Obdachlosglück

Trotz Eigenheimzulage und Leerstand: In den Ballungszentren ist die Wohnungsnot dramatisch. von winfried rust

Gegen einen sozialen Numerus Clausus über die Mietpreise«, sprach sich der Asta der Universität Freiburg aus, als zu Beginn des Wintersemesters wie vor zehn Jahren Notlager für Erstsemester eingerichtet werden mussten. Bei Wohnungsbesichtigungen kann es passieren, dass sich über 50 BewerberInnen die Klinke in die Hand geben. Peter Jannsen, der Anwalt des Badischen Mieterbundes, hat »immer mehr mit Kündigungsfällen von Leuten zu tun, die mit dem Rücken zur Wand stehen, weil sie keine neue Wohnung finden«. Vor allem eine billige Wohnung zu finden, ist teilweise unmöglich geworden.

Zwar gibt es in Deutschland leer stehende Wohnungen. Aber sie befinden sich in den Regionen, die keine gute Lebensperspektive bieten, und aus denen viele Menschen abwandern. In den Ballungsräumen steigen die Mieten und die Wohnungsnot. Sieben Prozent mehr Miete pro Jahr sind hier keine Seltenheit, den Anstieg in Frankfurt/M. und München beziffern Maklerverbände nach Angaben der Mieterzeitung auf zehn bis 12,6 Prozent. So ist von einer neuen Regionalisierung auf dem Wohnungsmarkt zu berichten: teils wachsender Leerstand, teils zunehmender Mangel. »Schon die durchschnittliche vierköpfige Familie mit Alleinernährer hat sehr schlechte Aussichten, eine bezahlbare Wohnung zu finden«, sagt Jannsen.

Mitverantwortlich ist der Ausstieg vieler Kommunen aus dem Sozialen Wohnungsbau, der staatlichen Förderung von billigem Wohnraum. Das hängt wiederum mit den ausbleibenden Fördermitteln von Land und Bund zusammen. Während die Subventionen für den Eigenheimbau in der Bundesrepublik seit 1970 kontinuierlich gestiegen sind, von 16 auf 57 Milliarden Euro, wird beim sozialen Wohnungsbau gespart. Im Haushaltsentwurf des Bundes für 2003 rangiert er inzwischen bei 250 Millionen Euro, was einen Minusrekord bedeutet. In den vergangenen zehn Jahren sank die Gesamtförderung des Sozialen Wohnungsbaus von Bund, Ländern und Kommunen von über zehn auf unter fünf Milliarden Euro pro Jahr.

Hinzu kommt, dass die Fristen der Sozialbindung für viele Wohnungen, die ehemals zum Sozialen Wohnungsbau gehörten, in diesen Jahren auslaufen. Die Wohnungen können bald auf dem freien Markt angeboten werden, und entsprechend ist mit zum Teil enormen Mietsteigerungen zu rechnen. Zusätzlich verkaufen viele Kommunen die städtischen Wohnungen, um ihre Haushaltslöcher zu stopfen. Städte wie Jena, Gera, Bonn oder Lübeck boten gleich ganze Wohnungsbaugesellschaften mit jeweils Tausenden von Wohnungen an. Auch das Land Nordrhein-Westfalen verkauft seine Anteile an der Landesentwicklungsgesellschaft an die Westdeutsche Landesbank, hier geht es um 550 000 LEG-Wohnungen. Und Baden-Württemberg macht vor, wie man an den falschen Stellen spart: Das Wohnraumförderungsprogramm im Jahr 2003 umfasst keine zehn Prozent der Summe von 1993 mehr.

