Noch ’ne SPD

Der Wirbel um Gewerkschafter und SPD-Mitglieder, die vielleicht eine neue Partei gründen wollen, ist groß. Dabei wollen sie nur das, was die SPD früher versprochen hat. von regina stötzel

Es könnte ein Flugblatt für den Aktionstag gegen Sozialabbau am 3. April sein. Eine zweiseitige Absage an die Regierungspolitik, sorgfältig, aber knapp formuliert, mit je einem Spiegelstrich zu den Themen Arbeit, Steuern, Rente, Gesundheit, Bildung und Gewerkschaften, die wichtigsten Botschaften fett gedruckt. Zum Beispiel: »Wir gehen diesen Weg nicht mehr mit.«

Der Aufruf der Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit, zu deren Gründern die Mitglieder des Bundesvorstands der IG Metall und der SPD, Gerd Lobodda und Günther Schachner zählen, erinnert in seinem inhaltlichen Teil an die Wahlversprechen der SPD und die Grundsätze der Sozialdemokratie. Da geht es um Beschäftigungspolitik, ein paritätisch finanziertes Sozialsystem, Chancengleichheit und Tarifautonomie, mehr Keynesianismus, weniger Neoliberalismus.

Geradezu ausschweifend nimmt sich dagegen das Papier »Für eine wahlpolitische Alternative 2006« einer zweiten Gruppierung aus, zu der der Sozialismus-Herausgeber Joachim Bischoff, der ehemalige grüne Europaabgeordnete Frieder Otto Wolf und der Verdi-Sekretär Ralf Krämer gehören. Auf sechs Seiten beschreiben die Verfasser den »neoliberal geprägten Umbau der Gesellschaft«, das nach rechts gerückte politische Koordinatensystem in Deutschland und das Fehlen eines Gegengewichts, für das »traditionell« das »Zusammenspiel von Gewerkschaften und Sozialdemokratie« gesorgt habe.

Die Gemeinsamkeiten der Papiere sind augenfällig. Beide sprechen vor allem Politikverdrossene aus dem gemäßigt linken Spektrum an. Selbstverständlich müssen Reformen her, aber bessere. Selbstverständlich muss gespart werden, aber auch bei denen da oben. Selbstverständlich ist die parlamentarische Demokratie ein prima System, nur fehlt gerade eine Partei, die das Richtige fordert. Hier wird der Sozialstaat in den Grenzen von 1998 verteidigt.

Obwohl die Manifeste, Initiativen und Bündnisse gegen den Sozialabbau, die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze wie Pilze aus dem Boden sprießen, ist der Aufruhr um die beiden neuen Gruppen, die nahezu gleichzeitig mit ihren Aufrufen ins Internet und mit Statements an die Öffentlichkeit gingen, bemerkenswert. Am Tiefgang ihrer bislang veröffentlichten Analysen kann das ebenso wenig liegen wie an ihrer momentanen Mitgliederzahl. Zum Treffen der wahlpolitischen Alternative vor knapp drei Wochen im DGB-Haus in Berlin kamen etwa 30 Personen, zur Initiative zählen inzwischen etwa 20.

Es ist die mögliche Parteigründung, die für Wirbel sorgt, auch wenn die Fürther Initiative betont, vor allem »innerhalb der SPD Druck ausüben und deren Kurs ändern« zu wollen. Die neue Partei stehe für ein Milieu, das der SPD, die so schlecht da steht wie nie, wegzubrechen droht oder bereits weggebrochen ist. Mit Klaus Wiesehügel von der IG-Bau will bereits ein führender Gewerkschafter künftig keine Wahlempfehlung mehr für die SPD aussprechen. Dirk Hauer von der Hamburger Regenbogen-Koalition spricht von »Verwerfungen im Gewerkschaftsapparat und innerhalb der SPD«. Zudem sind die Initiatoren zwar keine Galionsfiguren à la Lafontaine, aber in Gewerkschaftskreisen auch nicht unbekannt.

»Wir haben die SPD mit der Initiative mitten ins Herz getroffen«, sagt ihr Pressesprecher Peter Maier. Ein Großteil der öffentlichen Aufmerksamkeit aber sei dem »PR-Unfall« zu verdanken, dass sowohl Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch der neue Parteivorsitzende Franz Müntefering sich umgehend dazu geäußert hätten. Beide kritisierten die Initiative scharf und drohten den SPD-Mitgliedern mit Parteiausschluss.

