Bier statt Wein

Der Kleinstaat Luxemburg hat bis Juni die Präsidentschaft der 25 EU-Länder inne. Der Ratsvorsitzende Jean-Claude Juncker übt schon mal für den Posten des EU-Präsidenten. von danièle weber, luxemburg

Er ist der Chef des zweitkleinsten Staates Europas und darf doch ganz oben mitspielen. Jean-Claude Juncker, Luxemburgs Staats- und Finanzminister regiert zu Hause gerade einmal über 450 000 Menschen, bekannt ist er jedoch weit über die Grenzen des kleinen Großherzogtums hinaus. Nun steht der 50jährige Juncker, den Helmut Kohl gerne »Junior« nannte, bis Juni an der Spitze der Europäischen Union – und kann dort für den Job proben, den es derzeit in der EU noch nicht gibt, für den ihn jedoch so mancher EU-Politiker längst vorgesehen hat. Die Europäische Verfassung sieht einen von den Regierungen gewählten EU-Präsidenten vor, tritt die Verfassung in Kraft, muss dieser Posten besetzt werden.

»Alle wollen ihn«, resümierte im Juli vergangenen Jahres der EU-Abgeordnete Elmar Brok (CDU) die Stimmung auf der Brüsseler Politbühne, als es um die verzweifelte Suche nach einem neuen Kommissionspräsidenten ging. Ob Grüne, Sozialdemokraten oder Konservative – »Juncker for President« lautete damals die parteiübergreifende Devise. Doch der in Luxemburg gerade mit persönlichem Bestresultat wiedergewählte Christdemokrat trotzte allen Versuchungen. Er hielt das Wort, das er zu Hause seinen Wählern gegeben hatte und führte sein Amt als Premierminister weiter.

Wohl wissend, dass Luxemburg ab Januar 2005 sechs Monate die EU-Präsidentschaft innehaben würde. Eine Herausforderung, die sich Mister Europe nicht entgehen lassen wollte. Kaum jemals waren die Erwartungen an eine Ratspräsidentschaft so hoch. Juncker trat an, und tat nichts, um sie zu dämpfen. Im Gegenteil, die Agenda, die er vorlegte, ist mehr als ambitioniert. Ganz oben auf der Tagesordnung steht die Reform des Stabilitätspakts, gefolgt von einer Wiederbelebung der vor sich hindümpelnden Lissabon-Strategie, welche das Wirtschaftswachstum in der EU ankurbeln soll, und schließlich die Regelung des EU-Haushalts für die Jahre 2007 bis 2013.

Das sind alles Punkte, an denen sich die ehemaligen Ratsvorsitzenden bereits abgearbeitet haben. Doch der Luxemburger Hoffnungsträger soll es nun richten. »Junckers Reparaturwerkstatt« titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu Jahresbeginn. Die Zeitung traut dem »vielseitigen Politiker mit klaren Prinzipien« Höchstleistungen zu, wie die meisten anderen maßgeblichen Medien in der EU. Allerdings bringt die große europäische Aufgabe des Ratsvorsitzes den Kleinstaat allein schon logistisch an seine Grenzen. Um die über 220 Treffen, darunter zwei EU-Gipfel, zu organisieren, wurde von Studierenden bis zu pensionierten Diplomaten alles an Personal angeheuert, was das Großherzogtum herzugeben vermag. Aus den vergangenen Präsidentschaften wissen die Luxemburger: Die politischen Geschäfte zu Hause werden erst nach Ablauf der sechs Monate wieder so richtig in Gang kommen.

