Wiedersehen im Kosovo

Vergangene Woche griffen Kosovo-Albaner die serbische Minderheit an. Über 30 Menschen wurden ermordet. von boris kanzleiter, belgrad

Marko ist müde und heiser. Seit drei Tagen hat er kaum eine Kundgebung ausgelassen. Jeden Tag dieselbe Route: zuerst zur US-Botschaft und »Nato-Mörder!« skandieren, dann den langen Boulevard Knez Milosa in Richtung albanische Botschaft laufen. Dort versperren Milizionäre den Weg. Trotzdem schnell ein paar Steine werfen. Wieder zurück in die Innenstadt, es ist noch eine Kundgebung vor der orthodoxen Kirche des Heiligen Sava. »Wir geben das Kosovo nicht her!«, fordert ein von Geistlichen umrahmter lautstarker Redner das Echo der Tausenden ein. Aber die Sprechchöre werden leiser und leiser. Nicht nur Marko, der 18jährige Schüler, ist nach Tagen permanenter Demonstrationen und Kundgebungen gegen das Pogrom an der serbischen Bevölkerung im Kosovo erschöpft.

Marko war nicht dabei, als ein paar Dutzend Jugendliche die Moschee in der Belgrader Innenstadt angezündet haben. »Das waren Hooligans«, meint er und fügt hinzu: »Das will die Welt doch sehen. Der Serbe ist böse.« Dabei sei alles ganz anders, setzt er dem Reporter auseinander. Es gehe nämlich um den »Kampf gegen den Terrorismus«. Seine Klassenkameraden sehen das genauso: »Stopp Terrorismus im Kosovo«, steht auf ihrem Transparent. Und auf einem anderen: »New York, Madrid, Kosovo«. Marko hofft auf Einsicht im Westen: »Ihr solltet endlich begreifen, was wir im Kosovo durchmachen.« Dann verschwindet er mit einer serbischen Flagge im Getümmel.

Vielleicht hoffen Marko und seine Freunde nicht ganz umsonst. Während die ersten internationalen politischen und medialen Reflexe auf die Auseinandersetzungen das inzwischen dementierte Gerücht, dass Kosovo-Serben zwei kosovo-albanische Kindern ermordet hätten, als Auslöser des Pogroms kolportierten oder unspezifisch von »interethnischer Gewalt« sprachen, setzte sich am Ende der vergangenen Woche ein anderer Ton durch. Der Kommandeur der US-Truppen in Südeuropa, General Gregory Johnson, bezeichnete das Vorgehen kosovo-albanischer Separatisten am Freitag als »fast eine Art ethnischer Säuberung«. General Virgil Packett, Kommandant der Sfor-Truppen in Bosnien, die neben verschiedenen Nato-Ländern Kontingente zur Verstärkung ins Kosovo schickten, erklärte, die »Attacken auf die serbischen Enklaven« würden »von einem Zentrum« koordiniert. Und von welchem, weiß Ehrhard Busek, Koordinator des Balkan-Stabilitätspaktes. Hinter den Unruhen stecke die Strategie einiger kosovo-albanischer Parteien, die sich von der Polarisierung »Profit« bei den im Oktober stattfinden Wahlen versprächen, stellte er am Samstag fest.

Tatsächlich müssen selbst die emsigsten Propagandisten der albanischen nationalen Befreiung nach den Exzessen der vergangenen Tage konstatieren, dass es sich bei den Angriffen um nichts weiter als ein Pogrom gehandelt hat. Ob in Caglavica, Silovo, Gracanica, Prizren, Belo Polje, Lipljan oder Gnjilane, überall, wo im Kosovo noch Serben leben, bot sich das gleiche Bild. Fast gleichzeitig starteten Kosovo-Albaner am Mittwochabend Angriffe auf Wohnhäuser kosovo-serbischer Familien. Über 30 Menschen wurden ermordet, darunter auch einige Soldaten der Kfor und Kosovo-Albaner, wie ein Scharfschütze in Mitrovica, der von französischen Soldaten erschossen wurde. Über 600 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Viele der vom Lynchmob angegriffenen Kosovo-Serben suchten bei den verwirrten Kfor-Truppen Schutz. Andere brachten sich durch Flucht in Sicherheit. Innerhalb von zwei Tagen setzten Randalierer neben vielen Wohnhäusern 25 orthodoxe Kirchen und Klöster in Brand, darunter Kulturdenkmäler aus dem 13. und 14. Jahrhundert.

