Thatcher in Trachten

Die neue schwarz-blaue Koalition in Wien ist kein bisschen stabiler als die vorherige Regierung. von hito steyerl

Bei der Vereidigung der zweiten schwarz-blauen Regierung in Österreich am vergangenen Donnerstag gab es wieder Proteste am Ballhausplatz in Wien. Wie bei der letzten Vereidigung im Jahr 2000. Und weil man in Österreich aus der Geschichte lernt, wurde der Termin für die Zermonie diesmal erst nach der Absperrung des gesamten Areals bekannt gegeben.

Das große Polizeiaufgebot zeigte allerdings vor allem, wie sehr das Protestpotenzial überschätzt wurde. Vor drei Jahren waren noch etwa 200 000 Demonstranten gegen die erste blau-schwarze Koalition der Österreichen Volkspartei (ÖVP) und der Freiheitlichen Partei (FPÖ) auf die Straße gegangen. Weil sie damals den Weg blockierten, gelangte das erste Kabinett von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel nur unterirdisch zu ihrer Vereidigung in die Hofburg.

In der vergangenen Woche versammelten sich nur noch etwa 350 Demonstranten vor den Absperrungen. Und unter den Wenigen waren sogar noch rund hundert Anhänger der ÖVP, die Plakate mit der Aufschrift »Alle für Schüssel« hochhielten.

Nach dem deutlichen Wahlsieg der ÖVP im November benötigte der mit der Regierungsbildung beauftragte Bundeskanzler Schüssel drei Monate, um ein neues Kabinett vorzustellen. Da die ÖVP theoretisch mit jeder Partei koalieren konnte, nutzte sie ihre neue Machtfülle zunächst einmal, um die potenziellen Partner ausgiebig zu demütigen.

Nach langwierigen Sondierungen mit den Sozialdemokraten und gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit den Grünen entschied sich die ÖVP dann doch für eine Neuauflage der schwarz-blauen Koalition. Im wochenlangen Taktieren um die Machtbeteiligung hatte sich die Freiheitliche Partei (FPÖ) mit Gehorsamsbekundungen überboten und dabei den Anschein erweckt, notfalls auch ins Kabinett kriechen zu wollen. Daher verzichtete sie auch auf die wichtigsten Forderungen jenes berüchtigen FPÖ-Putsches in Knittelfeld, der die erste schwarz-blaue Koalition erst vor wenigen Monaten zum Scheitern gebracht hatte: eine vorgezogene Steuerreform und den Erwerb neuer Abfangjäger.

Die Freiheitlichen nahmen sogar in Kauf, dass der als »Überläufer« geschmähte Finanzminister Karl-Heinz Grasser wieder auf der Regierungsbank Platz nehmen kann. Grasser hat die FPÖ vor kurzem verlassen und wird nunmehr von Schüssel protegiert.

Auch sonst verweist die alte und neue Mannschaft auf eine komplizierte Architektur der Intrige. Neu hinzu kamen die Staatssekretärin Ursula Haubner, eine Schwester von Jörg Haider, sowie Landwirtschaftsminister Josef Pröll, ein Neffe des mächtigen niederösterreichischen Volkspartei-Funktionärs Erwin Pröll, der sich stets für eine schwarz-rote Koalition ausgesprochen hatte. Mit dieser Einbindung hofft die FPÖ, die Konflikte innerhalb der Partei zu befrieden. Die Verwandtschaft soll die internen Putschgelüste dämpfen und die gemäßigten gegenüber den extrem rechten Positionen stärken.

Besonders überraschend ist die neue Konstellation indes nicht. Mittlerweile ist die Volkspartei so weit nach rechts gerückt, dass zwischen ihrem Programm und dem der Freiheitlichen kein nennenswerter Unterschied mehr besteht.

Die neue Koalition in Österreich ist eine Mixtur aus Thatcherismus und Trachtenverein. Sie übernimmt aber nicht nur die reaktionären Doktrinen, sondern auch die Instabilität der vorherigen Regierung. Während die freiheitliche Regierungsfraktion im Masochismus versunken ist, legt deren parteiinterne »Opposition« unter der Führung des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider schon wieder die altbekannten Drohungen auf. Die nach zähem Taktieren fast überstürzt herbeigeführte Koalition ist auch weniger dem Umstand zu verdanken, dass Bundespräsident Thomas Klestil dem Bundeskanzler mit dem Entzug des Mandats zur Regierungsbildung drohte. Vielmehr haben viele Angst davor, dass Haider mit einer seiner berüchtigten Aschermittwochsreden einen heftigen Präventivschlag gegen eine Neuauflage der alten Regierung führen könnte.

Die Frist für die Koalitionsbildung wurde also weniger von der Verfassung als vom Villacher Fasching bestimmt. Bei seiner diesjährigen Aschermittwochsrede ging Haider, ein bekennender Freund Saddam Husseins, denn auch erwartungsgemäß auf die »machtgierige« ÖVP, zweisprachige Ortstafeln und auf George Bush los. Ebenso drohte er wieder mit einem Veto gegen die Ost-Erweiterung der EU, wobei er sich auf den neuen Infrastrukturminister und stellvertretenden Vorsitzenden der FPÖ, Hubert Gorbach, stützen kann. Als möglicher Vorwand dienen dabei weder wie bislang das grenznahe tschechische Atomkraftwerk Temelin noch die Benes-Dekrete, sondern die Transitregelungen mit der EU für den Durchgangsverkehr in Österreich. Im Ergebnis werden jedoch wieder antislawische Ressentiments mobilisiert, und das eigene Regierungsprogramm wird untergraben, das schließlich eine klare Zustimmung zur Erweiterung enthält.

Die zu erwartende Instabilität der Regierung, die schon einmal zum Scheitern von Schwarz-Blau führte, verweist aber auch auf die chronische Schwäche einer Opposition in Österreich, der es nicht gelungen ist, die FPÖ von der Macht zu verdrängen. Aktuellen Meinungsumfragen zufolge billigen nur 39 Prozent der Wähler die neue Regierung, während die Mehrheit eine Neuauflage von Schwarz-Blau für »verantwortungslos« hält. Die Erwartungen an die Koalition seien gering, meint auch Peter Hajek vom Meinungsforschungsinstitut OGM. Viele gingen davon aus, »dass Haider in Kärnten ausrastet und diese Regierung scheitert«.

Sozialdemokraten und Grüne haben sich jedoch schon während der letzten Regierungsperiode derart resignativ gegenüber dem alles zur Seite drängenden Rechtsruck verhalten, dass auch jetzt jegliche Hoffnung auf eine entscheidende Rolle der Opposition realitätsfern wäre. Ähnliches gilt auch für die außerparlamentarische Opposition, die nach drei Jahren nicht nur materiell ausgelaugt, sondern auch enttäuscht und zersplittert ist.

Nach wie vor stellen die Freiheitlichen also selbst ihre wirksamste und derzeit einzig relevante Opposition dar. Diese Widersprüchlichkeit, die als größter Schwachpunkt der neuen Regierung gilt, könnte sich jedoch umgekehrt auch als stabilisierender Faktor erweisen. Haiders wiederholte Angriffe auf die vorherige Koalition haben zwar zu deren Sturz geführt. Doch die neurotische und obsessive Aktivität, die Haider und seine Anhänger im Chaos der Selbstzerstörung von Partei und Regierung entfaltet haben, führten schließlich auch dazu, dass alles beim Alten blieb. Es gibt also wieder, wie der Wiener Bürgermeister Michael Häupl die Lage zusammenfasste, »more of the same«.