Fatale Botschaft

Der Fall Schiavo von oliver tolmein

Für die Medien war das Ende der schwer hirngeschädigten Terri Schiavo in Florida ein Thema wie sonst nur Naturkatastrophen oder Kriege, an denen die westliche Welt aktiv beteiligt ist. Das Interesse am gezielt herbeigeführten Sterben der seit über 15 Jahren in einer Art Wachkoma lebenden Frau stand aber in einem auffälligen Missverhältnis zur Substanz der Berichterstattung.

Die deutschen Meldungen und Kommentare waren überwiegend von Stereotypen geprägt. Kaum eine Autorin, die vergessen hätte, über die »tragische Situation« zu sinnieren, kaum ein Schlagzeilentexter, der nicht die Sichtweise von Schiavos Ehemann Michael übernommen und wie selbstverständlich behauptet hätte: »Schiavo darf sterben.« Und auch der Hinweis darauf durfte nicht fehlen, dass in den USA, wo sich Präsident George W. Bush nun so für das Leben der Wachkoma-Patienten einsetzte, in Sachen Todesstrafe weniger »Kultur des Lebens« gefragt sei.

So wurde die juristische und moralische Auseinandersetzung um Leben und Tod einer schwerbehinderten Frau gleichzeitig als Fortsetzung der Auseinandersetzung zwischen dem guten Amerika Michael Moores und dessen finsteren christlich-fundamentalistischen Antipoden erzählt. Dazu passte es gut, dass in Deutschland gleichzeitig die mit mehreren Oscars prämierten Filme »Das Meer in mir« und »Million Dollar Baby« in die Kinos kamen. In ihnen geht es um Menschen mit schweren Behinderungen, deren Tod jeweils von den Regisseuren als zwar traurige, aber doch auch beste aller Lösungen eines »tragischen Schicksals« präsentiert wird.

Auffallend ist, dass es in den Filmen niemals andere sind, die den Tod der Menschen im Wachkoma fordern oder die Menschen mit Querschnittslähmungen den Lebensmut rauben. Die ProtagonistInnen verlangen in den Filmen selbst, dass ihnen aus dem Leben geholfen wird. Im wirklichen Leben hat Schiavos Mann Michael nur deshalb das Recht erhalten, den Abbruch ihrer künstlichen Ernährung zu veranlassen, weil es ihm gelungen ist, diesen Tod durch Verhungern und Verdursten als ihren eigenen Wunsch darzustellen. Tatsächlich ist es auch nicht auszuschließen, dass Menschen mit schweren Behinderungen freiwillig aus dem Leben scheiden und sich dafür möglicherweise fremder Hilfe versichern müssen, so wie auch Menschen ohne Behinderung sich bisweilen umbringen.

Fatal ist aber, dass in den Geschichten, die gegenwärtig auf der Leinwand und im Gerichtssaal erzählt werden, das Publikum den Todeswunsch nur allzu verständlich findet und sich mit einem zustimmenden »so möchte ich auch nicht leben« weit zurücklehnt, statt Phantasie zu entfalten, wie das Leben der Betreffenden vielleicht auch trotz schwerer Behinderung gut zu leben sein könnte.

Dass statt der Zivilgesellschaft ausgerechnet die Bush-Administration sich tatkräftig auf die Seite der Bedrohten stellt, macht deren Anliegen nicht weniger dringend. Die christliche Rechte wird dadurch zwar keinesfalls zum Bündnispartner, zumal Bush, der im Fall Schiavo bei Bedarf kurzerhand ein Einzelfallgesetz durchsetzte, damit die gleiche ruppige Art im Umgang mit dem Recht an den Tag legte, die ihn auch schon bei anderen Gelegenheiten als Staatsmann mit Hang zum Autoritären gezeigt hat. Dass die Gerichte die Möglichkeiten, die diese Gesetze ihnen gegeben haben, nicht nutzten, ist auch als Protest gegen diese politische Einflussnahme auf die Justiz zu interpretieren.

Solange in weiten Teilen der Gesellschaft, die sich der Aufklärung verpflichtet wissen, aber die diskriminierende Sicht auf schwere Behinderungen beherrschend bleibt, die nun den Tod Schiavos herbeiführen, fehlt ihnen die Legitimation zur moralischen und politischen Empörung über Bushs Vorgehen.