Wie Maier erklärt, habe »auf offizieller Ebene bislang niemand von der SPD« mit den vermeintlich Abtrünnigen gesprochen, die inzwischen durch ein Schreiben des ehemaligen Generalsekretärs Olaf Scholz über das gegen sie eingeleitete Schiedsverfahren informiert wurden. Stattdessen gab es inoffizielle, unterstützende Stellungnahmen, darunter von den Bürgermeistern der Städte Fürth und Nürnberg und »einem Bundesminister«. Welcher, sei nicht so schwer zu erraten, wenn man sich überlege, wo die Initiative angesiedelt sei, verriet Maier.

Marlies Hirschfeld, Pressesprecherin im Willy-Brandt-Haus, sieht die SPD nicht an einem wunden Punkt getroffen. »Das sind Leute, die ohnehin mit der SPD nicht mehr viel am Hut haben.« Aber natürlich sei der Partei das Geschehen »nicht einerlei«.

Den Drohungen und Warnungen folgten Diskussionen. »Kurs halten«, gab der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck im Handelsblatt als Parole aus, ganz im Sinne Münteferings und Schröders, während »Parteilinke« wie Detlev von Larcher dafür warben, wieder Politik »für die kleinen Leute« (Neue Osnabrücker Zeitung) zu machen.

Die PDS begrüßt die neuen politischen Gruppen, ist aber »skeptisch«, was die mögliche Parteigründung angeht. Die nämlich könnte auch sie einen Teil ihrer Klientel kosten, vor allem in den alten Bundesländern. Pressesprecher Hendrik Thalheim gibt zu: »Wir haben kein Interesse daran, dass andere Parteien entstehen, die sich mit ähnlichen Inhalten profilieren.« Aber der »Gesprächsfaden« solle auch nicht abreißen. In der Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin sieht er keinen zentralen Grund dafür, dass seine Partei für viele nicht mehr als linke Alternative in Frage kommt, obwohl es die wahlpolitische Alternative genauso formuliert.

Der Vergleich mit der am 20. März vor 22 Jahren beschlossenen Gründung der Partei der Demokratischen Sozialisten (DS) durch die ehemaligen SPD-Mitglieder Manfred Coppik und Karl-Heinz Hansen liegt nahe. Schon 1982 waren viele Sozialdemokraten unzufrieden mit der Sozialpolitik ihrer Partei sowie mit dem Nato-Doppelbeschluss. An der politischen Karriere Coppiks, der nach SPD und DS vorübergehend Grünen- und PDS-Mitglied war (»1989 hatte man noch geglaubt, es könnte sich etwas Gutes entwickeln«), zur SPD zurückkehrte und erst seit dem Krieg der rot-grünen Regierung gegen Jugoslawien parteilos ist, lässt sich der Frust derer, die eigentlich der Meinung sind, dass Wahlen etwas verändern können, gut nachvollziehen.

So sieht er heute durchaus »den Bedarf nach einer wahlpolitischen Alternative«. »Die Grundtendenz einer solchen Initiative würde ich unterstützen.« Die DS hatten seinerzeit allerdings nicht viel Erfolg. Hart war die Konkurrenz der parlamentarisch noch unverbrauchten Grünen, die im Gegensatz zu den DS aus einer Bewegung entstanden waren. Zudem kam schon wenige Monate später der Regierungswechsel. Als Hans-Dietrich Genscher die sozial-liberale Koalition aufkündigte, schrieb Coppik in sein Notizbuch: »Damit ist das Projekt gestorben.«

Der neuen Partei – dass gleich zwei entstehen, schließen beide Gruppen aus –, könnte es immerhin gelingen, einen Teil des globalisierungskritischen Spektrums für sich zu gewinnen. Personelle Überschneidungen mit Attac sind bereits vorhanden. Axel Troost, der Geschäftsführer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, zerstreut jedoch das zwischenzeitlich kursierende Gerücht, die wahlpolitische Alternative wolle mit populistischen Parolen 20 Prozent der Wählerstimmen für sich gewinnen. »Alternative Politik kann man nicht populistisch rüberbringen.«