Was macht die Antifa?

Postideologie und Erkenntnisresistenza

Wenn italiensche Linke beim Chianti ­zusammensitzen, stimmen sie gerne Partisanen-Lieder an. Doch wenn die Neo­faschisten wie zurzeit ernst machen, agiert die italienische Antifa planlos.

Die italienische Linke wird noch lange mit der Frage beschäftigt sein, warum sie die Wahlen ver­loren hat. Insbesondere die »Arbeiterparteien«, die nicht einmal den Einzug ins Parlament geschafft haben, bekamen deutlich zu spüren, welcher Wind in ihren traditionellen Hochburgen in Mittel- und Nord­ita­lien weht. Die »andere« Arbeiterpartei, die rechtspopulistische Lega Nord hat dort in den vergangenen Jahren ihre Macht ausgebaut, vor allem in den Verwaltungen der vielen Kleinstädte »Padaniens«, wie die Lega Nord die nordöstlichen Regionen Italiens getauft hat. Hier, in den Familienunternehmen, die rund um Verona, Vicenza und Treviso liegen, wird Italiens Reichtum produziert. Viele Arbeiter wählen rechts. In Mittelitalien sieht es für die Linke aber nicht besser aus, wie die Bürgermeisterwahl in Rom offenbart hat. Wenn man sich dann den Süden des Landes anschaut, wird alles nur noch schlim­mer, auch dort wo die Linksdemokraten wie Neapel immer noch regieren: In der südlichen Metro­pole, wo das Problem mit dem Müll derzeit wegen der Hitze wieder akut geworden ist, verübt die Bevölkerung Pogrome gegen Roma-Siedlungen.

Noch vor zwei Monaten hatten sich die bürger­lichen Medien darüber gefreut, Italien sei endlich auf dem Weg der »Normalisierung«, weil die »Extremisten« von rechts und links aus dem Parlament gefegt wurden. Nun aber breitet sich die ­faschistische und fremdenfeindliche Gewalt im ganzen Land aus. Angefangen hat es mit dem Mord an einem jungen Mann in Verona durch fünf rechte Skinheads in der Nacht zum 1. Mai, dann folgten die Pogrome in Neapel und die Gewalt gegen Ausländer in verschiedenen italienischen Städten. Das Ergebnis der Parlamentswahl war auch eine Folge der Legitimierung des Rassismus in der politischen Mitte, die bereits vor vielen Jahren angefangen hat.
Das Beispiel des italienischen Nordostens verdeutlicht viel, nicht nur hinsichtlich der Entwick­lung der neuen populistischen Rechten, sondern auch hinsichtlich der Entwicklungen im linksradikalen Spektrum. Denn auch, wenn die Lega Nord aus »Padanien« eine Art Volksgemeinschaft schmiedete, ist diese Gegend doch gleichzeitig der Geburtsort der Bewegung der linksradikalen Tute Bianche, die sich nach dem G8-Gipfel in Genua 2001 in Disobbedienti umbenannten. Es könnte also, sollte man meinen, eigentlich kaum eine bessere Gegend geben für die Entstehung eines militanten Antifaschismus.
Doch die Disobbedienti waren zwar die Hauptträger einer globalisierungskritischen Bewegung, eine Auseinandersetzung mit Inhalten und Formen des neuen Faschismus und dessen Akzeptanz in der Gesellschaft hielten sie aber offenbar für überflüssig. Der Neoliberalismus und die »kapita­listische Globalisierung« wurden zur universellen Erklärung für viele der Fragen, mit denen sich die radikale Linke beschäftigt, der Umgang mit Neofaschismus gehört dazu. Eine Auseinandersetzung mit der ideologischen Dimension dieses Phänomens, mit dem identitären und kommu­nitaristischen Denken, das durch Ideologen der »neuen Rechten« diskursiv legitimiert und durch rechtspopulistische Parteien, insbesondere in Norditalien, politisch kapitalisiert wurde, gibt es kaum. Antiglobalisierungsrhetorik und anti­ameri­kanischer Antiimperialismus sind die Schwer­punkte linker Argumentation, genau hieran lässt sich jedoch kaum eine Abgrenzung gegenüber Rechts herstellen, denn dort werden dieselben Sprüche geklopft.
An der ursprünglich linken Kampagne gegen die Erweiterung einer Basis des US-Militärs in Vicenza zeigte sich nicht nur die fehlende Abgren­zung, sondern auch, dass die Fronten zwischen Rechts und Links unscharf werden, wenn es um die USA, die »Gemeinschaft« und die »nationale Souveränität« geht. Dass sich an der Kampagne für die »Verteidigung des Territoriums« gegen die amerikanischen Erweiterungspläne für die Basis auch Rechtspopulisten bis Rechtsextremisten beteiligten, störte die linken Aktivisten nicht. Die Tendenz, sich bedenkenlos lokalen Bürgerini­tiativen anzuschließen – in der italienischen radikalen Linken Tradition –, hat sich jedoch mit dem Entstehen der so genannten No Globals verstärkt, die ständig die Notwendigkeit einer poli­tischen Intervention auf der lokalen Ebene propa­gieren, bei der die politische Kritik an der Rechten oft völlig aufgegeben wird.
Nicht nur in der Praxis, sondern auch wenn es darum geht, die eigenen Positionen auf der theoretischen Ebene zu begründen, wird dies deut­lich. Ein Beispiel bietet derzeit ein Papier des antifaschistischen Blatts InfoAntifa. Hier wird unter dem Titel »Antifaschismus: Fragen für eine politische Debatte« ein Beispiel dafür gegeben, wie das funktioniert. Ausgehend von dem Postulat, dass die italienische Linke »per se« antifaschistisch sei, weil der Widerstand gegen den Nazifaschismus ein Bestandteil ihrer »Identität« sei, wird versucht zu erklären, welche Aufgaben eine antifaschistische Politik heute zu erfüllen habe: »Antifaschismus heißt nicht nur, Nazischweine bekämpfen, zu seinen Werten gehören auch Anti­sexismus, Antirassismus, Antikapitalismus, Antiimperialismus.«
Dass Antisemitismus nicht dazu gehört, zeigte die – aus Sicht der Initiatoren – erfolgreiche Kam­pagne für den Boykott der Turiner Buchmes­se im vergangenen Monat, deren Gastland dieses Jahr Israel war. Der vom »Forum Free Pales­tine« organisierte Protest gegen die Buchmesse fand seinen Höhepunkt in einer Großdemons­tra­tion in Turin am 12. Mai, an der mehr als 5 000 Menschen teilnahmen. Zu dem Zeitpunkt, als der junge Nicola Tommasoli in Verona ermordet wurde, lief die antiisraelische Mobilisierung bereits auf Hochtouren. Deshalb wurde die antifaschistische Demonstration als Reaktion auf den Mord eine Woche nach der Buchmesse, also drei Wochen nach der Tat, angesetzt. Beide Demons­trationen waren gut besucht, doch die italienische radikale Linke hatte ihre Prioritäten gezeigt. Wichtiger war es ihr, gegen Israel zu protestieren. Dass diese Demonstration, wenn auch in der Linken heftig umstritten, von vielen als »anti­faschistisch« bezeichnet wurde, bietet tiefe Einblicke in das Antifaschismus-Verständnis der ita­lienischen Linken.

