Ein starker Franzose

Nicolas Sarkozy präsentiert sich im Wahlkampf als »starken Mann«, der den Menschen die Angst nehmen will. Ordnung, Staat und Religion sind dabei seine wichtigsten Themen. von bernhard schmid, paris

Er darf sich rühmen, in manchen sozialen Milieus in Frankreich der meistgehasste Mann zu sein. Und doch scheint der konservative Innenminister und Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy aktuellen Umfragen zufolge beste Aussichten darauf zu haben, die Wahl des nächsten Staatsoberhaupts am 22. April und 6. Mai zu gewinnen. Dass ihm derzeit ein Sieg prophezeit wird, liegt aber auch an der Serie von Pannen im Wahlkampf seiner wichtigsten Gegenkandidatin, der Sozialdemokratin Ségolène Ro­yal. Manche Beobachter meinen allerdings, dass das Umfeld Sarkozys sich zu früh in Sicherheit wiege, was auch der Kandidat selbst seinen Wahlkampfbeauftragten ständig einzuhämmern versucht. Denn noch kann die Stimmung sich plötzlich ändern.

Mögliche Gegner hat der Innenminister nicht nur in Immigranten und Jugendlichen aus den Trabantenstädten, deren Devise für die Präsidentschaftswahl »Tout sauf Sarkozy« (Alles außer Sarkozy) lautet. Auch Gewerkschaften und Organisationen von Beschäftigten im öffentlichen Dienst ge­gen­über ist er misstrauisch. Um sie handlungsunfähig zu machen, hat er bereits angekündigt, eines seiner ersten Gesetze in den zwei Monaten nach der Wahl werde darin bestehen, das Streikrecht einzuschränken.

Ein namentlich nicht näher bezeichneter Berater Sarkozys wurde am Freitag in Le Monde mit den Worten zitiert: »In den drei Monaten, die auf seine Wahl folgen, wird Monsieur Sarkozy eine Reform des Arbeitsrechts, des Kündigungsschutzes, der Arbeitslosenversicherung und der Kontrolle der Arbeitslosen sowie der Berufsausbildung vorschlagen. Die Bedingung für die Reform ist eine Änderung des Streikrechts.« Mit anderen Worten: Um in Ruhe »reformieren« zu können, müssen zuvor den Gewerkschaften und potenziellen Streikbewegungen die Zähne gezogen werden.

Und dennoch hat der Kandidat eine große Anhängerschaft. Er verkörpert den starken Mann, der vielen Menschen Vertrauen einflößen und ihnen die Angst vor einer unsicheren Zukunft nehmen soll. Seine zentrale programmatische Aussage lautet: »Ich«. Die Lösung für alle gesellschaftlichen Probleme liegt, folgt man ihm, in seinem politischen Willen, in einem Voluntarismus, der es angeblich schafft, Interessen der Wirtschaft und soziale Bedürfnisse gleichzeitig zu bedienen. Denn mit Sarkozy als künftigem Präsidenten würden endlich wieder die Ärmel hochgekrempelt, damit die Ökonomie wieder brummt. Weltoffenheit und Abwehr unerwünschter Immigranten stehen in seinem Wahlkampf nicht im Widerspruch zueinander, ebenso wenig wie gaullistische Rhetorik und eine starke Annäherung an die US-Ad­mi­nis­tra­tion von George W. Bush.

Der Kandidat pries bei einem Treffen in Toulon, einer früher von Rechtsextremen regierten Großstadt, am Mittwoch der vergangenen Woche die französische Kolonisierung Algeriens als Ausdruck eines behaupteten »Zivilisierungsideals« und wies die Forderung zurück, Frankreich solle in dieser Hinsicht Selbstkritik üben. Zugleich lobte er die »Mischung der Kulturen«.

