»Druck von außen gibt es nicht«

Martin Schulz

Der designierte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat drei Personen in der Kommission ausgetauscht. Bereits in der kommenden Woche will er dafür die Zustimmung des EU-Parlaments bekommen. Seine Chancen stehen gut, da neben den Konservativen auch die Sozialdemokraten Zustimmung signalisiert haben. Mit Martin Schulz, dem Fraktionsvorsitzenden der 200 Sozialdemokraten im Europaparlament, sprach Korbinian Frenzel.

Mit den neuen Personalvorschlägen des designierten EU- Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso scheinen Sie nun auch zufrieden gestellt worden zu sein. Steht dahinter der Druck, die viel beschworene »europäische Verantwortung« wahrnehmen zu müssen?

Die Zustimmung, die ich signalisiert habe, bezieht sich darauf, dass Barroso auf drei unserer vier zentralen Forderungen positiv reagiert hat: Die umstrittenen Kandidaten Rocco Buttiglione und die Lettin Ingrida Udre werden ausgetauscht, und der Ungar Laszlo Kovacs kann bleiben. Bei der niederländischen Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes hat er nicht auf Rückzugsforderungen reagiert, was nach wie vor bei mir auf heftige Kritik stößt.

Nach dem Rückzug von Buttiglione wird nun der bisherige italienische Außenminister Franco Frattini als Justizkommissar in die Kommission einziehen. Ist es nicht ein grundsätzliches Problem, einem Mann der Regierung von Silvio Berlusconi den Bereich zu überlassen, in dem es um Recht geht?

Die italienische Regierung hat sich in wesentlichen Fragen der Justiz- und Innenpolitik nicht sehr konstruktiv verhalten, um es mal sehr vornehm auszudrücken. Insofern ist eine gewisse Zurückhaltung geboten. Auf der anderen Seite verdient Frattini eine faire Chance in den Anhörungen, wie alle anderen auch. Am Ende der Anhörungen wissen wir mehr. Wenn wir dort wie bei den anderen Neu- oder Umbesetzungen zu einem positiven Urteil kommen, könnte Barroso unsere Zustimmung finden.

Das heißt, es gibt keinen Automatismus für ein »Ja« zu diesem Kommissionsvorschlag?

Nein. Wie wichtig die Befragungen des Parlaments sind, hat sich in den Anhörungen von Buttiglione doch deutlich gezeigt. Deswegen kann ich jetzt kein Urteil vorwegnehmen. Ich selbst gehe aber davon aus, dass Kovacs, Frattini und der Lette Andris Piebalgs die Befragung durch das Parlament gut bewältigen werden. Ich kenne alle drei und traue ihnen das zu.

Könnte sich das Parlament unabhängig von den Veränderungen eine zweite Ablehnung überhaupt erlauben?

Das Parlament muss sich zunächst an seine eigenen Regeln halten. Und das bedeutet, dass es in den Ressorts, in denen es Veränderungen gab, Anhörungen stattfinden. Bevor sie nicht abgeschlossen sind, kann es keine endgültige Stellungnahme geben. Druck von außen gibt es nicht, den hat es auch – zumindest bei mir – nicht gegeben. Und ich lasse mich auch nicht unter Druck setzen.

Wenn Kanzler Gerhard Schröder öffentlich deutlich sagt, er wünsche sich eine schnelle Lösung, steht dahinter doch sicher ein gewisser Druck Ihres Parteifreundes.

Dass der Bundeskanzler sich eine rasche Lösung wünscht, verstehe ich. Das wünsche ich mir auch. Es kommt aber darauf an, welche Lösung gefunden wird. Und da sind der Bundeskanzler und ich einig: Wir wollen eine starke Kommission – und dafür braucht man starke Leute.

Medienberichten ist zu entnehmen, dass es enormen Druck auf die britischen und spanischen Abgeordneten Ihrer Fraktion gab, bereits dem ersten Vorschlag inklusive Buttiglione zuzustimmen. Die deutsche Regierung würde so etwas also nicht tun?

