Antiterrorgewerkschaft

Der Konflikt der südkoreanischen MigrantInnengewerkschaft ETU-MB mit der Staatsmacht spitzt sich bedrohlich zu. von christian karl, seoul

Sie dürfte die einzige Gewerkschaft der Welt sein, die von und für MigrantInnen, mit Papieren oder auch ohne, organisiert wird: die südkoreanische Equality Trade Union – Migrants’ Branch (ETU-MB). Und die Auseinandersetzungen, die sie mit der Staatsmacht zu führen hat, sind hart. Seit Jahresbeginn hat sich der Konflikt bedrohlich zugespitzt.

Am 7. Januar protestierten über 80 MigrantInnen gegenüber der Botschaft Bangladeshs in Seoul gegen die Inhaftierung zweier Mitglieder der ETU-MB in Dhaka/Bangladesh. Gut eine Woche zuvor hatten Beamte der südkoreanischen Ausländerpolizei die Abschiebungsverfügung von Mohammed Bidduth und Jamal Ali in ihr Herkunftsland Bangladesh vollstreckt. Dort übergaben sie die beiden der Polizei mit der Begründung, sie seien in Südkorea in »terroristische Aktivitäten« verwickelt gewesen. Bidduths und Alis einziges Verbrechen: aktive Mitgliedschaft in der MigrantInnengewerkschaft ETU-MB.

Während der Veranstaltung zogen mehrere Hundertschaften der berüchtigten Anti-Aufruhreinheiten der Polizei in bedrohlicher Nähe der DemonstratInnen auf. Und kurz vor dem Ende konnten die OrganisatorInnen des Protestes in Erfahrung bringen, dass sich im benachbarten Hotel Capitol 50 Beamte der Ausländerpolizei aufhielten. Durch diese Nachricht alarmiert, wurde eilig zum geschlossenen Abmarsch zur nahe gelegenen U-Bahn-Station geblasen. Nur wenige Augenblicke später mussten die MigrantInnen aber feststellen, dass die Polizei ihnen auf den Fersen war, sie überholte und einkesselte. Kurz darauf trafen die Beamten der Ausländerpolizei ein und versuchten, Führungsmitglieder der ETU-MB herauszugreifen, was ihnen wegen starker Gegenwehr aber nicht gelang.

Dafür fielen ihnen zwei Migranten in die Hände. Der Nepalese Kul Bahadur Yakha und Enamul Haq aus Bangladesh wurden während ihrer Verschleppung schwer misshandelt. Zwar versuchten koreanische UnterstützerInnen der ETU-MB den Abtransport der beiden zu verhindern, was aber angesichts der Übermacht der Staatsgewalt aussichtslos war. Die beiden Festgenommenen wurden am Tag darauf in das Ausländergefängnis in Hwaseong, unweit der Hauptstadt Seoul, gebracht.

Dies war die bislang folgenschwerste Attacke der südkoreanischen Sicherheitskräfte auf die ETU-MB. Erst wenige Tage zuvor, zu Silvester, wurde eine genehmigte Protestkundgebung der MigrantInnen vor der zentralen Ausländerbehörde in Seoul von 40 Beamten der Ausländerpolizei angegriffen. Bereits hier versuchten sie, Führungsmitglieder der ETU-MB festzunehmen. Da sich an diesem Tag die anwesenden Anti-Aufruhreinheiten noch passiv verhielten, konnten die MigrantInnen und ihre koreanischen UnterstützerInnen den Angriff erfolgreich abwehren und sich in den für ihre Abfahrt bereit stehenden Bussen in Sicherheit bringen. Am selben Tage noch verkündete das südkoreanische Justizministerium, dass die Führungsriege der ETU-MB von nun an jederzeit mit Inhaftierung zu rechnen habe.

