»Unsere Zeit im Kosovo ist begrenzt«

Michael Steiner

Vier Jahre nach dem Ende des Kosovokrieges ist der Status der nach der Uno-Sicherheitsratsresolution 1244 zu Jugoslawien gehörenden Provinz immer noch ungeklärt. Während die überwältigende Mehrheit der zwei Millionen Bewohner auf die Unabhängigkeit drängt, verweist die Uno-Übergangsverwaltung (Unmik) auf mangelnde demokratische Fortschritte, die einer endgültigen Sezession von Jugoslawien entgegenstehen.

Michael Steiner wurde im Februar 2002 als Sondergesandter vom Generalsekretär Kofi Annan ins Kosovo geschickt. Ab Juli wird er Deutschland als Uno-Botschafter in Genf vertreten. Markus Bickel traf ihn kurz vor dem Ende seiner Amtszeit in Pristina.

Wäre es für Sie nicht ein Traum, dem Kosovo zu Ihrem Abschied das zu geben, was die Bevölkerung seit dem Abzug serbischer Truppen im Sommer vor vier Jahren am meisten will: die Unabhängigkeit?

Ich muss auf der Basis der Sicherheitsratsresolution 1244 agieren und, was den Status angeht, einen Prozess zu gegebener Zeit einleiten, der diese Frage löst – hin zu einer weit reichenden substanziellen Autonomie. Mein Mandat beinhaltet nicht, einseitige Schritte vorzunehmen.

Sie sind als Sondergesandter des Uno-Generalsekretärs mit Kompetenzen ausgestattet, wie sie sich demokratisch legitimierte Politiker andernorts nicht vorstellen können. Schmerzt es Sie, diese Vollmachten nicht im Sinne der Bevölkerung einsetzen zu können?

Erstens bin ich kein Politiker und zweitens bräuchte die internationale Gemeinschaft gar nicht im Kosovo zu sein, wenn es schon eine voll funktionierende Demokratie wäre. Das erklärt die weit reichenden Kompetenzen für die Unmik auf der zivilen und die Kfor auf der militärischen Seite.

Das heißt, die Statusfrage bleibt für alle Zeiten unbeantwortet und die Macht für immer in den Händen der internationalen Institutionen?

Im Unterschied zu 1999 oder 2000 herrscht in den westlichen Hauptstädten inzwischen Konsens darüber, dass unsere Zeit im Kosovo begrenzt ist.

Der Parlamentspräsident in Pristina, Nexhat Daci, hat Sie im April scharf angegriffen und ein Ende der internationalen Protektoratsverwaltung sowie mehr Kompetenzen für die lokalen Politiker gefordert.

Das sind Forderungen, die in gewisser Weise natürlich sind. Ich finde es ja gut, dass ein Parlament mehr Macht haben möchte, aber dieser Übergang muss in einer Weise organisiert werden, dass der Zugewinn an Kompetenzen auf lokaler Seite auch mit der Übernahme von mehr Verantwortung verbunden ist. Und da gibt es beim Minderheitenschutz eben immer noch Positionen, die alles andere als überzeugend sind.

Das schafft eine klare Arbeitsteilung. Die internationale Verwaltung kümmert sich um die Sicherheit, während den lokalen Politikern allein Repräsentationsaufgaben bleiben.

Solange die Kfor da ist, können wir hier keine Konkurrenz aufmachen, das heißt, wir können kein Verteidigungsministerium schaffen, wie manche sich das wünschen. Das wäre ein klarer Verstoß gegen die Resolution 1244. Wir können selbstverständlich auch keinen Außenminister installieren, weil die Außenpolitik mit guten Gründen der Unmik vorbehalten ist.

Ist die Kritik Dacis nicht ein Zeichen dafür, dass die Menschen bereit sind, die Dinge selbst zu übernehmen?