In Deutschland gibt es eine föderale Erfahrung, in der man die Unabhängigkeit verschiedener Ebenen kennt und deshalb unterschiedliche Auffassungen leichter akzeptieren kann. Berlin hat uns immer freie Hand gegeben, in europäischen Fragen auch europäisch zu entscheiden. Aber das ist in anderen Ländern anders.

Auch der neue Vorschlag versammelt in erster Linie Wirtschaftsliberale.

Eines ist bei dieser Kommission völlig klar: Es gibt eine deutliche Mehrheit konservativer und liberaler Regierungen in Europa. Und da diese die Kommissare benennen, gibt es auch dort eine entsprechende Mehrheit. Allein die Auswahl des Kommissionspräsidenten war ja bereits ein Ausdruck davon. Für uns Sozialdemokraten stellt sich die Frage, wie viel wir in einer solchen Situation durchsetzen können. Sechs Kommissare sind Sozialdemokraten, wir stellen mit Günter Verheugen und Margot Wallström zwei Vizepräsidenten, die wie z.B. auch Peter Mandelson in den Anhörungen auf große Zustimmung gestoßen sind. Wenn wir über die gesamte Kommission abstimmen, müssen wir auch daran denken.

War der Widerstand des Europaparlaments gegen Barrosos ersten Kommissionsvorschlag ein politischer Akt, bei dem sich eine linksliberale Mehrheit gesammelt hat?

Es ist sicherlich auch eine institutionelle Frage gewesen, in der das EU-Parlament klar gemacht hat: Im System der EU geht gegen das Parlament nichts. Aber darüber hinaus hat Barroso den Fehler gemacht, dass er – der ja eigentlich vom Europäischen Rat vorgeschlagen wurde – sich zum Kandidaten der Europäischen Volkspartei hat machen lassen. Man erinnere sich, wie Angela Merkel so getan hat, als sei sie die Drahtzieherin des Ganzen gewesen. Dadurch hat er eine Mehrheit aus Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Vereinigten Linken gegen sich mobilisiert.

Barroso will sich während seiner Amtszeit auf die Stärkung des europäischen Wirtschaftsraums durch mehr Wettbewerb und Liberalisierungen konzentrieren. Kann die Mehrheit, die sich gegen ihn herausgebildet hat, auch hier andere Akzente setzen? Wie steht es um das Projekt eines »sozialen Europa«, das gerade von linker Seite immer wieder propagiert wird?

Nehmen wir an, Barroso bekommt für diese Kommission eine Mehrheit, dann ist dies eine Mehrheit für den Beginn und keine Aussage über Mehrheiten im Gesetzgebungsverfahren. Die muss er sich von Fall zu Fall suchen. Er braucht 367 Stimmen im Parlament, um mit seinen Vorhaben durchzukommen. Die Vorgänge in Strasbourg beinhalten eine klare Botschaft: Ohne die Sozialdemokraten bekommt man diese Mehrheit nicht. Dort können wir auch aus einer Minderheitenposition, wenn ich an die Kräfteverhältnisse in Rat und Kommission denke, teilweise die Idee eines sozialen Europa durchsetzen.

Bei der Dienstleistungsrichtlinie, einem zentralen Liberalisierungsprojekt der EU-Kommission, stellt sich die Frage ganz konkret. Wo bleibt die Kontrolle des Marktes, wo bleibt die soziale Komponente?

Wir Sozialdemokraten sind uns im Klaren, dass es Marktöffnungen geben muss und auch geben sollte. Aber die Rahmenbedingungen für ein menschenwürdiges Dasein, Arbeiten und Leben kann niemals der Markt schaffen. Da ist der Staat in der Pflicht. Ich sehe die Strategien in der Kommission, auch noch den letzten kommunalen Friedhof den Wettbewerbsgesetzen zu unterwerfen; aber das ist mit uns nicht zu machen.