Bereits am 31. Juli hatte Südkoreas Parlament ein Gesetz verabschiedet, das MigrantInnen eine dreijährige Erwerbstätigkeit im Lande ermöglicht. Voraussetzung sollte jedoch sein, dass alle, die sich länger als drei Jahre in Korea aufhalten, zunächst »freiwillig« in ihre Heimat zurückkehren, um dort bei der südkoreanischen Botschaft eine neue Arbeitserlaubnis für ein Jahr zu beantragen. Wer länger als vier Jahre in Korea ist, darf selbst dies nicht (Jungle World, 51/03).

Seither befürchten mehr als 120 000 so genannte Illegale die polizeiliche Verfolgung und ihre anschließende Abschiebung. Doch es regte sich auch Widerstand. Am 26. Oktober gingen über 1 000 MigrantInnen, unterstützt von Tausenden koreanischen ArbeiterInnen, auf die Straße und forderten Visa mit einer Arbeitserlaubnis für mindestens fünf Jahre, Organisations- und Redefreiheit, Streikrecht und Legalisierung aller MigrantInnen. Die Demonstration wurde niedergeschlagen, zwei Aktivisten der ETU-MB – die eingangs erwähnten Mohammed Bidduth und Jamal Ali – wurden verhaftet.

Am 16. November begannen die Behörden mit Massenverhaftungen und

-abschiebungen von »Illegalen«. Nach einem Artikel des Internetmagazins ZNet von Jamie Doucette haben mittlerweile »30 000 Arbeiter das Land verlassen, 900 wurden abgeschoben, 2 400 sind derzeit inhaftiert, (…) sieben haben verzweifelt Selbstmord begangen, um Festnahme und Abschiebung zu entgehen, und zwei sind an Herzschlägen gestorben, während sie sich vor der Menschenjagd versteckten«.

Nur wenige Stunden zuvor, am späten Abend des 15. November, hatten 65 MigrantInnen und ein Dutzend koreanischer UnterstützerInnnen das Gelände der Myeongdong-Kathedrale, einen traditionellen Zufluchtsort für politische Oppositionelle, im Zentrum Seouls besetzt. Die Aktion wird von dem zweitstärksten südkoreanischen Gewerkschaftsverband, der militanten KCTU (Korean Confederation of Trade Unions), unterstützt. Ungeachtet der derzeit eisigen Temperaturen in Seoul wird die Besetzung in den aufgebauten Zelten fortgesetzt. Seit Beginn der Aktion vergeht kaum ein Tag, an dem die BesetzerInnen nicht medienwirksam auf sich aufmerksam machen, regelmäßig bekommen sie Besuch von sympathisierenden StudentInnen und GewerkschafterInnen.

Der harte Kurs der Regierung gegen die MigrantInnengewerkschaft verfolgt nicht zuletzt das Ziel, potenzielle UnterstützerInnen, vor allem aus dem Kreis der MigrantInnen, abzuschrecken. Bisher ist jedoch genau das Gegenteil eingetreten: Selbst MigrantInnen, die in dem eher gemäßigten JCMK (Joint Committee for Migrants in Korea) organisiert sind, haben nach den letzten Angiffen auf die ETU-MB deren Forderungen, die sie kurz zuvor noch als zu radikal abgelehnt hatten, komplett übernommen.

Vorläufig letzter Höhepunkt in der Entwicklung ist die Bildung des Gemeinsamen Aktionskomitees, welches KCTU und ETU-MB gemeinsam mit anderen Organisationen ins Leben gerufen haben, um für den 28. Januar einen Internationalen Aktionstag zum Schutze der MigrantInnen in Südkorea im Allgemeinen und ihrer Gewerkschaft im Besonderen zu organisieren. Den ersten Auftritt in der internationalen Öffentlichkeit hatte das Komitee im indischen Mumbai im Rahmen des Weltsozialforums 2004.

Alle diese Aktivitäten dürfen jedoch über eines nicht hinwegtäuschen: Sollte die Regierung ihren Plan der Massenabschiebung erfolgreich realisieren, wäre die ETU-MB faktisch zerschlagen, würde sie doch schlichtweg ihrer Mitglieder beraubt. Und was ist schon eine Gewerkschaft ohne Mitglieder wert?