Goldrausch unter blauen Wolken

Im mexikanischen Bundesstaat San Luis Potosí werden Gold und Silber unter Einsatz von hochgiftigem Zyanid aus dem Gestein abgebaut. Um für zwei Zyanidbecken Platz zu machen, ließen die kana­dische Berg­baufirma und ihre mexikanischen Partner eine Gemeinde umsiedeln. Während die Bevölkerung versucht, sich dagegen zu wehren, ebnet der mexikanische Staat juristisch den Weg für weitere Projekte dieser Art. von nils brock und fabian durán

In den ersten Märztagen 1592 überbringt ein spa­nischer Söldnertrupp dem Kommandanten der Krone, Miguel de Caldera, eine unglaubliche Entdeckung. Im San Francisco-Tals gebe es Gold, einen ganzen Haufen, ja einen ganzen Hügel, der so reichhaltig sei, dass die Indios das Mineral mit bloßen Händen aus der steinigen Erde kratzten. Der Entdecker des Vorkommens, der Soldat Pedro de Anda, taufte den Ort bescheidenerweise gleich in San Pedro. Kommandant Caldera konnte nur noch an eines denken: an ein zweites Potosí, das jene Mine im südlichen Amerika noch an Reichhaltigkeit übertreffen würde. Seine Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden.

Vier Jahrhunderte lang wurde der Boden des heutigen mexikanischen Bundesstaats San Luis Potosí systematisch untertunnelt. Auf der Suche nach Gold und Silber schleppten Indigenas und karibische Sklaven täglich tonnenweise Gestein ans Tageslicht. Nach der Unabhängigkeit im Jahre 1810 waren es dann mexikanische Lohnarbeiter und Bergleute, die noch bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts nahezu ohne technische Hilfsmittel für fünf Pesos am Tag weitergruben. An billiger Arbeitskraft fehlte es nie, wohl aber irgendwann an Metallen.

Deshalb war in den achtziger Jahren vielerorts nichts mehr zu holen. In den berühmten Minen von San Pedro sprengten die damaligen Betreiber nach einem Streit mit der Gewerkschaft die Stolleneingänge und zogen ab. Ein Großteil der Bergmänner und ihrer Familien folgte ihnen. In der historischen Kulisse des Städtchens San Pedro blieben nur wenige zurück, züchteten Bienen, verkauften antike Grubenlampen und träumten von einer Welle des sanften Tourismus, der die ganze Gegend in ein historisches Freiluftmuseum verwandeln würde.

Doch daran ist in San Pedro derzeit nicht zu denken. 24 Stunden am Tag dröhnen die Motoren von Lastwagen und Baggern durch die steinernen Gässchen der Siedlung. »Das nennt sich moderner Bergbau«, krächzt der 86jährige Don Panchito, dessen Kiosk jeden Nachmittag von Sprengungen erschüttert wird. »Ich nenne das Wahnsinn. Sie wollen unser ganzes Dorf zerstören, denn genau hier unter uns verläuft in 200 Metern Tiefe eine sehr reichhaltige Mineralader. Um da heranzukommen, werden sie alles abreißen müssen.« Über dem teils bebauten Bergrücken jenseits des Marktplatzes steigen grün-gelbe Wolken auf, wenn der Wind ungünstig steht, liegt Minuten später Pulverstaub in der Luft, der die Lunge belegt.

»Sie« tauchten zum ersten Mal 1995 in San Pedro auf. Einige Männer aus der benachbarten Siedlung Zapatilla erklärten den cerranos – den Leuten vom Hügel –, aus Kanada seien Unterneh­mer gekommen, um in der Dorfkirche San Nicolas eine Ansprache zu halten über einen zweiten Goldrausch, über ein ganz großes Ding. »Die Leute waren natürlich gespannt, sie dachten, es würde wieder Arbeit geben«, erinnert sich Ana Maria Al­varado Garcia, die bis Ende der neunziger Jahre hier imkerte. »Erst zwei Jahre später rief das Mi­nen­unternehmen Metallica Resources dann die Leute wieder zusammen und erwähnte zum ersten Mal, dass hier ein Tagebau entstehen solle, wo das Gestein mit Zyanid ausgewaschen würde. Es herrschte allgemeine Verwirrung. Niemand verstand, was hier geschehen sollte.«

Das hochgiftige Zyanid wird in vielen Minen eingesetzt, um geringe Goldspuren aus dem Gestein zu lösen, das zuvor gesprengt und zermahlen wurde.