Das eine bringt ihm den Beifall der äußersten Rechten ein, das andere unterscheidet ihn von ihr. Sarkozy ist kein Blut-und-Boden-Rassist. Aber er zögert auch nicht, Immigranten, die Sarkozy ohnehin nicht wählen können, einem von ihm als Wählerschaft umworbenen Publikum zum Fraß vorzuwerfen, wenn er es für angebracht hält. So will er Sans papiers stärker als bisher von grundlegenden Rechten wie dem auf medizinische Versorgung ausschließen. Vom »Recht auf Wohnraum«, das gerade im Gesetz festgeschrieben werden soll, will Sarkozy auch »legal« in Frankreich lebende Immigranten ausgenommen wissen.

Der »Kampf gegen die Unsicherheit«, den Sarkozy verkörpern will und den er als premier flic de France, wie einige ihn voller Anerkennung, andere aber auch in ironischer Absicht nennen, mit Law-and-Order-Methoden führt, ist dabei nur eine Chiffre für das Bedürfnis nach Schutz vor Zukunftsangst. Eine andere Facette davon ist sein Insistieren auf der positiven Rolle der Religionen und Konfessionsgruppen, denen er eine wichtige Aufgabe als Trägern von »Hoffnung und Zuversicht« zuspricht. Sarkozy stellt seit nunmehr zwei Jahren offen den französischen Laizismus in Frage, der auf dem Gesetz von 1905 zur Trennung von Kirche und Staat gegründet ist.

Mit diesen Themen hat er einen neuen Bündnispartner gefunden. Sein Buch »Die Religionen, die Republik und die Zuversicht«, das Ende 2004 in Frankreich erschien, wurde in der italienischen Übersetzung mit einem Vorwort von Gianfranco Fini, dem Vorsitzenden der postfaschistischen Partei Alleanza Nazionale, publiziert. Wie erst vorige Woche in Frankreich durch einen Bericht von Libération bekannt wurde, hat Fini auch Sarkozys neuestes Buch, »Zeugnis«, das im vorigen Sommer auf Französisch und jüngst auf Italienisch erschien und eher vermischte Ansichten des Ministers enthält, mit einem Vorwort versehen.

Gianfranco Fini verkörpert nicht einen primär rassistischen und antisemitischen Bewegungsfaschismus, sondern eher das Streben nach Staats­autorität, Familie und Ordnung. Insofern ist er eher ein passender Weggefährte für Sarkozy als der französische Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen. Aber vielleicht wird das Bündnis mit Fini es Sarkozy erleichtern, seinen alten Traum zu verwirklichen und einen Teil der bisherigen Wählerschaft der extremen Rechten im eigenen Land abzuwerben.

Seine Law-and-Order-Politik hingegen macht er schon allein ganz gut. Seit Anfang Februar gibt es einen Skandal, weil das Umfeld Nicolas Sarkozys allem Anschein nach enge Mitarbeiter seiner Gegenkandidatin von den Renseignements Généraux (RG), einer Art Verfassungsschutz, ausforschen ließ. Ausgespäht wurde offenbar vor allem Bruno Rebelle, der zu Anfang des Jahrzehnts noch Sprecher von Greenpeace Frankreich war. Er hat dagegen geklagt, möglicherweise wird es zu einem Prozess kommen. Doch Sarkozys Mitarbeiter François Fillon, der vor wenigen Jahren noch Sozial- und Bildungsminister war, hat inzwischen verkündet, dies alles sei doch »völlig normal«, da Greenpeace »militärische Akte gegen den französischen Staat« unternommen habe.

Um die Lage zu beruhigen, sagte Joël Bouchité, nationaler Direktor der RG, Anfang Februar der Zeitung Le Monde, die Aktivität der ihm unterstellten Dienste zu Bruno Rebelle sei »völlig normal« gewesen, »eine traditionelle Arbeit«. Über 800 000 Menschen seien personenbezogene Dateien angelegt worden, erfuhr man bei dieser Gelegenheit. Eine nicht gerade beruhigende Aussicht, falls der »oberste Bulle Frankreichs« tatsächlich Präsident werden sollte.