Gib mir mein Herz zurück!

Auf sein großartiges Favela-Epos »City of God« lässt der Regisseur Fernando Meirelles einen Breitwand-Klopper um Liebe und Menschenversuche folgen. von thomas blum

Es ist immer wieder dieselbe Geschichte: Es gibt Menschen auf der Welt, die aus Geldgier und Niedertracht böse Dinge tun. Und es gibt Menschen, die davon Wind bekommen und trotz aller Widerstände nicht ruhen, um am Ende die Verschwörung aufzudecken und die Bösen, die stellvertretend stehen für alles Böse auf der Welt, zu überführen, auf dass alles wieder gut wird. So weit erst mal ein sauberer Plot, mit dem man im Grunde nicht allzu viel falsch machen kann.

Damit die Abenteuer- und Politthrillerkolportage nicht fade wird – schließlich müssen über zwei Stunden Breitwandkino mit hohem Emotionsfaktor durchgestanden werden ­–, muss auch das Thema vorkommen, das alle Menschen am meisten interessiert: die Liebe.

Im Mittelpunkt steht immer die zentrale Iden­tifikationsfigur, der männliche Held (Ralph ­Fiennes), der wohlhabend, gebildet, vertrauenerweckend, aufrichtig und adrett sein muss, der ein bisschen gequält und gedankenverloren dreinschauen und immer so aussehen muss, als würde er unfassbar gut riechen, und der Augen haben muss, die eine Frau niemals wieder vergisst. Ein wenig sollte er wirken wie ein Kind, ein bisschen hilflos und zögerlich, aber nicht zu viel, wie gesagt, nur andeutungsweise. Das ist der moderne Mann.

Und immer findet sich in diesem Sumpf aus Gemeinheit und Korruption, den es zu be­kämp­fen gilt, an der Seite des modernen Mannes eine junge, attraktive Heldin mit einem strahlenden Lächeln und einem Herzen aus Gold (Rachel Weisz). Sie muss als Identi­fi­ka­tions­figur für alle Frauen herhalten. Sie ist die moderne Frau. Deshalb muss sie heutzutage nicht nur selbstbewusst, klug, stark, charmant und schön sein, sondern auch schwanger und verliebt, und sie muss politisch engagiert sein und ein soziales Gewissen haben. Beide, männlicher Held und weibliche Heldin, müssen einen schwarzen, homosexuellen Freund und Arbeitskollegen haben, damit auch Minder­heiten sich unter den Guten wiederfinden können. So hätten wir erst mal die wichtigsten Zutaten beisammen.

Jetzt kann’s losgehen: Die moderne Frau begleitet ihren Liebsten, einen britischen Diplomaten, nach Afrika. Exotik. Abenteuer Afrika. Ja, es stimmt: Nur im Kino ist Kino wirklich Kino. Weite Landschaften, rasante Schnittfrequenz, nervöse, hektische Kamerabewegungen, treibende, folkloristische Musik. Wir sind mittendrin im Straßenleben Afrikas. Afrika ist ein buntes Land, in dem alles ganz turbulent ist und in dem es hoch her­geht, mit vielen bitterlich armen, aber bunt gekleideten schwarzen Menschen und zahllosen kleinen Kindern, die große Kulleraugen haben und die herzzerreißend in die Kamera hineinschauen. Ah, Afrika! Doch etwas ist faul im Staate Kenia, das stellt sich bald heraus. Die Bösen, ein Pharmakonzern (wunderbarer Slogan: »The World is our Clinic«) und seine Helfershelfer, ein paar geldgierige Politiker, treiben Schindluder mit den Menschen dort, benutzen die Bevölkerung des Kontinents als Experimentiermasse, in großem Stil machen sie Versuche an arglosem afrikanischem Menschenmaterial, indem sie gefährliche Medikamente mit tödlicher Wirkung an ihm testen. Unsere Heldin, die moder­ne Frau, kriegt das spitz, und schon ist man mittendrin im sich fortan ohne jeden Hauch einer spitzfindigen oder geistreichen Wendung abspulenden Kriminalfilm, der »Abenteuer, soziale Relevanz und Emotion vereint« (Presse­text), also sozusagen drei Fliegen mit einer Klappe schlägt.

