Europas battle groups

Die niederländische Ratspräsidentschaft will die gemeinsame europäische Sicherheitspolitik vorantreiben. Solange das Verhältnis zu den USA ungeklärt bleibt, ist das unmöglich. von udo van lengen

Den Vorsitz im EU-Rat zu bekleiden, erfordert schon einiges an Aufwand. Aber damit die EU-Institutionen funktionieren, ist mehr nötig, als auf den Laden aufzupassen. Führungsqualitäten sind gefragt, die man nur haben kann, wenn man eine »Vision« vom Europa der Zukunft hat. Bescheidene Worte leiten die Agenda der niederländischen Regierung ein, die seit vergangenem Juli die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Von Taten hat man noch nicht viel gehört. Ganz anders lief es da doch im vergangenen Jahr, als Silvio Berlusconi den Ratspräsidenten nach ganz eigenem Gusto interpretierte. Politische Eigenmächtigkeiten gegenüber dem russischen Präsidenten oder Konzentrationslagerwitze auf Kosten deutscher Sozialdemokraten soll es von der braven Regierung um den christdemokratischen Jan-Peter Balkenende nicht geben. Irland konnte in seiner Amtszeit die gemeinsame europäische Verfassung auf den Weg bringen, die Niederländer knüpfen daran an und kümmern sich um die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Dabei geht es um das Verhältnis zu den USA, einen klassischen europäischen Zankapfel. In Europa, so Alfred van Staden, Direktor des Niederländischen Instituts für internationale Beziehungen »Clingendael« in Den Haag und ausgewiesener Europaexperte, falle vielen zu den USA zuallererst folgendes Bild ein: »Wenn man einen großen Hammer hat, scheint alles ein Nagel zu sein.« Staden weiß: Wer an Europapolitik denkt, kommt am Verhältnis Europas zu den USA nicht vorbei. Denn bis jetzt seien es die Amerikaner und nicht die EU, die den Hammer schwingen. Aber dafür, so der rührige Wissenschaftler, habe Europa mehr Erfahrungen gesammelt, um »alternative Lösungen für verzwickte politische Probleme« zu entwickeln. Ein Problem ist nur, dass die Europäer notorisch in Streit geraten. Aber dafür sei die niederländische Ratspräsidentschaft da. Sie ist daran interessiert, die Aufgabe so zu erledigen, dass die Historiker in ferner Zukunft an einer Lobeshymne auf den niederländischen EU-Ratsvorsitz nicht vorbeikommen.

Am Freitag trafen sich die 25 EU-Verteidigungsminister knapp 20 Kilometer nördlich von Stadens Büro. In den Dünen des Nordseebadeortes Noordwijk ging es darum, die militärische Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsländern zu vertiefen. Kontemplation und Rhetorik waren nicht länger gefragt, sondern zündende Namen für neue militärische Einheiten. Herausgekommen ist die praktische Umsetzung eines alten Gedankens aus der verteidigungspolitischen Ideenschmiede der EU mit dem schlichten Namen »battle group«.

Eine battle group besteht aus 1 500 entschlossenen Soldaten, die in kürzester Zeit in ein Krisengebiet einrücken sollen, um den Weg für eine folgende größere Truppenmacht zu ebnen. Das Besondere ist, dass die EU sie ohne Unterstützung der Nato einsetzen und damit ohne Zutun der USA militärische Stärke zeigen kann. Kleinere EU-Länder schließen sich mit größeren zu multilateralen Verbänden zusammen. So vereinbarten die Niederlande, ab 2005 eine battle group mit Deutschland zu bilden. Briten, Franzosen, Italiener werden dagegen eigene nationale battle groups aufstellen.

Ein befriedigendes Ergebnis, so Staden. »Aber der nationale Alleingang einiger großer Länder ist schlecht für die multilaterale, europäische Zusammenarbeit«, kritisiert er, »und für kleine Länder sind die Risiken viel zu groß.«

Doch die europäische Sicherheitspolitik ist schon immer eine schwierige Sache gewesen. Bis vor 15 Jahren dominierten die USA auf diesem Terrain. Und schon damals unterschieden sich die Vorstellungen der EU-Länder sehr stark, wenn es um Sicherheit und Verteidigung ging. Gehegte Traditionen, gepflegte Vorurteile prägen noch heute die Diskussion um eine der letzten Bastionen nationalstaatlicher Souveränität. Von alters her stehen beispielsweise die Niederlande dem System der battle groups misstrauisch gegenüber, meint zumindest Staden. »Frankreich hat in den battle groups langfristig immer einen Schritt hin zu einer gemeinsamen europäischen Armee gesehen. Genau deswegen waren wir immer dagegen. Denn wir wollten, dass die Nato und damit die USA die Sicherheit in Europa garantieren.«

Nun ist die so genannte Sicherheitslage aber anders als vor 15 Jahren. Die Interessen der USA liegen seit einiger Zeit nicht mehr in Europa. »Und daran muss man sich gewöhnen«, so Staden. »Darum sind wir jetzt ein Stückchen Richtung Europa getrieben und befürworten die battle groups.« Die Nato spiele für die Sicherheitspolitik der USA nunmehr eine untergeordnete Rolle. Sie setzten jetzt auf ad-hoc-Bündnisse. Die europäischen »Europäer« und europäischen »Atlantiker« müssten darum in eigener Regie ihre Sicherheit organisieren, meint Staden.

Daher beschloss die EU bereits 1999 in Helsinki, dass man bis 2010 fähig sein müsse, innerhalb von 60 Tagen 60 000 Soldaten in einem Krisengebiet einzusetzen. Nur scheinen die europäischen Regierungen nicht ganz sicher, ob und wo sie das überhaupt wollen, als schauten sie bei jedem Schritt ängstlich, was die USA davon halten könnten. »Es gibt grob zwei Konzepte«, meint Staden. »Das zivile Europa mit friedenserhaltenden Blauhelmeinsätzen und das vorwärts verteidigende Europa mit militärischer Stärke, um den USA auf Augenhöhe gegenüberzutreten.«

Beide Konzepte emanzipierten sich auf ihre Weise von den USA, keines von beiden habe bis jetzt funktioniert. »Sich von den USA zu distanzieren, hat weder Deutschland noch Frankreich etwas gebracht. Aber auch die Briten haben im Irak nicht die erhofften Aufträge erhalten. Sicher ist, es wird ohne Einigkeit nicht gehen. Vielleicht sollte Europa den Weg zwischen Opposition und Mitläufertum beschreiten und subtile Diplomatie anwenden.«