Le Pens Erbe

Nach der Niederlage des Kandidaten des Front National kämpfen zwei Fraktionen in der Partei darum, wer künftig das Sagen hat. von bernhard schmid

Bibelfest ist er, der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen. Am Abend des 22. April, dem ersten der beiden Sonntage der Präsidentschaftswahl in Frankreich, zitierte er vor seinen Getreuen aus dem Deuteronomium, dem fünften Buch Moses’ im Alten Testament. Er wählte die Szene, in welcher der 120jährige Moses erkennt, dass er selbst das Gelobte Land nicht mehr sehen wird, wohin er seit Jahrzehnten mit seinem Volk unterwegs ist.

»An diesem Abend hat Le Pen verstanden, dass er es nicht schaffen wird. Dass er nicht in den Elysée-Palast eintreten wird«, schrieb das von rechtsex­tremen Intellektuellen produzierte Hochglanzmagazin Le Choc du mois in der jüngsten Ausgabe. Es stelle sich also nunmehr ernsthaft die Frage der Nachfolge an der Spitze des Front National (FN), hieß es weiter in der Monatszeitschrift. Im ­Grunde gebe es diese Frage ­bereits seit fünf Jahren, bloß sei es bislang in der rechtsextremen Partei ein Tabu gewesen, sie zu stellen, da Le Pen jedes Mal ein Anfall des Zorns überkommen habe, sobald »das Alter des Kapitäns« angesprochen wurde. Im Juni dieses Jahres wird Le Pen, der seit beinahe 50 Jahren in der französischen Politik mitmischt, 79 Jahre alt.

Nach einem beinahe kontinuierlichen Aufstieg seit dem Jahr 1984 ist die Anzahl der Stimmen, die der rechtsextreme Politiker bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl für sich gewinnen konnte, zum ersten Mal deutlich geringer geworden. Wähl­ten ihn im ersten Durchgang bei der Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren noch 4,8 Millionen Franzosen, waren es im April nur 3,8 Millionen. Eine Million früherer Wähler Le Pens entschieden sich bereits im ersten Durchgang für Nicolas Sarkozy, der mit seinen wiederholten Versprechen, die »nationale Identität« zu schützen und »die Ideen des Mai 1968 so schnell wie möglich zu liquidieren«, auch Rechtsextreme für sich gewinnen konnte.

Von den verbleibenden Wählern Le Pens aus der ersten Runde stimmten in der Stichwahl wiederum zwei Drittel für den konservativen Kandidaten, ob­wohl Le Pen seine Anhänger in einer Ansprache am 1. Mai dazu aufgefordert hatte, sich der Stimme zu enthalten. Nur der harte Kern der Parteigänger dürfte den Appell befolgt haben. Denn sie hassen Sarkozy, den sie als »Schwind­ler« und »politischen Hochstapler« bezeichnen, der für sie außerdem ein »Ausländerkind« ist, weil sein Vater aus dem ungarischen Adel stammt.

Trotz der Niederlage ist die organisierte ex­treme Rechte nicht von der Bildfläche verschwunden. Um seine »Inkonsequenz« und den »Bruch« der im Wahlkampf gegebenen Versprechenzu kritisieren, lauert die Rechte auf Entscheidungen, die der neue Präsident treffen wird. Der Anfang ist bereits gemacht. Am 10. Mai nahm Sarkozy an der Seite seines Amtsvorgängers Jacques Chirac an einer Zeremonie teil, mit der der Abschaffung der Sklaverei in Frankreich im Jahr 1848 gedacht wurde. Prompt klagte die extreme Rechte die Verwirklichung der Ankündigung Sarkozys vom Abend des Wahl­tags ein, mit der repentance (Reue, Büßertum) über die negativen Seiten der fran­zösischen Nationalgeschichte sei ab sofort Schluss.

Aber auch innerhalb der extremen Rechten wird seit der Wahlniederlage heftig gestritten. Die Wochenzeitung Minute berichtete über eine Wahlfeier, bei der die Fäuste flogen. Hintergrund war der Besuch des »Ko­mikers« Dieudonné M’bala bei einer Versammlung des FN. Der schwarze französische Antisemit hatte bereits im November an Le Pens »Präsidentschaftskonvent« in der Pariser Vorstadt Le Bourget teilgenommen.

Nicht alle Gäste sahen sein Kommen am 22. April gern. 30 rechtsextreme Hooligans des Pariser Fußballclubs PSG stürzten sich in der Halle auf ihn, um ihn physisch zu mal­trätieren. In ihren Augen ist Dieudonné nicht in erster Linie der taktische Bündnispartner, mit dem mancher Kader politische Konfusion in den Reihen der Einwanderungsbevöl­kerung verursachen will, sondern ein afrikanischstämmiger »Mischling«, der in der französischen Politik nichts zu suchen hat. Der parteieigene Ord­nerdienst musste dem Bedrohten zu Hilfe eilen.

In einem ausführlichen Artikel analysiert Minute »die Ursachen für den Flop Le Pens«. Bei der rechts­extremen Zeitung ist man der Meinung, die insbesondere mit dem Namen des Schriftstellers und Wahlkampfberaters Alain Soral – ein ehemaliger Linker – verbundenen Versuche der politisch-ideo­logischen Spurenverwischung und »Entdiabolisierung« seien schädlich gewesen. »Eine Reihe von Signalen an die Franzosen ausländischer Herkunft, von dem Besuch Dieudonnés beim Präsidentschafts­konvent im Herbst bis zum Abstecher Le Pens in (die Pariser Trabantenstadt) Argenteuil im April, haben dazu beigetragen, einen Teil seiner Wählerschaft zu desorientieren: diese ›gebürtigen Herkunftsfranzosen‹, denen er möglicherweise den Eindruck vermittelt hat, dass er ihnen nicht mehr dieselbe Aufmerksamkeit widmet wie früher«, heißt es in Minute.

In die Parlamentswahlen am 10. und 17. Juni möchte der FN deshalb mit einem anderen Profil ziehen, in Anbetracht dessen man von einer Retraditionalisierung der Partei sprechen könnte. Die Führung des Wahlkampfs übernahm der Generaldelegierte des FN, Bruno Gollnisch, der in der Partei gegen die »Modernisierer« um Le Pens Tochter Marine opponiert. Dieses Mal möchten die Rechtsextremisten vor allem »klassische« The­men bedienen – sie sprechen sich für die »Inländer­bevorzugung« (préférence nationale) bei Arbeitsplätzen und Sozialleistungen aus, für eine erschwer­te Einbürgerung von in Frankreich geborenen Zuwanderer­kindern, für die »Abschiebung straffälliger Einwanderer« und gegen den Beitritt der Türkei zur EU.

Bleibt zu hoffen, dass der FN bei den Parlaments­wahlen erneut Stimmen verlieren wird und sich die beiden Fraktionen künftig gegenseitig für die Niederlagen verantwortlich machen. Dann könnte es interessant werden beim nächsten Parteikon­gress der Rechtsextremen, der für Ende November angesetzt ist und bei dem Le Pen, wie am Don­nerstag voriger Woche bekannt wurde, erneut für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren möchte.