Verwirrt waren die Bewohner San Pedros auch deshalb, weil die Gemeinde von einem Naturschutzgebiet umgeben war und viele dachten, das Dorf stehe kurz davor, von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt zu werden. Doch die mexi­ka­ni­sche Regierung hatte diese Pläne längst fallen lassen, und das Umweltministerium arbeitete im Stillen daran, das bundesstaatliche Natur­schutz­­dekret aufzuheben.

»Erst Sergio Raúl Arroyo«, der Generaldirektor des Mexikanischen Instituts für Anthropologie und Geschichte, »erklärte der Gemeinde bei einem Besuch im Jahr 2000, wie ernst die Dinge standen«, erzählt Ana Maria weiter. »Er riet uns, Nach­forschungen anzustellen und uns zu organisieren. Denn das, was da auf uns zukomme, sei gewaltig«.

Aus ersten Recherchen und Anfragen bei den kanadischen Investoren ergab sich für die Anwohner schnell ein düsteres Bild. San Pedro und der angrenzende Hügel sollten einem riesigen Tagebau mit einem Durchmesser von über 200 Metern weichen. Die nahe gelegene Siedlung Zapatilla würde zwei großen Becken Platz machen müssen. Dort sollen täglich Gold und Silber aus dem mit Sprengstoff gewonnenen Gestein ausgewaschen werden, und zwar mit bis zu 16 Tonnen Zyanid und 32 Millionen Litern Wasser.

Als Ausgleich für die entstehende Mondlandschaft versprach man allen Betroffenen Arbeitsplätze, Geld, ein Reihenhäuschen mit fließend Wasser und Strom. Was folgte, war die Spaltung einer Gemeinde, die sich bisher höchstens bei einer Partie Domino gestritten hatte.

San Pedro wurde zum Schauplatz eines verbissenen Wettlaufs. Don Panchito, Ana Maria und weitere Gegner des Bergbauprojekts gründeten die Breite Widerständige Front (Fao) und suchten sich Unterstützung von Historikern bis Hausbesetzern. Die kanadische Minengesellschaft stellte ihrerseits ein Heer von Juristen, politischen Unterhändlern, Angestellten und Schlägertrupps zu­sammen. Der Konflikt geht mittlerweile ins dreizehnte Jahr. Verhindert wurde bisher zumindest die Räumung von San Pedro, auch wenn die Risse in den historischen Bauten immer größer werden. Der Hügel dahinter jedoch verschwindet jeden Tag ein Stück mehr.

»Metallica Resources versucht, dem Ort seine Geschichte zu rauben«, empört sich der Historiker Juan Carlos Ruiz Guadalajara vom Colegio de San Luis Potosí, während er schwitzend Löcher in den Maschendrahtzaun des Minengeländes schneidet. Er ist Mitglied der Fao und heute nach San Pedro gekommen, um zu zeigen, wie weit die Zerstörung des Hügels inzwischen fortgeschritten ist. Für einen Moment hält Juan Carlos nach den weißen Pickups der Minengesellschaft Ausschau, dann hilft er Ana Maria und Don Mario durch das Loch im Zaun.

Ana Maria und Mario Martínez besitzen Land in San Pedro. Der Zaun, der jetzt ein neues Loch hat, ist auf ihren Grundstücken errichtet worden. »Ohne Genehmigung!«, erzählt Don Mario empört. »Eine unrechtmäßige Gemeindeversammlung hat das möglich gemacht. Die Mine hat einfach neue Gemeindemitglieder erfunden und mit ihnen einen Pachtvertrag abgeschlossen. Und obwohl wir vor einem Agrargericht zwei Klagen gewonnen haben, geschieht nichts«, schnauft der weißhaarige hagere Mann beim Marsch durch ein trockenes Flussbett. Die Machete am Gürtel macht den Anstieg nicht leichter.

Doch ohne sie wagt sich Don Mario nicht mehr auf die Straßen von San Pedro. Bereits zweimal hätten ihm bezahlte Schläger aufgelauert, nur mit Glück sei er entkommen. Dabei ist gewalttätige Repression gegenüber Bergbaugegnern nur ein Mittel von vielen, um eine relativ reibungsfreie Metallförderung zu gewährleisten.

