gebe jedoch keinen kollektiven Sprecher, sondern nur eine Collage aus Stereotypen. Unter Berufung auf den World Value Survey hielt er fest: »Das kollektive Bild der USA unterscheidet sich sehr deutlich von dem, was publizistische Quellen über die USA verbreiten.«

Die wachsende Distanz Kerneuropas und der arabischen Länder zu den USA sei schon lange vor den Anschlägen festzustellen. Diese Zerrüttung basiere allein auf einem politischen Interessenskonflikt, wie etwa bei dem Streit um den internationalen Strafgerichtshof, und sei nicht genuine Wiederkehr eines tief sitzenden Antiamerikanismus. Von einem generellen Kulturbruch zwischen Europa und Amerika könne nicht die Rede sein, nach wie vor bestehe eine gegenseitige Wertschätzung. Selbst im Hinblick auf das Verhältnis zwischen der arabischen Welt und den USA müsse Samuel Huntingtons These vom »Clash of Civilizations« energisch widersprochen werden: »Die Trennung findet zwischen Bevölkerung und Administration statt.« Und nicht zwischen den Kulturen.