Mainzer bleibt Mainzer

Besuch in der Mainzer Straße

Die Anwohner der Mainzer Straße im Berliner Bezirk Friedrichshain wurden im Jahr 1990 Zeugen eines grauenvollen Geschehens. In einigen Wohnblöcken hatten sich Gestalten breit gemacht, die den Zombies in George Romeros Horrorfilm »Dawn of the Dead« ähnelten. Nur nannten sie sich »Hausbesetzer«. Um die Räumung abzuwenden, spielten sie zwei Nächte lang Bürgerkrieg. Doch anders als im Film war die Polizei übermächtig. Die Häuser wurden geräumt.

Im Jahr 2007 hat das Grauen in der Mainzer Straße eine andere Gestalt angenommen. Zunächst könnte man meinen, man laufe an einem gewöhnlichen Teeladen vorbei. Doch die Traumfänger und der andere Plunder, der an der Decke hängt, machen einen stutzig. Auch Räucherstäbchen werden dort verkauft. Richtig in sich hat es das Gratisangebot des Ladens: In einer Aus­lage auf dem Gehsteig liegt ein Stapel des Magazins Sein. Es ist das Zentralorgan der Berliner Esoterikszene. Den spirituell Interessierten wird darin regelmäßig erklärt, warum das Geld und die Spekulation alle Übel der Welt verursachen.

Beinahe erleichtert läuft man danach an einem Laden für Fußpflege und an einem, in dem lediglich Zimmerpflanzen verkauft werden, vorbei. Das gedämpfte Licht, das durch ihre Schaufenster nach außen dringt, erzeugt zwar eine Stimmung, als werde man mit einer vorgehaltenen Waffe zum Wohlfühlen gezwungen. Aber wenigstens liegt kein esoterisches Reklamematerial aus.

Doch wie in einem richtigen Horrorfilm währt auch diese Atempause nicht lange. Denn schon steht man vor einer Yoga-Schule. Ihre Besitzer wollen den Besuchern nicht nur die Übungen des indischen Zeitlupenbodenturnens vermitteln. Sie geben in einer Broschüre und auf ihrer Internetseite auch Historisches weiter. Yoga sei unter den »nach Nordwestindien eingewanderten, arischen Volksstämmen« zur Blüte gelangt. Man könne mit dem Sport »in die Tiefe des Seins hineinschauen«. Dort entdeckt man dann folgende Weisheiten: »Denke Erfolg und du bist erfolgreich.« Hartz-IV-Empfängern dürften diese Einsichten wahrscheinlich verborgen bleiben. Die Kurse dürften für diese Klientel zu teuer sein.

In der Mainzer Straße ist es wie in guten Horrorfilmen: Man denkt, man habe es hinter sich. Doch dann kommt es noch einmal ganz dick. Man steht vor dem »ersten Berliner Buch­laden mit dem Schwerpunkt auf Verschwörungsliteratur«. In den Schaufenstern liegen stapelweise Bücher, die auf ihren Einbänden versprechen, streng geheime Machenschaften aufzudecken, in die stets die CIA, die Großkonzerne, der US-Präsident oder alle zusammen verwickelt sind. Den Film »Loose Change 911« gibt es gratis. Er legt nahe, die US-Regierung habe die Anschläge vom 11. September 2001 selbst ausgeführt.

Die Häuserzeile, die im Jahr 1990 geräumt wurde, hat sich also schleichend in eine Wellness- und Esoterikmeile verwandelt. In dem linken Kiez gibt man sich indes immer noch kämpferisch. »Yuppies und Spekulanten raus!« steht an so mancher Hauswand geschrieben. Dass in der Mainzer Straße längst ganz andere Mächte der Finsternis Einzug gehalten haben, scheint niemanden zu stören. Kein Wunder: Wären die Häuser in der Mainzer Straße heute noch besetzt, liefe in den Wohnzimmern vielleicht auch »Loose Change 911«.

markus ströhlein