Raketen für die Ente

In Polen herrscht weitgehende Einigkeit, die US-amerikanische Raketenabwehr zu unterstützen, auch wenn diese die EU brüskiert. In Tschechien hingegen gibt es größeren Widerspruch. von martin schwarz, wien

Gut, dass Polens Präsident Lech Kaczynski am Wochenende in Berlin weilte, um den Feiern zum 50. Jahrestag der Gründung der Europäischen Gemeinschaft beizuwohnen. Denn wäre er zuhause in seinem Präsidentenpalast in Warschau gewesen, hätte ihn ein Blick in seinen Garten garantiert verstört: Dutzende Enten aus Plastik flogen in die Grünanlagen seines Amtssitzes, eine Anspielung auf Kaczynskis Nachnamen, der sich vom polnischen Wort »Kaczka« (»Ente«) ableitet. Rund 500 Demonstranten schleuderten die Plastikenten in den Garten und protestierten damit gegen die Pläne der polnischen Regierung, das Land zum Standort des geplanten US-amerikanischen Raketenschildes zu machen. »Schluss mit dem amerikanischen Imperialismus!« stand auf Transparenten, außerdem: »Kaczynski ist ein Terrorist!«

Die Absicht der polnischen Regierung, in unverbrüchlicher Freundschaft zu den USA deren Pläne zu unterstützen, sich mit einem Raketenschild gegen angeblich zu erwar­tende Angriffe aus dem Iran oder aus Nord­korea zu schützen, erregt die Gemüter. Allerdings sollte der Protest nicht da­r­über hinwegtäuschen, dass in Polen nur eine Min­derheit die Pläne ablehnt.

Dabei ist es relativ unerheblich, ob in Warschau eine linke oder eine rechte Regierung dran ist: »Polens Politik ist seit 1990 proamerikanisch ausgerichtet. Es ist daher nur natürlich, dass sich Polen auch am US-Raketenabwehrsystem beteiligt. Zudem ist die polnische Regierung überzeugt, dass das Land durch den Raketenschild sicherer werde«, meint die polnische Politikwissenschaftlerin Maria Wagrowska. Schließlich würde dann jeder Angriff auf Polen auch einen Angriff auf die USA bedeuten.

Genau darauf legt es die polnische Regierung an: Mit der Stationierung des Raketenschildes würde Polen nicht nur den Schutz der Nato genießen, sondern sich zum unmittelbaren Verbündeten der Vereinigten Staaten machen. Und diese Dienstfertigkeit dürfte nicht unbelohnt bleiben. So hofft man darauf, von den Amerikanern Patriot-Raketen zu erhalten, die der polnischen Luft­abwehr fehlen.

Für die USA wiederum ist die Zustimmung Polens und auch Tschechiens, wo die Radaranlage für die Raketen stationiert werden soll, ein großer politischer Sieg. Sie untergraben nicht nur die Bestre­bungen der EU nach einer politischen – auch verteidigungspolitischen – Einigkeit, sondern umgehen auch die Struk­turen der Nato. Polen will im Krisenfall ohnehin nicht von dieser abhängig sein, sondern arbeitet an einem darüber hinaus gehenden Bündnis mit den USA.

Pawel Zalewski, der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Sejm, sagte der der polnischen Zeitung Rzeczpospolita, man strebe einen weiter gehenden Sicherheitspakt mit den USA an. Auf die Nato sei kein Verlass. Polen wird damit immer mehr zum Sachwalter amerikanischer Interessen in Europa.

So ist es nicht verwunderlich, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel besorgt über die Pläne zeigt. »Europa darf sich niemals selbst spalten oder spalten lassen – in keiner Frage«, sagte sie bei den Feierlichkeiten in Berlin. Doch für solche Appelle scheint es zu spät zu sein. Polen wird schon in den kommenden Tagen endgültig der Stationierung der Raketen zustimmen.

Wenig erbaut davon wird Russland sein, das nicht ganz zu Unrecht befürchtet, dass der Raketenschild gegen es gerichtet sein könnte. Das allein ist es aber nicht, was die Russen erzürnt. Europa ist für die russischen Bemühungen, wieder zu einer globalen Supermacht aufzusteigen, nur ein untergeordnetes Problem, nicht einmal die Nato ist der große Gegner. Als ungleich störender erweisen sich die USA und ihre unilateralen Versuche, an der EU und der Nato vorbei ihren Einfluss in Osteuropa zu erweitern.

»Wir wollen diese Raketen in Europa nicht«, sagt der russische Botschafter in Berlin, Wladimir Kotenew. Besonders missfällt den Russen, dass Polen unverhohlen zugibt, dass das Raketensystem eine bilaterale Angelegenheit ist und sich auch gegen die russischen Ambitionen in Osteuropa richtet. »Nach der Stationierung einer Abwehrbasis wären die Chancen, einen solchen ungebührlichen Einfluss zu nehmen, auf Jahrzehnte verbaut«, sagt denn auch Lech Kaczynski.

Dabei ist es eigentlich offensichtlich, dass der Iran nicht unmittelbar die Bedrohung darstellt, auch wenn die USA dies immer wieder betonen und damit ihre Pläne vorrangig legitimieren. Der Iran besitzt keine Raketen, die Europa oder gar die USA erreichen könnten; keine iranische Rakete konnte bislang mehr als 800 Kilometer zurückgelegen, und das auch nur ohne atomaren Sprengstoff. Selbst wenn es dem Iran gelingen könnte, genügend Uran anzureichern, um daraus eine nukleare Waffe herzustellen, ist es noch ein weiter Weg, bis daraus ein Sprengkopf für Raketen werden könnte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen Raketenschild gegen iranische Atomraketen zu planen, ist eine ziemlich teure Vorwegnahme militärischer Ungewissheiten.

Ein wenig komplizierter ist unterdessen die Situa­tion in Tschechien. Zwar hat das Land ebenfalls eine historisch begründete Nähe zu den Vereinigten Staaten und fürchtet ebenfalls, zwischen die Fronten eines wieder erstarkten Russlands und der mächtigen westeuropäischen Nachbarstaaten zu geraten. Doch anders als das Polen der Kaczynski-Brüder hat sich Tschechien bisher nicht als europafeindliche Rabauken-Republik unter der Fuchtel radikaler Katholiken profiliert. Außerdem ist die Regierung von Ministerpräsident Mirek Topolanek alles andere als stabil und verfügt nicht über die entsprechende Mehrheit im Parlament, um die Sta­tio­nierung eines Radar­systems durchzusetzen.

Als Belohnung für die Zusammenarbeit erwartet die Regierung immerhin die Aufhebung des Visa-Zwangs für tschechische Bürger, die in die USA einreisen möchten. Möglicherweise betrachtet sie den Streit auch als Machtprobe mit der Opposition und als Gelegen­heit, die eigene Handlungs­fähigkeit zu beweisen.

Die Bevölkerung ist indes mehrheitlich gegen die Pläne, vor allem in dem Dorf Trokavec, in dessen Nähe die Radaranlage errichtet werden soll. In einem Referendum spra­chen sich fast alle Bürger gegen das Vorhaben aus, und Bürgermeister Jan Neoral kündigte an, dass er »bis zum letzten Atemzug« dagegen kämpfen werde. Doch die Volksabstimmung in dem Dorf hat keine Auswirkung auf die Entscheidung der Regierung. Und die lehnt ein landesweites Referendum ab. Sie weiß, dass sie es verlieren würde.