Die Vorgänge erinnerten an die ersten Wochen nach dem Einmarsch der Nato-Truppen in das Kosovo im Juni 1999. Auch damals kam es zu Pogromen gegen Kosovo-Serben, Roma und Angehörige anderer Minderheiten, die von UCK-Trupps aus ihren Häusern vertrieben wurden. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied, der die Erklärungen der Repräsentanten der »internationalen Gemeinschaft« in ein anderes Licht rückt. Denn während die Nato-Truppen im Sommer 1999 tatenlos zusahen, wie über 200 000 Menschen aus der Provinz vertrieben wurden, sind sie heute ebenfalls Ziel von Angriffen kosovo-albanischer Separatisten. Michael McClellan, ein US-Sprecher in Pristina, erklärte entsetzt: »Es wurden amerikanische Truppen von albanischen Protestierern angegriffen, das gab es bisher nicht.« Und dabei handelt es sich nicht um vereinzelte Vorfälle. »Es gibt eine angestaute Wut gegen Unmik und Kfor, die bisher undenkbar war«, gab Veton Surroi, Herausgeber der kosovo-albanischen Tageszeitung Koha Ditore, am Freitag die Stimmung wieder.

Einige Beobachter führen die Angriffe auf die internationalen Truppen darauf zurück, dass diese den bedrängten Kosovo-Serben Zuflucht geboten haben. Doch diese Analyse greift zu kurz. Denn tatsächlich trägt das Pogrom auch Züge einer Revolte junger Kosovo-Albaner, die ihren Hass auf alle Institutionen richten, die sie für ihre miserable soziale Lage verantwortlich machen. Die Arbeitslosigkeit im Kosovo liegt offiziell bei 60 Prozent. Geld haben nur diejenigen in der Tasche, die einen Job bei internationalen Organisationen, den lokalen Mafiabossen oder ihren politischen Tarnorganisationen, so genannten Parteien, haben. Mögen aus deren Reihen auch die Drahtzieher des Pogroms kommen, bei den Steine und Molotow-Cocktails werfenden Angreifern handelt es sich zum größten Teil um Jugendliche und sogar Schulkinder. Für sie repräsentieren »die Serben« ihr persönliches Unglück. Sie sind aufgewachsen im Klima nationalistischer Indoktrination, dessen wahnsinniges dreifaches Credo lautet: »Ist das Kosovo endlich ein unabhängiger Staat, wird es uns besser gehen. Es sind die Serben, die die Unabhängigkeit des Kosovo verhindern.« Und seit einiger Zeit: »Die Internationalen helfen den Serben.«

Wie geht es nun weiter? Das weiß zur Zeit niemand genau. Im Kosovo wird es nicht an Demagogen fehlen, die den Kampf um die Unabhängigkeit in eine neue Phase der Eskalation führen wollen. Schon behaupten Sprecher aller kosovo-albanischen Parteien in einer verqueren Logik, nur durch Unabhängigkeit könne die Gewalt gestoppt werden. In Serbien andererseits hat das Pogrom zu einer ungekannten Einigung der ansonsten chronisch zerstrittenen politischen Kräfte geführt. Stellvertretend für alle erklärt Verteidigungsminister Boris Tadic, die internationale Gemeinschaft solle die Rückkehr serbischer Truppen in das Kosovo erlauben, um die verbliebenen Enklaven zu schützen. Rückenwind bekommen die Serben dabei von einer am vergangenen Freitag einstimmig beschlossenen Resolution der russischen Duma.

Die internationale Gemeinschaft wird wohl weiter herumlavieren. Einerseits sendet sie politische Signale, dass eine Unabhängigkeit des Kosovo möglich sei. Andererseits hat sich nach dem Pogrom möglicherweise die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Unabhängigkeit mit einer Fortsetzung der ethnischen Säuberungen verbunden sein wird, deren Destabilisierungseffekte im Westen keine Freude auslösen. Noch leben 100 000 Kosovo-Serben und ebenfalls bedrängte Roma in der Provinz.

Eines ist indes gewiss: Marko und seine Freunde werden ihre Stimme bei den demnächst bevorstehenden Präsidentschaftswahlen der Serbischen Radikalen Partei geben. Deren Anführer, Tomislav Nikolic, ruft zur »bewaffneten Selbstverteidigung« auf. Am Vergangenen Samstag fuhr der erste Bus mit Freiwilligen aus Belgrad nach Kosovska Mitrovica. Auf Wiedersehen im Kosovo.