Nur zum Teil, denn es muss natürlich auch auf der Nehmerseite, auf der Regierungsseite, die notwendige Kompetenz vorhanden sein, um volle Kontrolle über die Institutionen zu erlangen. Und diese Kompetenz erweist sich am Ende daran, ob man die Regeln einhält. Nun waren viele der im letzten Jahr verabschiedeten Gesetze aber schlichtweg verfassungswidrig. Das zeigt, dass wir noch nicht alle Bereiche übergeben können, was die Bevölkerung im Übrigen auch gar nicht erwartet. Die Menschen hier wünschen sich eher einen graduellen als einen schlagartigen Übergang.

Manchen kann es gar nicht schnell genug gehen, auf serbischer wie auf kosovo-albanischer Seite.

Wir fühlen uns mit unserer Position ganz komfortabel, sehen wir uns doch einer gleichmäßigen Kritik von beiden Seiten ausgesetzt, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Außerdem besteht ein wichtiges Motiv für die Kritik darin, dass manche für die eigenen, noch nicht perfekten Leistungen gerne eine Entschuldigung suchen. Und da sagt man dann einfach: Weil wir noch nicht alle Kompetenzen haben, können wir die, die wir schon haben, nicht vernünftig ausfüllen, und deswegen können wir auch keine bessere Politik machen.

Diese Einschätzung ist doch so falsch nicht.

Sie ist aber insofern nicht korrekt, als es sich bei den Kompetenzen, die bereits übertragen wurden, um sehr zentrale handelt. Ich meine den Gesundheitssektor, den Erziehungsbereich und das ganze Finanzwesen. Hier und in anderen sensiblen Bereichen hat die internationale Gemeinschaft den Behörden vor Ort alle Rechte längst übertragen.

Während Daci und andere versuchen, sich stärker gegen die Unmik-Verwaltung zu stellen, fällt auf, dass der frühere UCK-Chef Hashim Thaci in letzter Zeit sehr viel gemäßigter auftritt als früher. Hat das damit zu tun, dass gegen ihn eine verdeckte Anklage wegen Kriegsverbrechen in Den Haag vorliegt?

Ich habe weder Indizien für eine verdeckte noch für eine nicht verdeckte Anklagevorbereitung in Bezug auf Hashim Thaci. Was für mich zählt, ist seine gemäßigte Position, nicht die Motive für diese Haltung. Wenn das darauf abzielt, Freunde in der internationalen Gemeinschaft zu finden, dann umso besser.

Im April sind die ersten Kosovo-Albaner an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt worden, darunter der ehemalige UCK-Kommandant Fatmir Limaj, was zu einem Streit zwischen Ihnen und der Chefanklägerin Carla del Ponte führte. Während Sie auf die freiwillige Überstellung der Angeklagten setzen, hofft die Chefanklägerin offenbar auf mehr Festnahmen durch die Kfor.

Alles, was ich Carla del Ponte gesagt habe, war, dass Limaj nach meinen Informationen bereit war, freiwillig nach Den Haag zu gehen. Wir haben keinerlei Streit, sondern halten es selbstverständlich beide für das Beste, wenn dies auch in anderen Fällen freiwillig geschieht.

Glauben Sie denn, dass weitere als Kriegsverbrecher angeklagte Kosovo-Albaner sich freiwillig dem Tribunal stellen könnten?

Uns liegen entsprechende Erklärungen einer Reihe von Politikern vor, und die sind auch glaubwürdig. Ob es die Bereitschaft zum freiwilligen Gang nach Den Haag nun auch bei den unteren Chargen gibt, ist eine andere Frage. Im Übrigen dürfen Sie nicht vergessen, dass dieser Prozess in der Hand von Den Haag und der Anklage dort liegt.

Muss die Kfor-Schutztruppe für mehr Festnahmen sorgen?

Wir sind hier ausführende Organe. Aber wenn ich eine Anforderung bekomme, werde ich sie selbstverständlich ausführen.