»Als Metallica Resources das Konfliktpoten­zial begriff, gründete sie umgehend eine Tochterfirma in Mexiko, San Xavier, kurz MSX«, sagt Juan Carlos, der inzwischen einen Pfad oberhalb des Fluss­betts eingeschlagen hat. »Bereitwillige Teilhaber und Geschäftsführer in San Luis Potosí waren schnell zu finden, von Gouverneur Marcelo de los Santos bis zu Wäschereien und Baufirmen.« Der Professor mit dem Pferdeschwanz macht es sich auf ein paar Felsbrocken bequem. Vor uns steigt eine gewaltige Schutthalde in den Himmel. Denn an der Flanke des Hügels, wo nicht gesprengt wird, kippen Lastwagen im Viertelstunden-Takt unbrauchbares, rostbraunes Gestein ab. »Diese Halde hier ist extrem sulfathaltig, folglich wird hier in ein paar Jahren kein Gras mehr wachsen.«

Die Augen auf die Kipper gerichtet, rollen Ana Maria, Don Mario und Juan Carlos nach und nach die Etappen des Konflikts zwischen San Pedro und San Xavier auf. Don Mario erinnert sich zunächst daran, wie der föderale Gerichtshof für Fiskal- und Verwaltungsrecht 2004 die Abbaugenehmigung von MSX unwiderruflich annullier­te. »Kurz darauf gab das mexikanische Umweltministerium trotzdem wieder grünes Licht. Auch der Denkmalschutz war plötzlich kein Problem mehr.«

Dann schluckt Juan Carlos und beschreibt den Tod des Landrats Oscar Loredo Loredo; der hatte in den neunziger Jahren auf einer Versammlung die cerranos zum Kampf gegen die Mine aufgerufen. »Oscar fand man auf einem einsamen Feldweg, grün und blau geprügelt, mit einer Kugel im Kopf, die er sich nur schwerlich selbst verpasst haben konnte. Für die Staatsanwaltschaft war der Fall klar, Selbstmord.«

»Das ist vielleicht der heftigste Schlag gewesen, aber an Repression hat es nie gefehlt«, wirft Ana Maria ein. So konnte der Anwalt der Fao, Enrique Riveras, nur knapp einem Haftbefehl we­gen Anstiftung zum Aufstand entkommen, er ging ins kanadische Exil. Auch Ana Maria war im vergangenen Jahr in Kanada – wo der Zyanid­abbau verboten ist –, sie berichtete über die Fördermethoden von MSX. »Metallica Resources ist vor allem in Mexiko und Südamerika aktiv«, sagt sie, »schlechte Presse im eigenen Land will sie trotzdem nicht. Der Vorstandsvorsitzender der Holding, Richard J. Hall, ist mir extra nachgereist, um mich im Fernsehen und auf Pressekonferenzen als Lügnerin zu verleumden.« Sie schaut wieder auf die Felshalde. »Traurigerweise haben wir erst jetzt die Bilder, die mir vor einem Jahr noch gefehlt haben.«

Neben den Kippern taucht ein weißer Pickup auf, zwei Männer in orangefarbenen Westen und mit grünen Bauhelmen steigen aus. Sie schauen lange Zeit mit Ferngläsern in unsere Richtung. Zeit aufzubrechen. Auf die Frage, welche Hoffnungen sie mit diesem unendlichen, aufreibenden juristischen Kampf verbinden, antwortet Don Mario: »San Pedro ist das Laboratorium für alle kommen­den Projekte in Mexiko. Denn Dutzende ähnlicher Großprojekte werden wohl bald auch in Chia­pas, Veracruz und Oaxaca realisiert werden.« Tausende Hektar Land seien schon verkauft oder vermietet, 20 Zyanidtagebauten bereits in Betrieb, 30 solcher Minen fehle nur noch eine Schürfgenehmigung. »Aber noch sind die mexikanischen Gesetze zu Gemeindeland und Umweltschutzgebieten ein Hindernis«, fährt Don Mario fort. »Eben deshalb ist unser Kampf wichtig. Hier wird gerade die Zukunft des modernen Bergbaus in Mexiko verhandelt«.

Am Zaun empfängt uns ein roter Golf, lässt den Motor aufheulen und fährt dann langsam die Straße Richtung Rathaus hinauf. »Ihr solltet euch beeilen, wenn ihr die Bürgermeisterin noch inter­viewen wollt«, sagt Juan Carlos, »bevor die Jungs sie darüber informieren, mit wem ihr euch so herumtreibt«.

Rosaura Loredo Loredo blinzelt angestrengt, als es um den Tod von Oscar Loredo Loredo, ihrem Amtsvorgänger, geht. »Ich kannte ihn nur flüchtig«, das ist alles, was ihr zu ihrem früheren Nach­barn einfällt. »Beschwerden seitens der Einwohner über die Mine gibt es nicht«, sagt sie mit aufgesetztem Erstaunen. Dann erzählt sie, dass die Mine 300 Arbeitsplätze in die Gegend gebracht habe. »Wenn ich sehe, wie die Kinder in der Siedlung Zapatilla heute frisches Brot und Obst kaufen können, dann rührt mich das.« Fragen über MSX will sie nicht beantworten.