Doch das nimmt die Mehrheit der Luxemburger gelassen in Kauf. Immerhin wurde »das Volk Luxemburgs« bereits im Jahr 1986 von der Stadt Aachen mit dem Karlspreis geehrt – dafür, »dass es zu den überzeugten Europäern der ersten Stunde zählte«. Das Erfolgsrezept der Luxemburger Politik auf EU-Ebene ist simpel. Als Vertreter einer Mikro-Nation fällt es leicht, die eigenen Interessen hintanzustellen. Nicht zuletzt deshalb sehen viele in Juncker einen besonders Erfolg versprechenden Verhandlungsführer. Zudem mischt der nunmehr dienstälteste Regierungschef seit über 20 Jahren im europäischen Politgeschäft mit. Dabei vergisst der Sohn eines Stahlarbeiters trotz seiner christdemokratischen Herkunft nie, die soziale Komponente zu betonen. Und schließlich ist Juncker seit 1989 Finanzminister. Das macht ihn fit für die zähen Debatten um den Stabilitätspakt, von denen er im Ecofin, dem Rat der EU-Minister, bereits einige mitgemacht hat.

Während also der Luxemburger Premier bereits erste Erfolge auf der Suche nach Kompromissen in Sachen Staatsverschuldung und Wachstumsziele verzeichnen kann, ist auch der Rest seines Teams sehr »europäisch« unterwegs. Zum Beispiel Justiz- und Verteidigungsminister Luc Frieden, der Ende Januar seinen europäischen Kollegen die Prioritäten der Luxemburger Präsidentschaft in Sachen Sicherheitspolitik darlegte. Der 41jährige Shootingstar der Luxemburger Politik will vor allem die Instrumente der Strafverfolgung europäisieren. Eine grenzübergreifende DNA-Datenbank gehört ebenso zu den erklärten Zielen wie die Einführung eines europäischen Strafregisters. Wenn er nicht wie im Augenblick den Vorsitz des Ministerrates innehat, versteckt sich der konservative Innenminister hinter der angeblich »härteren« Linie seines deutschen Kollegen Otto Schily. Um ihn dann in so manchem nationalen Gesetzesentwurf, wie etwa dem Anti-Terror-Gesetz oder der Asylpolitik, rechts zu überholen. »Ich wünsche mir, dass wir in der Sicherheitspolitik europäischer denken«, betonte Frieden vergangene Woche. Unter Luxemburger Regie könnte so manches »europäische Projekt« vorwärts gebracht werden.

Auch die Medien könnten hier Beistand leisten. Kaum jemand genießt quer durch die europäische Landschaft ein so hohes Ansehen wie Juncker, der bereits lange vor seiner Präsidentschaft von einem Sender zum nächsten tingelte. Wenn es um die komplizierten Geschäfte der Europäischen Union geht, ist es nicht leicht, rhetorisch gute Gesprächspartner zu finden. Noch dazu spricht Juncker gleich drei EU-Sprachen in sendefähiger Qualität. Das zum Jahresende veröffentlichte Werk der österreichischen Journalistin Margaretha Kopeinig »Jean-Claude Juncker – der Europäer« ist exemplarisch für die Beliebtheit des Premierministers. Kopeinig ist voll des Lobes und dichtet Juncker Eigenschaften an, über die selbst eingefleischte JCJ-Fans zu Hause in Luxemburg die Stirn runzeln dürften. Da wird etwa der überzeugte Biertrinker Juncker kurzerhand zum Weinliebhaber – wahrscheinlich, weil dies besser ins Bild eines kultivierten Europäers passt.

Wie Kopeinig projizieren so manche Berichterstatter und Akteure ihre Visionen auf den Luxemburger Premier. »Der Europäer« jedoch gibt sich im Großherzogtum auch gerne mal nationalistisch. Wenn am 11. Juli die Luxemburger dazu aufgerufen sind, ihre Meinung zur europäischen Verfassung per Referendum kundzutun, wird dies eine rein nationale Angelegenheit bleiben. Über ein Drittel der Menschen, die im Kleinstaat leben, haben keinen luxemburgischen Pass, stammen jedoch aus einem EU-Land. Doch hier ist Schluss mit Europa. Denn die Luxemburger Verfassung lässt nur Staatsbürger zu einem Referendum zu. Und dieses nationale Grundgesetz wollte auch im Vorzeige-EU-Staat niemand wegen einer kleinen europäischen Affäre verändern.