Unter Deutschen

Deutschland hätte schlechte Chancen, wenn es sich heute um die Aufnahme in die EU bewerben würde. Der Schutz von Minderheiten sei nicht ausreichend, sagt eine Studie des Open Society Institute. von klaus thörner

Wohnungssuche ist immer eine nervenaufreibende Angelegenheit, und selbst wenn man eine Wohnung ergattert hat, hören die Probleme oft nicht auf. Zum existenziellen Problem kann die Wohnungssuche hierzulande aber für Sinti und Roma werden.

»Diese ethnische Gruppe ist traditionell vornehmlich rastlos und eindeutig nicht repräsentativ für den durchschnittlich geeigneten Mieter«, urteilte ein Gericht in Bochum, das über den Anspruch einer Sinti-Familie auf einen Mietvertrag entschied. Zitiert wird dieses Urteil in der Studie des Open Society Institute mit dem Titel: »Antidiskriminierungsgesetze in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union«.

Das Open Society Institute gehört zu den Stiftungen George Soros’, der 1930 in Budapest geboren wurde und nach dem Ende der Naziherrschaft erst nach Großbritannien und dann in die USA emigrierte. Im Rahmen seines Accession Monitoring Program untersuchte das Institut die Einhaltung der so genannten Kopenhagener Kriterien.

Auf dem Kopenhagener EU-Gipfel im Jahr 1993 hatte der Europäische Rat unter anderem eine demokratische Staatsform, die Bekämpfung der Korruption, den Respekt vor den Menschenrechten und die »Achtung und den Schutz von Minderheiten« als Voraussetzungen für einen Beitritt zur Europäischen Union festgelegt. Die Studie kommt nun zu dem Ergebnis, dass Deutschland beim Schutz von Minderheiten diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

Die Studie kritisiert, dass Deutschland seine Gesetzgebung bislang nicht mit der so genannten Gleichbehandlungsrichtlinie der EU in Einklang gebracht habe. Ausreichende Möglichkeiten, Minderheitenrechte geltend zu machen und Angehörige von Minderheiten vor rassistischer Gewalt zu schützen, existierten hierzulande ebenso wenig wie ein Regierungsprogramm, das sich mit diesen Fragen beschäftige.

Für einen Großteil deutscher Roma und Sinti etwa, die zu einer der ältesten Minderheitengruppen des Landes gehören, sei die Diskriminierung eine »tägliche Realität«. Sie zählen zwar zu den staatlich anerkannten Minderheiten in Deutschland, neben den Dänen, den Friesen und den Sorben. Ihre Kultur werde aber nach der Studie nur »unzulänglich« gefördert. So habe Schleswig-Holstein im Jahr 1998 nur etwa 85 000 Euro zur Unterstützung der Sinti und Roma aufgewendet, aber 26 Millionen Euro für die dänische Minderheit. Das sei pro Kopf mehr als 40mal so viel.

Der Antiziganismus sei in Deutschland weit verbreitet. Zwar werde die abwertende Bezeichnung »Zigeuner« in der Öffentlichkeit kaum noch verwandt. Die Vorurteile gegenüber Sinti und Roma seien aber ebenso wenig verschwunden wie ihre Benachteiligung im gesellschaftlichen Leben.

Das Interesse an diesem Thema sei in Deutschland äußerst gering, stellte die Autorin der Studie, Alphia Abdikeeva, fest. Ungeachtet ihrer 600jährigen Geschichte in Deutschland und ihrer formellen Anerkennung als nationale Minderheit, würden Sinti und Roma immer noch als »Ausländer« wahrgenommen. In den Medien würden Klischees und Vorurteile verbreitet, in den Schulbüchern fehle eine objektive Darstellung. Außerdem zeigt die Studie, dass Sinti- und Romakinder in Deutschland »ernsthaft benachteiligt sind, was den Zugang zu Bildung und Ausbildung betrifft«. Die Arbeitslosigkeit unter Sinti und Roma sei »erschreckend hoch« und auf mangelnde staatliche Förderung im Schulsystem und die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt zurückzuführen. Vollkommen rechtlos seien in Deutschland überdies die seit den achtziger Jahren aus Ost- und Südosteuropa vertriebenen oder geflohenen Roma.

Auch den Behörden stellt die Studie ein schlechtes Zeugnis aus und konstatiert eine »weit verbreitete Diskriminierung beim Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen«. Sinti und Roma seien vielfach zu Objekten der offiziellen Kriminalprävention oder der Sozialpolitik gemacht worden.

Ein Antidiskriminierungsgesetz könnte diesen Zuständen entgegenwirken. So würde zum Beispiel das Kürzel »k.A.« (für »keine Ausländer«) in Wohnungsannoncen verboten. Versicherungen könnten nicht mehr den »Balkan-Tarif« erheben, einen höheren Beitrag der in der Vergangenheit oft von Zugewanderten aus Südosteuropa verlangt wurde.

Zwar hat sich Deutschland dazu verpflichtet, bis zum Juli 2003 der EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung von Minderheiten zu folgen. Trotz dieser Frist und obwohl von der Bundesregierung seit fünf Jahren angekündigt, hat die Bundesrepublik aber bisher kein Antidiskriminierungsgesetz geschaffen. Im Jahr 2001 legte die damalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) zwar einen Gesetzentwurf vor, er wurde jedoch vor der Bundestagswahl nicht mehr in den Bundestag eingebracht.

»Die Bundesregierung muss handeln, um die deutsche Gesetzgebung mit geltenden EU-Standards in Einklang zu bringen«, sagte Bernd Knopf, der Sprecher der Ausländerbeauftragten Marie-Louise Beck, der Jungle World. Zur Zeit werde im Innen- und Justizministerium sowie im Ressort für Arbeit und Wirtschaft »fieberhaft« an Entwürfen für ein Antidiskriminierungsgesetz gearbeitet, um dieses noch rechtzeitig im Juni im Bundestag verabschieden zu können. »Ansonsten drohen Deutschland von Seiten der EU finanzielle Strafen«, erklärte Knopf.

»Doch es gibt weiter große Widerstände in der Wirtschaft und bei den Kirchen etwa gegen Eingriffe in die Vertragsfreiheit, die ein solches Gesetz bereits in der vergangenen Legislaturperiode scheitern ließen.« Die Kirchen fürchten, dass sie ihre Mitarbeiter in Kindergärten oder Altenheimen in Zukunft nicht mehr nach der Religionszugehörigkeit auswählen dürften.

Der Präsident des Zentralverbandes der Haus- und Grundeigentümer, Rüdiger Dorn, protestierte in der Welt . »Die privaten Eigentümer werden mit allen gebotenen Mitteln gegen weitere Beschränkungen ihrer wirtschaftlichen Freiheit kämpfen«, sagte er. Ein Antidiskriminierungsgesetz bringe »Zwangsverträge« mit sich und sei »Gift für die Wirtschaft«. Was dem einen seine »wirtschaftliche Freiheit«, ist dem anderen der richtige Glaube.