Ein Deutscher foltert nicht

Die Bundeswehr dementiert die Behauptung von Murat Kurnaz, er sei in Afghanistan von deutschen Soldaten gefoltert worden. von peer heinelt

Wie sich die Meldungen doch gleichen: »Die Bundeswehr prüft Folter-Vorwürfe«, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung Ende Mai 2004. Damals ging es um die Vorgänge in einem von deutschen Soldaten geleiteten Gefängnis in Prizren im Kosovo. In der vorigen Woche war es der Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), der eine »konsequente« Prüfung ankündigen musste. Denn wieder einmal sind Soldaten der Bundeswehr in den Verdacht geraten, einen Gefangenen gefoltert zu haben.

Der Türke Murat Kurnaz, der »Bremer Taliban«, wie er gerne genannt wird, reiste im Jahr 2001 nach Pakistan, um, offenbar bestärkt von seinem islamistischen Umfeld, eine Koranschule zu besuchen. Dort wurde er bei einer Polizeikontrolle unter dem Vorwurf, seine Reisedokumente gefälscht zu haben, festgenommen. Die pakistanischen Behörden überstellten ihn an das US-Militär, das ihn als »feindlichen Kämpfer« einstufte und zunächst in einem Lager im afghanischen Kandahar, später auf Guantánamo auf Kuba festhielt. In Kandahar wurde er nach eigenen Angaben irgendwann zwischen Ende Dezember 2001 und Anfang Januar 2002 von deutschen Soldaten misshandelt.

Den Vorgang hat Kurnaz der Illustrierten stern so geschildert: »Ich war noch keine zwei Wochen dort, da wurde ich abends hinter zwei Lastwagen geführt. Es hieß, zwei deutsche Soldaten wollten mich sehen. Sie trugen Camouflage-Uniformen, und sie trugen die deutsche Flagge am Ärmel. Ich musste mich hinlegen, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Der eine zog mich an den Haaren hoch. ›Weißt du, wer wir sind?‹ Der wollte angeben. ›Wir sind die deutsche Kraft.‹ (…) Er hat jedenfalls meinen Kopf auf den Boden geschlagen, und die Amerikaner fanden das lustig.« Außerdem sagte Kurnaz, der sich nach seiner Freilassung im August wieder nach Deutschland begab, dass er nicht, wie bisher bekannt, auf Guantánamo ein Mal von deutschen Beamten verhört worden sei, sondern zwei Mal.

Beide Behauptungen wurden in der vorigen Woche schnell dementiert. Das Bundeskanzleramt informierte den Vorsitzenden des par­lamentarischen Kontrollgremiums, Norbert Röttgen (CDU), schriftlich darüber, dass Murat nur ein Mal, im September 2002, von deutschen Beamten vernommen worden sei. Der Sachverhalt ist brisant, denn sollte Kurnaz Recht haben, hätte die Bundesregierung das Parlament falsch unterrichtet. Das Kanzleramt weist darauf hin, dass es auszuschließen sei, dass einer der drei Beamten, die am ersten Verhör beteiligt waren, noch einmal nach Kuba geflogen sei. Hierzu lägen dienstliche Erklärungen der Beamten vor.

Das Verteidigungsministerium gab in der vorigen Woche bekannt, es habe keinerlei Anhaltspunkte, dass Kurnaz von deutschen Soldaten misshandelt worden sei. Man verlange aber von allen in Frage kommenden Soldaten eine dienstliche Erklärung. Sollen sich die Beschuldigten erst einmal selbst entlasten? Es kann sich offenbar nur um Angehörige des Kommandos Spezialkräfte (KSK) handeln, da zur fraglichen Zeit keine anderen deutschen Soldaten im Süden Afghanistans im Einsatz gewesen sind. Der Spiegel berichtet indes, dass »nach ersten Erkenntnissen der Bundeswehr« das KSK Ende 2001 noch auf einer Insel vor Oman stationiert gewesen sei.

Dass interne Untersuchungen der Bundeswehr jemals ans Tageslicht bringen, ob an den Äußerungen von Kurnaz etwas dran ist oder nicht, ist fraglich. Sicher aber ist, dass es nicht das erste Mal wäre, dass deutsche Soldaten Misshandlungen begangen oder entsprechende Ausbildungen durch­laufen hätten. So belegen Disziplinar­akten der Bundeswehr, was deutsche Soldaten im Jahr 1999 in einem Gefängnis von Prizren taten: Einem Gefangenen wurde ein Schild mit der Aufschrift »Ich bin ein Dieb« umgehängt; zwei andere Gefangene wurden mit Draht aneinander gefesselt.