Gleich neben der Amtsstube hat MSX eine Infor­mationsstelle eingerichtet, in der Joaquina Flores verwirrte Touristen wie uns über die Vorzüge des Zyanidbergbaus aufklärt. »Da wird viel übertrieben«, beginnt sie ihre Ausführungen. »Klar, Zyanid ist gefährlich, wenn man in den Becken schwimmen würde oder es isst. Ja, das stimmt, unsere Arbeiter hier, die fassen das mit den bloßen Händen an, sie haben keinerlei Schutz. So sind die Arbeiter nun mal. Wir sagen ihnen aber immer, wascht euch gut die Hände.«

»Rauchen sie eigentlich?« Ein Typ der bisher im Türrahmen gelehnt hat, schaltet sich in die Unterhaltung ein, spricht von Zyanidpartikeln in Filterzigaretten, Qualitätskontrollen, einem Aufforstungsprogramm. »Gestatten, Luis Martínez, Rechtsvertreter von San Xavier.« Dann schickt er Joaquina in die Mittagspause und erzählt, wie »eine kleinen Gruppe politischer Störenfriede alles madig machen muss, weil ihr die Feindbilder ausgegangen sind«.

Auf einer schmiedeeisernen Bank vor Don Pan­chitos Kiosk, im Licht der bereits matten Nachmittagssonne wartet ein weiteres bekanntes Gesicht aus San Luis Potosí, der Umweltaktivist Sergio Serrano Soriano, der gekommen ist, um uns noch vor der Dämmerung die Zyanidbecken zu zeigen, dort, wo bis vor ein paar Jahren noch die Siedlung Zapatilla lag.

Sergio kurvt in seinem Auto talwärts, berichtet von kleinen Erfolgen der letzten Wochen: einem Besuch von Greenpeace, einer Korrespondenz mit dem Interamerikanischen Menschenrechtshof und dem ausstehenden Urteil der supranationalen Umweltkommission, die Teil des Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta ist. »Das spielt sich endlich außerhalb des mexikanischen Rechtssystems ab«, meint Sergio, der langsam am Verwaltungsgebäude von MSX vorbeirollt. »Es wäre ein Präzedenzfall, niemand weiß genau was geschieht, wenn wir gewinnen.« Sergio stoppt den Wagen.

La Nueva Zapatilla liegt nur einen Steinwurf von den Chemiepools von MSX entfernt. In den Gärtchen stapeln sich Bretter, daneben stehen ein paar trockene Tomatenpflanzen. Als Sonnen­segel sind neben manchen Flachbauten schwarze Membranen gespannt, die vom Bau der Becken übrig geblieben sind. »Seit die Produktion in der Mine auf vollen Touren läuft, klagen die Leute hier über Halsschmerzen und Bronchitis, selbst an den Ortsausläufern von San Luis Potosí verbreiten sich diese Krankheitsbilder«, sagt Sergio, »das sind die ersten Anzeichen, der Krebs ist langsamer, er wird sich erst in einigen Jahren zeigen.«

Wir fahren am Zaun der Mineralwaschanlage entlang, wo nach dem Geschäftsbericht des ver­gan­genen Jahres täglich 200 Unzen Gold und etwas das 20fache an Silber gefiltert wurden. Der größte Teil des gewonnenen Materials wird von der Schmuckindustrie gekauft. »Zyanidbergbau in einer Halbwüste, wo in trockenen Monaten Wasser rationiert wird, ist ein Verbrechen«, sagt Sergio und zeigt auf den langen Steinwall, hinter dem die Becken liegen. »Hinzu kommt, dass bei einem Unfall das ganze Tal verseucht würde, von dem Grundwasser hängen 2,5 Million Menschen im Tal ab.«

Auch Erdrutsche seien zur Regenzeit nichts Au­ßergewöhnliches in dieser Gegend. Ob die Becken dem standhalten würden, bezweifelt Ser­gio, der schon seit einer Weile den Rückspiegel fixiert. »Besser wir verschwinden hier«, sagt er und tritt aufs Gas. »Im März kommen wir wieder, um wie jedes Jahr unser alternatives Kulturfest zu feiern.« Er biegt links ab. »Für uns ist der Event immer wichtig, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Doch eigentlich reicht das nicht mehr, uns läuft die Zeit davon.« Schweigen. Zumindest der Pickup ist aus dem Rückspiegel verschwunden.