»Ich bin irritiert vom Kurs der Linkspartei«

Andrea Nahles
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Andrea Nahles wurde in der vergangenen Woche vom SPD-Vorsitzenden Kurt Beck als Stellvertreterin vorgeschlagen. Im Herbst soll der SPD-­Parteitag entscheiden. Die 36jährige Nahles ist Sprecherin des linken ­Flügels der SPD und die einzige Frau in der neuen Führungsspitze. 2005 führte ihre Kandidatur als General­sekretärin zum Sturz des Parteivor­sitzenden Franz Müntefering, damals lehnte sie den ersatzweise angeboteten Posten als stellvertretende Parteivorsitzende ab. Mit ihr sprach Ivo ­Bozic.

Ist Ihre Nominierung ein Zeichen dafür, dass sich die SPD für eine rot-grüne Koali­tion auf Bundesebene rüstet?

Ich stehe für bestimmte politische Inhalte und bin die Sprecherin der Parteilinken, und ich bin mir sicher, dass ich wegen und nicht trotz meiner Positionen von Kurt Beck nominiert wurde. Insofern hat er wohl auf der sozialen und ökologischen Achse einen Akzent setzen wollen.

Die SPD verabschiedet sich innerlich so langsam von der Großen Koalition?

Wir haben kulturell und politisch natürlich größere Schnittmengen mit den Grünen als mit der Union. Es war allen klar, dass die Gro­ße Koalition eine Vernunftehe und keine Liebesheirat ist. Wir haben jetzt ja auch unsere Erfahrungen gemacht und hängen an vielen Punkten, beispielsweise bei den Mindestlöhnen, ziemlich fest. Wir haben den Wählerauftrag angenommen, aber wir wollen 2009 wieder raus aus der Großen Koalition.

Vor 2009 aber nicht?

Nicht vorher, denn eine stabile Regierung ist auch ein hohes Gut. Man sagte mir in den letzten Tagen öfters: Es gibt doch eine Mehrheit im Parlament für den Mindestlohn, werft doch die Stimmen zusammen, die SPD, die Grünen und die Linkspartei. Aber wir sind hier nicht in Italien, wo man sich ständig neue Mehrheiten sucht! Ich glaube auch nicht, dass die Deutschen so etwas wol­len würden. Wir haben – auf Zeit – ein Bünd­nis und einen Vertrag, zu dem müssen wir stehen und innerhalb dessen nach Kompromisse suchen.

Dann hat die SPD ja noch zwei Jahre Zeit, einen Kanzlerkandidaten zu finden.

Der Parteivorsitzende hat immer das erste Zugriffsrecht. Die Pfälzer sind vielleicht nicht so urban und nicht das, was man hier in Berlin als cool oder modern ansieht, aber sie sind ein Herzstück dieses Landes. Und das, was viele Politiker gerne von sich behaupten, nah bei den Bürgern zu sein, das kann man von Kurt Beck definitiv sagen. Wenn man dieses Raumschiff Berlin verlässt, stellt man fest, dass Kurt Beck in der SPD sehr populär ist und dass es in der Partei keine Kurt-Beck-Debatte gibt.

Aber ein Personalproblem hat die SPD schon. Sie sind das Frischeste, was die Partei aufzubieten hat, und auch Sie sind ja schon recht lange im Geschäft.

Heiko Maas, Hannelore Kraft, Florian Pronold, Andrea Ypsilanti – die Liste ließe sich fortsetzen. Sicherlich, wir müssen diese Köpfe mehr auf der Bundes­ebene profilieren.

Nun sind es dort aber erst mal weniger Köpfe geworden durch die Verkleinerung der Parteispitze.

Aber wir sind auch schlagkräftiger geworden, weil wir wahrnehmbarer sind. Außerdem stelle ich auch immer wieder fest, dass die Menschen nicht nur Köpfe, sondern auch Inhalte wählen.

Für welche Inhalte stehen denn Sie und der linke Flügel in der SPD?

Wir haben drei Schwerpunkte: Chancengleichheit, also sozialer Aufstieg für alle. Der zweite Punkt ist, die ökonomische und makroökonomische Grundlage dafür zu schaffen, also Verteilungsgerechtigkeit. Der dritte Punkt ist das Ziel der Vollbeschäftigung. Da haben wir es innerhalb der Großen Koalition geschafft, dass der öffentlich geförderte Arbeitsmarkt enttabuisiert wurde.

