Ich hasse es

Einen Monat lang aß der Regisseur Morgan Spurlock bei McDonald’s und leistete so einen patriotischen Akt. von andreas hartmann

Schon am zweiten Tag des Selbstversuchs, nach dem Verzehr eines Double-Quarterpounder-with-Cheese-Super-Size-Menüs muss er kotzen; nach einer Woche ist er depressiv; nach zehn Tagen kriegt er keinen mehr hoch, und nach drei Wochen vergleicht ihn sein Arzt mit einem Alkoholkranken, der sich dem sicheren Tod nähert. Schon Wochen bevor der Film »Super Size Me« in die deutschen Kinos kommt, haben sich die lustigsten Ergebnisse herumgesprochen, die sich aus dem Experiment des Regisseurs Morgan Spurlock ergeben haben, der sich 30 Tage lang ausschließlich bei McDonald’s ernährt hatte. Kaum eine deutsche Zeitschrift, in der kurz vor Filmstart kein Interview mit Spurlock zu lesen war, auch wenn er eigentlich immer dasselbe zu erzählen hatte.

Man hat das, was er zu berichten wusste, mit einer Mischung aus Grauen und Belustigung aufgenommen. Schließlich weiß jeder, dass Salat und Körner gesünder sind als ein Super-Spar-Menü bei McDonald’s. Aber dass übermäßiger Konsum von Fastfood solch bizarre Auswirkungen haben kann, das hätte man dann doch nicht gedacht.

Spurlocks Dokumentation über seine selbstauferlegte Diät, die als eine einzige Anklage gegen die Fastfood-Industrie in den USA im Allgemeinen und gegen McDonald’s im Besonderen zu verstehen ist, war in Amerika ein Sensationserfolg von beinahe Michael Mooreschen Ausmaßen. Wochenlang war der Film in den Top Ten der Kinocharts. Was Moore mit »Bowling For Columbine« und »Fahrenheit 9/11« gelungen ist, nämlich dass man über sein Thema, die Waffenlobby und George W. Bush, diskutiert, ist auch Spurlock gelungen. McDonald’s steht am Pranger, und es gibt sogar eine erste Reaktion des Fastfood-Konzerns auf den Film. Auch wenn McDonald’s behauptet, dass dies nichts mit dem Streifen zu tun habe, wurde dennoch inzwischen das von Spurlock verteufelte »Super Size«-Menü – eine völlig überdimensionierte Portion Fastfood – aus dem Programm genommen.

Dokumentarfilme, die politische Prozesse und Missstände nicht nur polemisch verhandeln, sondern diese auch durchaus real verändern können – ob Moores Anti-Bush-Agitationen wirklich eine Rolle im amerikanischen Wahlkampf spielen, wird sich noch zeigen –, sind ein recht seltenes Phänomen. Zumeist landet der unbequeme Dokumentarfilm im Spätprogramm des Kabelfernsehens, heute hat er das Zeug zum Blockbuster. Das Rezept für den Erfolg ist bei Michael Moore das gleiche wie bei Morgan Spurlock: Die recherchierten Fakten sind nicht unbedingt falsch, werden aber zur Untermauerung einer Grundthese zurechtgebürstet, der Regisseur des Films ist auch sein Hauptdarsteller, der wie rein zufällig auf immer noch unfassbarere Zustände trifft, und vor allem soll sich der Zuschauer von dem Gesehenen nicht nur betroffen fühlen, sondern gut unterhalten werden. Und von »Super Size Me« wird man bestens unterhalten.

Fast 37 Prozent der Amerikaner sind übergewichtig, ein BigMäc hat 506 Kalorien, 60 Prozent der Amerikaner treiben keinen Sport: Spurlock breitet in rasender Geschwindigkeit Zahlen und Fakten vor uns aus, als wolle er einem Artikel aus der Le Monde Diplomatique Konkurrenz machen. Doch aus seinen Recherchen strickt er eben nicht einen öden Filmessay nach sämtlichen Gesichtspunkten der journalistischen Sorgfaltspflicht, sondern im Mittelpunkt seiner Anklage gegen McDonald’s steht sein spektakulärer und weniger dokumentarischer als vielmehr inszenierter Selbstversuch, um den die gesammelten Zahlen und Falten eher beiläufig drapiert werden. Der Selbstversuch ist natürlich hanebüchen und dennoch absolut wirkungsvoll.

