Über die politischen Konflikte in Israel

Mit Gewalt in die Sackgasse

Das Debakel der Militäraktion vor Gaza zeigt, dass die Regierung Netanjahu Israel in eine katastrophale Situation manövriert hat.

Wie auch immer die israelische Regierung auf die sogenannte Freiheitsflotte reagiert hätte, die Reaktion wäre stets die falsche gewesen. Hätte Israel die Schiffe passieren lassen, wäre dies von der Hamas und ihren Freunden als Erfolg verbucht worden, so, wie dies nun auch nach deren gewaltsamer Übernahme der Fall ist. Allerdings hat die israelische Regierung mit traumwandlerischer Sicherheit von zwei Übeln das mit Abstand größere gewählt. Nicht nur ist angesichts der neun getöteten Aktivisten der Propaganda­erfolg für die Hamas weit größer ausgefallen. Vor allem ist der außenpolitische Schaden für Israel immens. Auch die amerikanischen Bemühungen, ein regionales Bündnis gegen den Iran aufzubauen, um damit nicht zuletzt der Bedrohung Israels durch das islamistische Regime zu begegnen, werden durch die israelische Militäraktion gefährdet.
In diese Lose-lose-Situation hat sich die israelische Regierung selbst gebracht. Die Blockade des Gaza-Streifens ist nicht nur deshalb ein Fehler, weil sie inakzeptable Lebensbedingungen für die Bewohner Gazas schafft. Sie fördert auch für das Gedeihen und Wohlergehen der Hamas. Die Blockade ermöglicht es der Organisation, ihre Herrschaft propagandistisch, militärisch, vor allem aber auch wirtschaftlich zu festigen, da sie die immensen Profite der mafiösen Schmuggelökonomie abschöpfen kann. Und die Blockade ist wiederum Resultat der Fehler, die Israel beim Abzug aus dem Gaza-Streifen machte. Statt das Gebiet der von der Fatah kontrollierten palästinensischen Autonomiebehörde zu übergeben, wurde Gaza einfach sich selbst überlassen. Genauso gut hätten die Israelis den Gaza-Streifen gleich der Hamas übergeben können. Insofern ist die katastrophale Politik der Regierung Netanjahu nur die Fortsetzung der katastrophalen Politik der Regierungen davor.
Das eigentliche Problem hinter dieser Entwicklung ist, dass von den israelischen Regierungen seit Jahren keine politischen Perspektiven für eine Lösung des Konflikts, noch nicht mal für dessen Entschärfung entwickelt worden sind. Der gegenwärtigen Regierung, die – daran muss erinnert werden – eine Regierung der äußersten Rechten ist, fehlt es offenbar auch am Willen dazu. Die Überzeugung, dass die Sicherheit Israels letztlich durch militärische Stärke gewährleistet werden muss, ist berechtigt und, nicht zuletzt durch die Erfahrung des Holocaust, tief im kollektiven Bewusstsein der Israelis verankert. Sie hat aber im Laufe der Zeit eine Eigendynamik entwickelt, die in manchen Kreisen zum Realitätsverlust geführt hat. Für die israelische Rechte scheint es ausgemacht zu sein, dass eine Zusammenarbeit mit den moderaten Kräften in der Region für die Sicherheit Israels nicht nur nichts bringe, sondern geradezu gefährlich sei. So wird jeder Außenstehende zum existentiellen Feind Israels, von Immigranten über 80jährige Linguistikprofessoren bis hin zu US-Präsidenten. Das Verhältnis Israels zu seinen Nachbarn, aber auch zu seinen Bündnispartnern und Freunden in der Welt ist aus dieser Sicht irrelevant.
Auf diese Weise ist Israel in eine wirklich bedroh­liche Lage geraten, in der das Land nur verlieren kann. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, müsste es seine Politik radikal ändern. Kurzfristig wäre es notwendig, die Blockade des Gaza-Streifens aufzuheben. Langfristig aber ist klar, dass Israels Sicherheit nicht allein militärisch, sondern nur durch die Kooperation mit seinen Nachbarn, vor allem aber durch eine Einigung mit den Palästinensern garantiert werden kann. Von der gegenwärtigen Regierung ist dies jedoch nicht zu erwarten. So bleibt nur zu hoffen, dass die Militäraktion vor der Küste Gazas ein Schritt hin zum Untergang der Regierung Netanjahus ist.