Alles in Handywurfnähe

In Rumänien lockt »Nokia-Village«. Nicht zuletzt weil Infrastruktur und Zuliefer­betriebe dem neuen Werk quasi gestellt werden, soll das Werk in Bochum geschlossen werden. von peter busch

»Kein Anschluss unter dieser Nummer« kann es ab Sommer 2008 beim Nokia-Werk in Bochum heißen. Auch die Regionalbahn nach Gelsenkirchen dürfte dann einen anderen Namen tragen. Seit 1993 heißt sie »Nokia-Bahn«, weil der finnische Mobilfunk-Konzern damals auf die werbewirksame Idee verfiel, sich an den Kosten für neue Triebwagen und Haltestellen zu beteiligen.

Im 19. Jahrhundert in der finnischen Kleinstadt Nokia gegründet, spezialisierte sich das Un­ternehmen zunächst auf die Herstellung von eher langlebigen Gütern wie Gummistiefel und Fahrradreifen. Es expandierte erst richtig, als es Anfang der achtziger Jahre die ersten Mobil­telefone baute. Heute ist Nokia mit Abstand der größte Mobilfunkkonzern weltweit.

Seit 1988 werden auch im Ruhrgebiet Mobil­tele­fone zusammengeschraubt. Neben Opel ist Nokia der größte Arbeitgeber und Gewerbesteuer­zahler in Bochum – und eine Marke, mit der sich die ehemalige Stadt der Zechen gern schmück­te. Doch seit der Konzern beschloss, das Werk im Sommer 2008 zu schließen, hat seine Beliebt­heit rapide abgenommen. Ein großer Teil der 2 300 Festangestellten sowie Leiharbeiter und Beschäftigte der Zuliefererindustrie werden dann auf der Straße stehen, nach Berechnungen der IG Metall rund 4 000 Menschen.

Vor und hinter den Werkstoren wird über die Frage diskutiert, warum Nokia die Fabrik in Bochum schließen und eine neue im rumänischen Cluj eröffnen will. Zwar veröffentlicht Nokia keine Zahlen für die einzelnen Werke, aber im dritten Quartal 2007 lag der Gewinn des gesamten Konzerns bei 1,56 Milliarden Euro. Der Betriebsrat des bedrohten Nokia-Werks berichtete, dass auch der »Standort Bochum« einen guten Teil dazu beigetragen habe.

Nokia will in Rumänien einen Lohn von 238 Eu­ro brutto für die »Produktionshelfer« zahlen, also für das Gros der Beschäftigten, die in rasantem Tempo die Funktelefone zusammenschrauben. Der Anteil der Löhne an den Gesamtkosten sei »unbedeutend«, sagte Silvano Guidone, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei Nokia. Die Unternehmensleitung hat inzwischen ein­geräumt, dass der Anteil der Löhne bei den Herstellungskosten eines Handys nur fünf Prozent betrage.

Betriebsintern droht Nokia seit der Eröffnung des Werks im ungarischen Komárom vor sieben Jahren mit der Schließung in Bochum. Obwohl die Löhne kaum eine Rolle spielen, reichte die Dro­hung aus, um bei den betrieblichen Tarifverhand­lungen mit der IG Metall und dem Betriebsrat Zu­geständnisse bei der Arbeitszeit und beim Lohn durchzusetzen. Auch die Zahl der Leiharbeiter schnellte nach oben: Über 1 000 von ihnen sind es inzwischen, die meisten arbeiten zu einem Lohn zwischen sieben und acht Euro.

Überhaupt ist das Werk in Bochum technisch auf dem neuesten Stand, sprich, man kommt mit relativ wenig Beschäftigten aus. »Wir haben hier den höchsten Automatisierungsgrad aller Nokia-Werke«, sagt Betriebsrat Guidone. Die Inge­nieure seien hervorragend, »bei uns wird gezaubert«. Rund 60 Prozent der Beschäftigten seien Spezialisten. Neben der hoch automatisierten Produktion an zwei Fertigungslinien wird im Bochumer Werk entwickelt und geforscht. »Wir haben hier die Vorentwicklung für die anderen Wer­ke gemacht, auch für Ungarn«, weiß Guidone.