Dazu kommen immer noch andere Themen, etwa jetzt die Polizeimaßnahmen zum G 8-Gipfel. Ich bin entsetzt, wie uns autoritäres Gebaren als eine Selbstverständlichkeit präsentiert wird. Ich kenne viele Leute, die zu den Protesten fahren, die geraten einfach so unter Generalverdacht. Das ist eine Eskalation, die ich inakzeptabel finde.

Beteiligen Sie sich als Attac-Mitglied nicht an den Protesten?

Zu dem Zeitpunkt werde ich leider nicht in Deutschland sein.

Heiner Geißler und Oskar Lafontaine sind auch bei Attac und inszenieren sich als soziales Gewissen. Überhaupt scheinen soziale Themen gerade sehr populismustauglich zu sein. Ist die SPD-Linke vielleicht auch nur Stimmenfänger der Partei?

Ich stelle mit Freude fest, dass sich der Wind gedreht hat in Deutschland, insofern, als dass soziale Themen wieder mehrheitsfähig sind. Die Leute überwinden ihre Angst, Lohnforderungen zu stellen, weil sie ihren Arbeitsplatz verlieren könnten.

Die ökonomische Stagnation der letzten Jahre wurde mit einer politischen Propaganda garniert, die den Leuten eingeredet hat, ihr müsst euch nur ducken und den Gürtel enger schnallen, dann wird alles besser. Es ist doch ein Fortschritt, wenn die Menschen jetzt wieder aufstehen und ihren Anteil an den sprudelnden Gewinnen haben wollen. Dieses neue Klima, dieser Rückenwind, ermutigt mich, endlich die neoliberalen Propagandisten zurückdrängen zu können. Es ist also kein Populismus, jetzt diese Themen aufzugreifen, sondern es ist die Möglichkeit, endlich gesellschaftliche und politische Mehrheiten dafür zu bekommen.

Solche politischen Mehrheiten führen derzeit aber kaum an der Linkspartei vorbei. Bald, eines Tages oder never?

Ich bin gegen eine Dämonisierung der Linkspartei, aber ich bin, vorsichtig gesagt, ziemlich irritiert über deren Kurs. Wir koalieren ja mit denen auf Länderebene, aber jener Teil der Linkspartei gibt nicht den Ton an. Stattdessen wird die Partei von Oskar Lafontaine ganz hart auf Opposition pur getrimmt. Die Linkspartei ist schon allein außenpolitisch einfach nicht koalitionsfähig. Und ich frage mich: Wann will denn die Linkspartei koalitionsfähig werden? Will sie es überhaupt? Ich wundere mich auch, wie das zwischen Gregor Gysi und Lafontaine läuft. Gysi lässt das alles relativ unkommentiert laufen. Die Linkspartei entwickelt sich zurück zu einer reinen Protestpartei.

Lafontaine war in den neunziger Jahren Ihr großes Idol, jetzt ist er der größte Störfaktor?

Oskar Lafontaine erhielt auf SPD-Parteitagen bis zu 96 Prozent Zustimmung, er hatte eine breite Unterstützung. Dass er dann dieser Partei die Klamotten hinwirft, sich wochenlang nicht erklärt, um jetzt offenbar mit der SPD oder einigen Protagonisten abzurechnen, ist eine absurde Situation. Lafontaine hat sich auch politisch sehr verändert. Er konnte immer sehr populär reden, aber vermochte auch abzuwägen, was möglich und was nicht möglich ist in bestimmten politischen Prozessen. Momentan betreibt er nur noch blanken Populismus.

Lafontaine scheint aber mit seinem Kon­frontationskurs gut zu fahren, wenn man sich die Umfragen anschaut.

Aber am Ende des Tages stellt sich die Frage: Was erreichen wir für die Leute? Das Groteske ist doch, dass es wieder eine gesellschaftliche Mehrheit für linke Politik gibt, aber in der Realität hat man durch diese nicht bündnisfähige Aufsplit­terung die Linke politisch geschwächt, und es regiert eine Große Koalition.

Ihre Karriere scheint ja nun gerade erst so richtig anzulaufen. Werden Sie zuerst Parteivorsitzende und dann Bundesministerin, oder andersherum?

Ich bin immer Achterbahn gefahren in meinem politischen Leben. Ich freue mich auf die neue Aufgabe, aber ich habe gelernt, dass es in der Karriere eines Politikers keine linearen Verläufe gibt.