Schule am Samstag

Zur LandesschülerInnenkonferenz trafen sich am Wochenende engagierte Schüler, um über die Zukunft der Schulen nachzudenken. daniél kretschmar war dabei

Nicht nur die so genannte politische Klasse rekrutiert ihren Nachwuchs bereits in der Schule, auch so manche linke Karriere nahm ihren Anfang in der Schülervertretung (SV) des örtlichen Gymnasiums. Am vorigen Wochenende konnte man auf der LandesschülerInnenkonferenz (LSK) in den Gebäuden der Friedrich-Ebert-Stiftung einen Blick in die mögliche Zukunft politischer Bewegungen werfen.

Das Programm wurde von Schülerfunktionären selbst zusammengestellt und außerordentlich professionell präsentiert. Die Rhetorikkurse der LandesschülerInnenvertretung (LSV) sind ihr Geld offensichtlich wert. Die Moderation ist fernsehreif, die Teamer leiten ihre Arbeitsgruppen mit Hilfe so genannter Coachingcards, zur Entspannung wird gebrüllt oder man lässt sich vertrauensvoll in die Arme der anderen fallen. Die Liebe zur Methode ist unverkennbar, hier sind eindeutig Profis am Werk, und es macht ihnen bis zur letzten Minute sichtlich Spaß, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern genauso wie dem Organisationsteam.

Die 14 bis 19 Jahre alten Jugendlichen nehmen mit Begeisterung an den Gesprächen teil, bringen ihren Ärger und ihre Wünsche vor, hören einander tatsächlich geduldig zu und zeigen trotz des straffen zweitägigen Programms kaum Ermüdungserscheinungen. Der Kern der Veranstaltung ist die »Zukunftswerkstatt«, ein in drei Blöcke geteilter Workshop zur Strategieentwicklung für die LSV, an dessen Ende »realistische« Forderungen an die Politik gestellt werden sollen.

Die wesentliche Schwäche der Methode offenbart sich jedoch schnell. Zeigen die Jugendlichen während der »Utopie-Phase« noch ein hohes Anspruchsdenken und skizzieren Ideen, wie die Schule der Zukunft aussehen könnte, durchaus in dem Bewusstsein, dass sich dafür auch in der Gesellschaft allgemein einiges ändern müsste, so ist der am Ende präsentierte Forderungskatalog auffällig zahm und reicht von der Forderung, das Kurssystem bereits in der neunten Klasse einzuführen, bis zum Wunsch, »Wertevermittlung« zum Pflichtfach zu erheben.

In der Arbeitsgruppe »Schule und Gesellschaft« haben sich Schülerinnen und Schüler mit ganz unterschiedlichem Hintergrund zusammengefunden, deren Vorstellungen auf den ersten Blick weit auseinander zu liegen scheinen. Während der 18jährige Pankower Gymnasiast Martin neben der Abschaffung der Schulpflicht auch von einer Art Tutorialsystem unter den Schülern träumt, schwebt dem 14jährigen Anthony von einer Gesamtschule in Kreuzberg eine eigenverantwortliche Unterrichtsgestaltung und ein sozialeres Miteinander vor. Pia, die 15 Jahre alt ist und von derselben Schule kommt, und die 19jährige Johanna aus Weißensee sähen gerne die Lehrer besser qualifiziert und mehr in die Pflicht genommen. Was in allen Arbeitsgruppen deutlich wird, ist der Wille, die eigene Meinung zu äußern und mitzubestimmen.

Michael Hammerbacher, der an der Veranstaltung für das Berliner Netzwerk zur Unterstützung von Schülervertretungen (Neus) teilnimmt, beurteilt die Entwicklung an den Schulen trotzdem sehr kritisch. »Wenn wir in die Schulen gehen, erleben wir es oft, dass die Schülerinnen und Schüler nicht in der Lage sind, ihre Interessen überhaupt erst einmal zu formulieren.« Das Hauptproblem sieht er in der mangelnden Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen und politischen Gruppen. Auch wenn es im Rahmen der Proteste an den Universitäten im vergangenen Winter einige Fortschritte gegeben hat, so ist die Situation nicht mit dem Westberlin der achtziger Jahre vergleichbar, als es Verbindungen zwischen der Friedens- und Hausbesetzerszene und der politisch sehr aktiven SchülerInnenvertretung gab.

Katja Meyer von der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt sich zufrieden mit dem Ablauf der Konferenz. Die Vielfalt der teilnehmenden Schulen ist größer als erhofft, mehr als 200 Teilnehmer von rund 50 Schulen schwitzen in den Workshops. Als Leiterin des Forums Politik und Gesellschaft ist Meyer dafür zuständig, »die politische, soziale und interkulturelle Kompetenz insbesondere junger BürgerInnen zu stärken«.

Die Grenzen des Konzepts »Erziehung zu Demokratie« werden jedoch noch während der Veranstaltung von den Schülern selbst gezogen. Bei der Vorstellung der »realistischen« Forderungen gibt es an verschiedenen Stellen Widerspruch aus dem Plenum, der vom frisch gewählten Landesvorstand ganz professionell damit besänftigt wird, dass es sich nur um eine Diskussionsgrundlage handele, die von den Gremien zur Entwicklung endgültiger Thesen verwendet werde. Die Diskussion könne außerdem in den Internetforen der LSV weitergeführt werden. An dieser Stelle ginge das vor allem wegen der mangelnden Zeit zu weit.

Mit ähnlichen Phrasen hantieren auch die Politikerinnen, die auf der Abschlussdiskussion zu Gast sind. Keine drei Minuten sind vergangen, als Filicitas Tesch, die schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, darauf hinweist: »Ihr wisst, Berlin ist völlig pleite.«

Unter diesen Bedingungen kommen selbst die realistischen Forderungen reichlich utopisch daher. Die Diskussion wird erst wieder lebendig, als es um »kostenneutrale« Fragen wie die Demokratisierung der Schulen geht. Den Beteiligten ist eine große Frustration anzumerken. Zwar sind die Mitwirkungsrechte im neuen Berliner Schulgesetz merklich erweitert worden, dafür wurden die Abstimmungsverhältnisse zu Ungunsten der Schüler verändert.

Als die Sprache auf die schlechte Qualität der Lehrerausbildung sowie das mangelnde Engagement vieler Pädagogen kommt, sind sich die Politikerinnen mit den Jugendlichen darin einig, dass das Lehrpersonal leichter austauschbar sein müsse. Sieglinde Schaub von der PDS schwärmt: »So wenig, wie finnische Lehrer verdienen, und so viel, wie sie dafür leisten, da könnten sich so manche Berliner eine Scheibe abschneiden.«

Die Schüler und Schülerinnen stellen aber klar, dass es ihnen weniger um das Sparpotenzial als um die Verbesserung ihrer Lernbedingungen geht. Sie nehmen ihre Lehrer zum Teil sogar in Schutz. Eine ihrer Forderungen bleibt trotzdem, dass Lehrpersonal auch entlassen werden können soll, sicher ein Ausdruck ihrer empfundenen Ohnmacht gegenüber der Institution Schule und der Person, die vor der Klasse steht.

Nur wenige der Schülervertreter scheinen anderweitig politisch organisiert zu sein. Der Wunsch und die Fähigkeit, sich zu streiten, sind trotzdem nicht zu unterschätzen. Sicherlich werden auch in Zukunft einige politische Organisationen unter den Schülervertretern ihren Nachwuchs finden.