Der in der gesamten Nachkriegszeit von der KP verwaltete Mythos des Partisanenkampfs in der Resistenza funktionierte bis heute als Instrument der Identitätsfindung aller linken Bewegungen. Das hat dazu geführt, dass die Faschismusanalyse sich an der klassischen Formel orientiert und auf sie beschränkt hat, wonach der Faschismus als Hauptfeind der Arbeiterklasse »die offen terroristische Diktatur der reaktionärsten (...) Elemente des Finanzkapitals« sei (Georgi Dimitroff). Mit der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Rehabilitierung der Ex-Faschisten, insbe­sondere durch Gianfranco Finis Partei Alleanza Nazionale, die parallel mit der Zersplitterung der postkommunistischen Linke stattfand, begann in Italien eine ideologische Debatte über den Um­gang mit der Geschichte der Resistenza. Die »neue Rechte« startete einen Prozess der Relativierung im Umgang mit der Bedeutung des antifaschis­tischen Widerstands, der versucht, die Resistenza als kommunistischen Mythos darzustellen: Das einzige Ziel des Partisanenkriegs sei die kommunistische Machtergreifung gewesen und nicht die Befreiung von der faschistischen Herrschaft. An der Durchsetzung dieses revisionistischen Diskurses beteiligen sich jedoch immer häufiger auch linksliberale »post­ideologische« Intellektuelle. Die antifaschistische Natur des Befreiungs­kriegs, worauf sich die italienische Republik gründet, wird auch von ihnen nicht nur in Frage gestellt, sondern schlicht geleugnet.
Der radikalen Linken in Italien scheinen derzeit die Begriffe zu fehlen, um gegen diese neuen Tendenzen »Widerstand zu leisten«. Im neuen, »postideologischen« Faschismus wird immer noch der alte Feind gesehen, den die Partisanen zwischen 1943 und 1945 in den Bergen Nordita­liens bekämpften. Und es wird vermutlich so blei­ben, solange die Faschismusanalyse sich auf die ideologische und teilweise identitäre Verteidi­gung der »Werte« der Resistenza beschränkt, während Rassismus und Antisemitismus von der Linken nicht als Kern der faschistischen Ideo­logie und Herrschaftspraxis reflektiert werden.