Das Wort hat der Mediziner: 25 Pfund hat Spurlock nach 30 Tagen McDonald’s zugenommen, und seine Leber war schon nach drei Wochen restlos überfordert. McDonald’s ließ bereits verlauten, dass natürlich kein Mensch drei Mal täglich eine Filiale zur Speisezufuhr aufsuchen und das »Super Size«-Menü einfahren würde.

McDonald’s hat Recht, und dennoch läuft die Kritik ins Leere. Denn Spurlock hat erkannt, dass er sich nur durch Übertreibung der Wahrheit nähern kann. Gerade weil die Aussage »Fastfood ist ungesund« eine Binsenweisheit ist, hat er nach eindrucksvollen Bildern gesucht, um dieser Aussage doch noch etwas Kraft verleihen zu können. Den Bildern, die Spurlock zeigen, wie er sich ins Koma futtert, mag man vorwerfen, sie seien übertrieben, doch der eigentlichen Message, dass zu viele Burger nicht gut seien, mag man wohl nicht einmal bei McDonald’s widersprechen.

In 100 Minuten führt uns Spurlock ein Land vor, das fest im Würgegriff der Fastfood-Industrie ist und, falls es sich aus diesem nicht lösen kann, dem Untergang geweiht ist. Fastfood ist in den amerikanischen Schulkantinen angekommen, und McDonald’s hat selbst in Krankenhäusern Filialen. Die Kids kennen zwar George Washington nicht, dafür wissen sie jedoch, dass Ronnie McDonald ihr Freund ist. Armes Amerika. Für Feinheiten bleibt Spurlock in seiner rasant und mit Furor erzählten Polemik kein Platz. Was die Burger-Industrie etwa mit dem Raubbau am brasilianischen Regenwald zu tun hat, interessiert ihn nicht, das würde von seinem eigentlichen Thema, der Verfettung Amerikas, zu sehr ablenken.

Arg problematisch ist dementsprechend auch das Bild, das von den Dicken gezeichnet wird. Die Dicken sind so unförmig, wie man als vernünftiger Amerikaner hoffentlich niemals werden möchte. Den Wunsch schlank sein zu wollen, setzt Spurlock als Ideal voraus. Dicke sind dagegen der Aussatz der Gesellschaft, dem Tod ähnlich nahe wie Raucher, Dicke sind krank. Wer Spurlocks Film sieht und nicht mit Modelmaßen gesegnet ist, dürfte sich nach dem Kinobesuch kaum wohler fühlen als ein Leiter einer McDonald’s-Filiale.

Der Film wird dennoch auch in Deutschland ein riesiger Erfolg werden. Wie schon bei »Bowling For Columbine« werden ganze Schulklassen von ihren Sozialkundelehrern zu Aufklärungszwecken in den Film gezerrt werden, und Claudia Roth wird ihn ihren Wählern wärmstens empfehlen. Sämtliche Gutmenschen in Deutschland werden deutlich machen, dass sie auf einen Film wie »Super Size Me« schon lange gewartet haben und sich in ihrer Hetze gegen »die amerikanische Fastfood-Industrie« bestätigt sehen, was äußerst unangenehm ist. Und die Antideutschen werden erst recht zu McDonald’s rennen, dies als solidarischen Akt mit Amerika preisen und »Super Size Me« antiamerikanisch nennen, was genauso unangenehm ist. Denn Morgan Spurlock ist wie Michael Moore eigentlich ein amerikanischer Patriot, und sein Film »Super Size Me« ist nicht antiamerikanisch, sondern einfach nur Anti-McDonald’s.

»Super Size Me« (USA 2004). Buch/Regie: Morgan Spurlock, Start: 14. Juli