Bei der übergeordneten Frage, wie Flächen erschlossen werden sollen, setzen die Kommunen auf eine Bedarfsanalyse, die über den Markt vermittelt ist. Der festgestellte Bedarf an Baufläche bei der Erstellung eines Flächennutzungsplanes entspricht in der Regel den Bauanträgen. Weil die von Obdachlosen kaum gestellt werden, scheint der Bedarf nach Wohnraum der gehobenen Klasse vorrangig bedient zu werden. In den Bauplänen spiegelt sich die Logik des Standortwettbewerbs zwischen den Kommunen um die »beste« Einwohnerschaft wider. Junge Familien, die ein Haus bauen oder eine Wohnung kaufen wollen, gelten als Garanten für soziale Stabilität und Entwicklung. Die aus städtebaulicher Sicht äußerst kritikwürdige Tendenz zur hemmungslosen Ausweisung von Neubauflächen setzt sich fort. Vorhandene Ressourcen fließen in exklusives Wohneigentum, Stadt und Landschaft werden zersiedelt, Flächen versiegelt, der Individualverkehr wird gefördert. Sozial und infrastrukturell verödete Stadtteile entstehen. Über den ressourcenschonenden, hochgeschossigen Sozialen Wohnungsbau ließen sich zumindest soziale und ökologische Belange besser in Einklang bringen.

Der Ausverkauf staatlich subventionierter Wohnungen bei gleichzeitiger Förderung des Eigenheimbaus bewirkt eine Umverteilung von unten nach oben. Verheiratete, die über 150 000 Euro im Jahr verdienen, erhalten zusätzlich staatliche Subventionen in Form der Eigenheimzulage für ihr Häusle. Wenn sich die Politik der Bundesregierung nicht grundlegend ändert, wird es in Zukunft für die ärmeren Schichten noch weniger Wohnungen geben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gab bekannt, dass in Deutschland 550 000 Menschen obdachlos sind. Damit steigt die Zahl erstmals seit zehn Jahren wieder an. Aber von Manfred Stolpe, dem neuen Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, ist in dieser Hinsicht keine Trendwende zu erwarten. Er beklagt pressewirksam den Zustand der Straßen im Osten und treibt den Bau des Metrorapid voran. Aber in der Koalitionsvereinbarung von Rot-Grün steht kein Wort zum Sozialen Wohnungsbau.

Demgegenüber fordert der Deutsche Mieterbund (DMB) eine Regionalisierung der Wohnungsbauförderung, um den Mangel in den Ballungsgebieten gezielt zu lindern. Im Gegenzug akzeptiert der Mieterbund allerdings generell die staatlichen Kürzungen beim Wohnungsbau durch die Reform der Wohnungsbauförderung und die Abkehr vom Sozialen Wohnungsbau. Die DMB-Präsidentin Anke Fuchs – sie ist auch Mitglied der SPD – schlägt vor, den Erlös der Reformen bei der Wohnungsbauförderung zu teilen: Ein Drittel »für Hans Eichel«, ein Drittel soll zur Fortschreibung des Wohngeldes und ein Drittel für die Problemgebiete verwendet werden.

Der Druck auf die ärmeren Schichten dieser Gesellschaft wächst, da sie sich gleichzeitig gegen Sozialkürzungen, Unzumutbarkeiten seitens des Arbeitsamtes und gegen rechtspopulistische Attacken zur Wehr setzen müssen. Immer mehr Menschen bewegen sich in dem Teufelskreis von Geldknappheit, steigenden Mieten und Wohnungsnot. Vor allem »soziale Randgruppen« und nicht-deutsche Wohnungssuchende könnten Geschichten über den Mythos erzählen, dass auf dem Markt alle gleich wären.

Parolen wie »Gegen Spekulation« oder »Wohnraum darf keine Ware sein« brauchen in diesem Zusammenhang nicht wieder belebt zu werden. Sie treffen inmitten einer Warengesellschaft nicht den Kern des Problems. Dennoch ist festzustellen, dass mit der Abkehr vom Miet- und Häuserkampf der achtziger beziehungsweise neunziger Jahre die falsche Richtung eingeschlagen wurde. Wer heute eine Wohnung »erkämpfen« will, biedert sich meistens nur besonders geschickt beim Vermieter an. Dagegen wäre die Forderung nach dem Grundrecht auf Wohnraum zu aktualisieren.