Balkenende am Ende

Die Islamkritikerin Hirsi Ali wurde von der niederländischen Regierung wiederholt schikaniert. Daran zerbrach in der vorigen Woche die Regierungskoalition. von kerstin eschrich

Als gewiefter Politiker hat sich Jan-Peter Balken­­ende nicht gerade erwiesen. Während der Kampagne gegen die Parlamentarierin Ayaan Hirsi Ali, der vorgeworfen wurde, ihre Einbürgerung mit falschen Angaben erschlichen zu haben, unterstützte der niederländische Ministerpräsident seine Kollegin aus der Regierungskoalition nicht. Auch als in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass die Integrationsministerin Rita Verdonk Druck auf Hirsi Ali ausübte, um ihr ein Schuldeingeständnis abzupressen, hielt er nicht zu ihr. Wenige Tage später musste seine Regierung dann genau deswegen zurücktreten. Ali, die bekannte Kritikerin des Islams, kann nun ungehindert in die USA auswandern.

Die Auswanderung hat ihr ihre Parteikollegin Verdonk von der rechtsliberalen Volkspartei VVD nicht einfach gemacht. Um ein Visum für die USA beantragen zu können, benötigte Ali, die dort ab September in einem konservativen Think Tank arbeiten wird, einen gültigen Pass. Den hatte ihr Verdonk allerdings seit Mitte Mai verweigert; kurzerhand hatte Verdonk Ali die Staatsangehörigkeit entzogen. (Jungle World, 21/06) Das brachte ihr viel Beifall von Islamisten ein. Die gebürtige Somalierin habe sich die Einbürgerung mit falschen Namens- und Geburtsangaben erschlichen, sagte Verdonk, die einst als Gefängnisdirektorin gearbeitet hat, ungerührt und zitierte eines ihrer Lieblingsmottos: »Eine Regel ist eine Regel und ein Gesetz ist ein Gesetz.«

Am Dienstag der vergangenen Woche machte sie die Ausbürgerung schließlich überraschend rückgängig. Die im Jahr 1997 erfolgte Einbürgerung sei »bei rechtem Licht betrachtet« nicht in Zweifel zu ziehen, behauptete sie nun. Ein Großvater von Hirsi Ali soll ebenfalls diesen Nachnamen getragen haben. Im Gegenzug erpresste Verdonk von ihrer Parteikollegin ein öffentliches Schuldeingeständnis. Ali ließ sich notgedrungen darauf ein und verfasste ein entsprechendes Schreiben. Der Tageszeitung Standard zufolge sagte sie allerdings kurz darauf in ihrer neuen Heimat: »Ich hätte lieber eine andere Erklärung unterschrieben, aber ich war unter Zeitdruck.« Gleichzeitig meinte sie vorausschauend: »Diese Ministerin muss noch viel lernen.«

Zwei Tage später war die Regierungskoalition am Ende. Der kleinste Koalitionspartner, die linksliberale D 66, hat am Donnerstag wegen der schlechten Behandlung Alis die Regierung verlassen. Balken­ende kündigte daraufhin den Rücktritt seiner Regierung an. Im November sollen vorgezogene Neuwahlen stattfinden. Die linksliberale Opposition rechnet sich hierfür gute Chancen aus, da sie in Umfragen derzeit vor den Christdemokraten von Balkenende liegt.

Dass sich D 66 aus der Regierung verabschiedete, ist vor allem dem Betreiben der neuen Parteivorsitzenden, Lousewies van der Laan, zu verdanken. Sie gehört zum sozialliberalen Flügel der Partei, dem die Politik der Koalition noch nie zusagte. Van der Laan hatte bereits während einer Nachtsitzung des Parlaments von Mittwoch auf Donnerstag der vergangenen Woche Verdonks Rücktritt gefordert. Balkenende gestand in der nächtlichen Debatte zwar indirekt ein, dass Ali erpresst worden sei, Konsequenzen zog er daraus aber nicht.

In den vergangenen Jahren kam Verdonk bei der Bevölkerung mit ihrer unbarmherzigen Abschiebepolitik gut an. Kurz vor der WM verweigerte sie, getreu ihrem Motto »Gesetz ist Gesetz«, einem der besten Spieler in Holland, Salomom Kalou, die schnelle Einbürgerung. Er sei nur ein mittelmäßiger Spieler und wolle mit dem Pass zu einem anderen europäischen Verein wechseln, vermutete sie. Nun wird sie auch für das schlechte Abschneiden der Mannschaft bei der WM verantwortlich gemacht. Kalou wird in Zukunft für den englischen Meister FC Chelsea spielen, und Verdonk muss wohl wirklich noch einiges lernen.