»Die Produktion in Osteuropa ist zehn Mal billiger als in Bochum«, sagt Veli Sundbäck, Deutschland-Vertreter für Nokia. Und die Konzernleitung behauptet, es sei verhindert worden, rund um das Werk in Bochum eine Zulieferindustrie aufzubauen. Tatsächlich hat die öffentliche Hand dem Konzern keine kleine Nokia-Stadt gratis rund ums Werk gebaut. Genau das soll in Rumänien passieren. Ein »Nokia-Village« wird dort entstehen, mit Zulieferbetrieben in Handywurfweite. Kürzere Transportwege bedeuten geringere Kosten.

88 Millionen Euro kassierte Nokia an Sub­ven­tio­nen vom Bund und dem Land Nordrhein-West­falen für das Bochumer Werk. Dafür sicherte das Unternehmen zu, bis Mitte September 2006 zu bleiben. Inzwischen hat die EU gestanden, bereits im Jahr 2007 seien 33 Millionen Euro öffentliche Subventionen für das neue »Nokia-Village« vergeben worden. Mit dem Geld wurde der Baugrund vorbereitet und ein Straßennetz samt Kanalisa­tion und Beleuchtung angelegt. Die moralische Entrüstung der politischen Klasse über den Konzern geht daher fehl.

Oliver Burkhard, Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, folgert richtig: »Auf Dauer sind weitere Arbeitsplätze an allen Nokia-Standorten in Europa gefährdet.« Der Konzern hat seine Produktionsstätten bereits auf neun reduziert, mit Ausnahme des Stammwerks Salo in Finnland und des Werks in Bochum werden die Handys in Schwellenländern wie Mexiko gefertigt. Denn da geht es noch billiger, auch weil die Steuern viel niedriger sind.

Trotzdem versuchen die Beschäftigten in Bochum, ihre Arbeitsplätze zu retten. Was sollen sie auch anderes tun. Auf den Demonstrationen laufen Kol­legen von Volkswagen oder Opel mit, deren Arbeitsplätze ebenso gefährdet sind. So gelang es den Beschäftigten des Opel-Werks im Herbst 2004 nur mit großer Mühe, die Schließung zu verhindern. Ein »Zukunftsvertrag« sichert zwar ihre Arbeitsplätze bis 2010. Doch danach könnte es mit der Getriebefertigung in Bochum vorbei sein, das hat Opel bereits angekündigt.

Was Nokia an Vertrauen verspiele, komme das Unternehmen noch teuer zu stehen, ist sich der IG-Metall-Sekretär Oliver Burkhard sicher. Das Management habe die Reaktion der Öffentlichkeit »grundfalsch« eingeschätzt.

Wenn er sich da mal nicht täuscht. Den medien­wirksamen Aufruhr dürfte das Unternehmen miteinberechnet haben. Dazu gehört ein Boykott der Produkte, zu dem in diesen Tagen Politiker aller Parteien aufrufen. Peter Struck (SPD) wie Horst Seehofer (CSU) haben ihre Nokia-Mobil­telefone wohl schon auf die nächste Müllhalde werfen lassen. Ein ähnlicher Aufruf gegen BenQ vor eineinhalb Jahren half nichts: Das taiwanesische Unternehmen machte die von Siemens über­nommenen Handy-Werke in Deutschland trotzdem dicht. Überhaupt wird es zukünftig ebenso schwierig sein, ein »deutsches Handy« zu kaufen wie deutsche Bananen.

Das ändert aber nichts daran, dass die Politiker derzeit ein rühriges Bild abgeben. Ministerprä­sident Jürgen Rüttgers (CDU) gibt den »Rächer der deutschen Arbeiter«, der gegen die »Subventions­heuschrecke« kämpft. Und das offenbar überzeugend. Silvano Guidone, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei Nokia Bochum, sagt: »Am Anfang war ich skeptisch. Ich hatte BenQ im Kopf, wo die Kollegen große Opfer gebracht haben und trotzdem auf der Straße landeten. Doch diesmal ist es anders: Die Politiker meinen es ernst, sie wollen uns wirklich helfen.« Bei Nokia in Bochum gehe es um ein gesundes Unter­nehmen, das Gewinne produziere. Das habe man den Politikern deutlich gemacht. »Wenn sich Nokia hier durchsetzt, kann sich niemand in Deutsch­land mehr sicher sein, seinen Arbeitsplatz zu behalten.« Den Politikern sei klar geworden, dass es hier um nichts Geringeres als den »Standort Deutschland« gehe. Deswegen seien sie bereit, sich einzusetzen.

Politiker scheinen vor allem dann zu vergessen, wie der Kapitalismus funktioniert, wenn ausländische Unternehmen hierzulande Stellen strei­chen. Sich darüber zu empören kommt gut an beim »kleinen Mann«.