Im Jahr 1996 haben Angehörige des Gebirgsjägerbataillons 571 aus Schnee­berg in Sachsen die Vorbereitung auf ihren Einsatz in Bosnien dokumentiert. Ihr Video zeigte u.a. Soldaten, die eine Frau – filmisch nachgestellt – vergewaltigen und kreuzigen, einen an einen Baum Gefesselten erschießen und einer weiteren Person die Kehle durchschneiden. Ein in Hammelburg stationierter Soldat sagte später der Berliner Zeitung, dass diese Szenen ­exakt den Ausbildungsalltag widergespiegelt hätten; ein Psychologe habe seinerzeit die Reaktionen der Anwesenden auf die simulierten Gräuel ausgewertet.

Auf die Betreuung durch einen Psychologen meinten die Ausbilder der Coesfelder Freiherr-vom-Stein-Kaserne im Sommer 2004 getrost verzichten zu können; schließlich kannte jeder der ihnen unterstellten Rekruten das Codewort »Tiffy«, dessen Nennung den Betreffenden sofort von der Teilnahme an einer simulierten Geiselnahme entbunden hätte. Mehrere Soldaten erstatteten später Strafanzeige wegen entwürdigender Behandlung und Misshandlung durch Vorgesetzte. Man hatte sie ihren Aussagen zufolge u.a. in einer Sandgrube mit Wasser bespritzt und ihnen in die Hoden getreten; anderen sollen in einem Kellerverlies Beutel über die Köpfe gestülpt worden sein, um sie dann mit Stromschlägen, einer brennenden Zigarette oder einer an den Kopf gehaltenen Pistole zu quälen. Inzwischen ist die von der Staatsanwaltschaft Münster erhobene Anklage gegen 18 mutmaßlich daran beteiligte Ausbilder in vollem Umfang zugelassen; der Prozess soll im März kommenden Jahres beginnen.

Im Rahmen ihrer Verteidigung könnten sich die Angeklagten jedoch auf höchste Dienststellen der Bundeswehr berufen. So empfiehlt das Zentrum Innere Führung in seinen Richtlinien über den »Umgang mit Verwundung und Tod im Einsatz« psychischen »Drill«, um Soldaten gegen traumatisierende Situationen zu wappnen. Die Ausbilder werden aufgefordert, ihre Untergebenen »bis an die Grenze der körperlichen, geistigen und seelischen Belastbarkeit zu beanspruchen«. Die von der Militärbehörde entwickelte Trainingsmaßnahme »Geiselhaft und Gefangenschaft« soll den Soldaten vermitteln, dass es »keinen Freibrief« dafür gebe, »schon bei der leisesten Andeutung von Folter sein Wissen oder sich selbst preiszugeben«.

Wer eine solche Ausbildung absolviert hat, dürfte im Umgang mit einem Feind, dem die simulierten Gräuel offenbar zuzutrauen sind, weniger Skrupel haben. Das könnte im Einsatz von Nutzen sein. Der Auftrag der Eliteeinheit KSK etwa ist nicht nur die präventive »Abwehr feindlicher Kräfte und verdeckt operierender Gegner«, wie die Bundeswehr einräumt, sondern auch das »Gewinnen von Schlüsselinformationen für die politische und militärische Führung über die Lage in Einsatzgebieten, gegnerische Einrichtungen, Truppenbewegungen, Stellungen, Personen, etc.«. Wer wollte es den harten Jungs verdenken, wenn sie zu diesem Zweck im Verhör ein bisschen hinlangen?

Zumindest häufen sich Berichte darüber, dass deutsche Beamte und Militärs in zweifelhafte Verhörmethoden verwickelt seien. Immerhin hatten deutsche Polizei- und Geheimdienststellen in mindestens drei weiteren Fällen kein Problem damit, in Haft gefolterte Menschen zu vernehmen, etwa Khaled al-Masri in Afghanistan oder Haydar Zammar in Syrien. (Jungle World, 50/05)

Die Süddeutsche Zeitung berichtet jedoch, dass es »in Regierungskreisen« völlig anders dargestellt werde. Als mögliche Erklärung für die Aussage von Kurnaz, dass er auf Guantánamo zwei Mal von Deutschen verhört worden sei, wird angeführt, »dass ein gut Deutsch sprechender Amerikaner, der bei der ersten Befragung anwesend gewesen sei, später noch einmal Kurnaz aufgesucht habe«. Am Ende sind es immer die Amerikaner.