Sei immer nett zum Gemüsehändler!

Bewerbungstraining als Fulltime-Job: Die US-amerikanische Journalistin Barbara Ehrenreich hat es ausprobiert. von birgit schmidt

Wer arbeitslos ist, kennt das: stundenlanges Warten in der falschen Schlange, tagelanges Ausfüllen inquisitorischer Fragebögen, gereizte Sachbearbeiter und die zunehmende Bürokratisierung des Tatbestands Arbeitslosigkeit. Wer seinen Job verliert, muss das heutzutage schon lange vorher gewusst und gemeldet haben – und dann direkt zum Bewerbungstraining marschieren.

Bewerbungstraining – das hat zumindest den Nebeneffekt, dass zahlreiche ansonsten arbeitslose oder unterbezahlte JournalistInnen, GermanstInnen, PolitologInnen etc. auf Honorarbasis Tipps für die Jobsuche loswerden können, die ihnen selbst nichts genützt haben. Das ist sinnvoll, das weist den Weg, und wer vermag heutzutage zu sagen, wie viele Beratende und Helfende dem oder der Arbeitslosen unterstützend zur Seite stehen wollen? Gegen Bares versteht sich. Es gibt Bewerbungs- und KommunikationstrainerInnen, Mediation und Farbberatung (Sind Sie der Sommer-, Herbst-, Frühlings- oder Wintertyp?), es gibt Coaching auf allen sozialen Ebenen und wahrscheinlich auch in diesem Bereich schon längst eine besondere Form des Feng Shui.

Doch es kommt noch dicker. Das lässt zumindest der Blick vermuten, den uns die US-amerikanische Schriftstellerin Barbara Ehrenreich auf den amerikanischen Markt der Arbeitssuche werfen lässt. Für ihr neues Buch »Qualifiziert & arbeitslos. Eine Irrfahrt durch die Bewerbungswüste« legte sie sich einen anderen Namen und eine fiktive Berufsbiografie zu und machte sich auf die Suche nach einem gut dotierten Job mit Krankenversicherung.

Anständig bezahlt und krankenversichert – damit gilt man als Mittelschichtler, von dem angenommen wird, dass er auch in arbeitslosem Zustand noch über einige Ersparnisse verfügt. Und das weckt Begierden. In den USA bei den rund 10 000 so genannten Karrierecoachs, deren Zahl sich, laut Barbara Ehrenreich jedes Jahr verdoppelt. Einige von ihnen hat sie ausprobiert: Morton beispielsweise, der mit Puppen aus »Der Zauberer von Oz« arbeitet. (Sind Sie der Löwe oder die Vogelscheuche?). Mit Joanne, die ihr empfiehlt, die Worte »ich« und »mein« aus den Bewerbungsunterlagen zu entfernen. Und mit Kimberley, deren aufgeregtem Psy­cho­ge­quas­sel sie sich schnell nicht mehr gewachsen sieht. Denn das lautet beispielsweise so: »›Was macht Ihnen Sorge?‹ ›Mein Alter zum Beispiel.‹ ›Dann besteht der Trick darin, Ihr Alter zu vergessen. Wie alt wären Sie gerne?‹ Ich erkläre ihr, dass ich mich mit meinem tatsächlichen Alter ganz wohl fühle, aber das wird ihren Erwartungen eindeutig nicht gerecht. Sie ergeht sich in Erläuterungen über den Unterschied zwischen dem ›biologischen‹ und dem ›chronologischen‹ Alter, und obwohl ich darauf bestehe, dass ich froh bin, die zu sein, die ich bin, lässt sie sich nicht davon abbringen. ›Würden Sie sagen, Sie fühlen sich wie 37?‹ Ehrlich gesagt, fühle ich mich viel besser als mit 37, aber was soll’s, ich erkläre mich einverstanden, ihrer fixen Idee zu folgen, dass 37 mein ›bio­logisches Alter‹ ist. ›JA? Dann SIND Sie 37!‹ verkündet sie triumphierend.«

Nun, all das nennt sich Übergangsindustrie, erfährt man von Ehrenreich, und dass diese immer größer und infantiler wird. Und dass es, wenn man seinen Gemüsehändler freundlich grüßt, durch­aus als »Networking« zu bezeichnen ist. Aber: Tragen Sie immer korrekte Kleidung, denn es könnte ja sein, dass er jemanden kennt, der jemanden kennt, der eventuell den passenden Job für Sie hat.

Barbara Ehrenreich ließ sich richtig auf die Sache ein. Sie surfte täglich mehrere Stunden im Internet, ging dann ins Fitness-Studio, ließ sich coachen, farb- und stilberaten, kleidete sich neu ein, networkte in mehreren Städten der USA und überarbeitete immer wieder und mit vorgeblich professioneller Hilfe ihre Bewerbungsunterlagen. Sie übte die so genannte elevator speech, die eine dreiminütige mitreißende Selbstdarstellung sein soll, unterzog sich diversen Persönlichkeitstests, die mittels Versatzstücken aus dem Sufismus, dem Buddhismus, der jesuitischen Philosophie, aus keltischer und numerologischer Weisheit konzipiert wurden, und gelangte – natürlich – zu einander diametral entgegengesetzten Ergebnissen. Und sie ließ sich einbläuen, dass es nur und ausschließlich an ihr liegen könne, dass sie immer noch ohne Job war.

Die Arbeitssuche wurde zu einem Fulltime-Job, und entsprechend wird die Stellensuche in US-amerikanischen Büchern zum Thema als »Arbeit« bezeichnet; Ehrenreich zitiert aus einem Wirtschaftsbestseller: »›Wenn Sie eine Stelle haben, genießen Sie vielleicht den Luxus, von 9 Uhr bis 17 Uhr zu arbeiten. Wenn Sie eine Stelle suchen, sollten Sie von 12 bis 16 Stunden am Tag ausgehen.‹«

Nach mehr als einem halben Jahr erhielt sie ihr erstes Stellenangebot: als Versicherungsvertreterin auf Provisionsbasis. Die Alternative wäre gewesen, als eine Art Avon-Beraterin zu jobben. Oder einen der Jobs zu übernehmen, die die Journalistin und Bestseller-Autorin in ihrem 2001 erschienenen Buch »Arbeit poor. Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft« beschrieben hat. Sie konstatiert bitter: »So habe ich also nach fast sieben Monaten Stellensuche, einem Imagewechsel, einem für teures Geld überarbeiteten und später aktualisierten Lebenslauf sowie Networking-Treffen in vier Städten genau zwei Angebote bekommen: von Aflac und von Mary Kay. Aber es sind keine Stellen, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie ich sie mir zu Beginn dieses Projekts vorgestellt hatte, da sie kein Gehalt, keine Sozialleistungen und keinen Arbeitsplatz bieten.«

Wozu das alles also? Barbara Ehrenreich ist keine Linksradikale, nur eine Vernünftige. (So plädiert sie beispielsweise vehement für Hillary Clintons Ziel, allen US-AmerikanerInnen eine Krankenversicherung unabhängig von ihrer Berufs- bzw. Jobsituation zu ermöglichen.) Aber auch sie träumt davon, welch positive Auswirkungen es haben könnte, wenn Arbeitslose – statt sich 16 Stunden am Tag mit einer ergebnislosen Arbeitssuche zu beschäftigen – endlich einmal richtig networken würden. Und zwar gemeinsam. In ihrem Sinne.

Barbara Ehrenreich: Qualifiziert & arbeitslos. Eine Irrfahrt durch die Bewerbungswüste. Antje Kunstmann, München 2006, 253 Seiten, 19,90 Euro