Die Romanvorlage zum Film stammt vom Bestsellerautor John Le Carré der seit Jahrzehnten dicke Taschenbuchwälzer produziert, in denen immer dieselben Spionage- und Politkrimiabenteuer ohne jede geistreiche Wendung abgespult werden.

Gedreht hat diesen Schinken um Verbrechen und Liebe, der sich mittels unchronologischen Erzählens, hektischer Montage und zackiger Schwenks den Anschein von Filmkunst geben will, der brasilianische ehe­malige Werbefilmregisseur Fer­nando Meirelles, der vor drei Jahren mit einem Film über Drogen und Gewalt in den brasilianischen Favelas (»City of God«) Aufmerksamkeit erregte.

Bisweilen gibt es auch in seinem neuen Film hübsche harte Schnitte, etwa von den kurzen Sequenzen eines nachmittäglichen, sonnendurchfluteten Schäferstündchens in weiß erstrahlenden Bettlaken direkt zu einer Kamerafahrt entlang verstümmelter Leichname in einer Leichenhalle. Das ist schön gemacht, bleibt jedoch die Ausnahme.

Bei aller Erwartbarkeit im unerschütterlich eindimensionalen Handlungsablauf ist dieser Film, was er auch gar nicht zu verbergen trachtet, vor allem eines, nämlich eine beinharte, ordentliche Romanze, und zwar eine, die sich gewaschen hat: Liebe, Leidenschaft, innige Zweisamkeit, die – nachdem es zwischendurch eine Fehlgeburt gegeben hat, damit’s nicht langweilig wird und das Herz­schmerz­konto immer gut gefüllt ist – grausam zerstört wird von der sinnlos waltenden, rohen Macht des Schicksals. Die moderne Frau nämlich muss sterben, weil sie ein bisschen zu menschenrechts­besessen und auf zu neumodische Art weiblich ist, weil ihre bedingungslose Liebe zu Wahrheit und Gerechtigkeit und ihr Gewissen sie dazu getrieben haben, ih­re Nase zu tief in Dinge zu stecken, die sie nichts angehen. Von bösen Schergen wird sie umgebracht, denn sie ­– warum wird man in romantischen Politthrillern umgebracht? – wusste zu viel. Der moderne Mann aber, der nun leidet und trauert um den Verlust seiner Gefährtin, setzt sich in den Kopf, das menschenverachtende Komplott, dem seine Liebs­te auf der Spur war und dem sie zum Opfer fiel, bis in den letzten Winkel aufzudecken, wenn er auch durch den wiederum allzu erwartbaren ganzen Thrillerquatsch hindurchmuss: rätselhafte Dokumente, Verrat, Lüge und Gewalt. Sei’s drum. Er hat eine Mission, die darin besteht, den Bösen auf die Schliche zu kommen und dafür zu sorgen, dass ihr Treiben zum Wohle der Menschheit beendet wird.

Dann nämlich ist der Zuschauer im Kino wieder versöhnt, der von dieser ganz und gar überraschungslosen Geschichte bereits furchtbar gelangweilt wäre, wenn es nicht zwischendurch immer mal wieder um die Liebe, den Verlust des geliebten Menschen, den Schmerz und die Erinnerung ginge.

Und welches Schicksal erwartet den modernen Mann? Wendet er sich mit gesammelten Kräften neuen Aufgaben zu? Überwindet er den schmerzvollen Verlust seiner Geliebten? Oder folgt er ihr gar, nun, wo seine Mission erfolgreich beendet ist, überwältigt von sehn­suchtsvollen Erinnerungen an die Vergangenheit, schicksalsergeben in den Tod, damit beide dort vereint sind bis in alle Ewigkeit? Nun, das wird nicht verraten.