Über die Dissertation von Dr. Saif al-Islam Gaddafi

Seiner Exzellenz Initiative

Der Reputationsverlust, den der Fall Guttenberg der Universität Bayreuth zufügt, ist minimal im Vergleich mit dem Skandal, in den die internationale Wissenschaftsszene durch den Fall Saif al-Islam Gaddafi geraten ist.

Söhne reicher, mächtiger Männer haben es nicht leicht. Eigentlich könnten sie fernab des Arbeitszwangs ihr Leben genießen, doch die bürgerliche Leistungsgesellschaft schließt noch einen Guttenberg oder einen Gaddafi in sich ein. So sehen sich jene Sprösslinge genötigt, vorzuspiegeln, sie hätten sich ihren Status verdient. Ein Karl-Theodor oder ein Saif al-Islam kann daher weder Müßiggänger noch Zahntechniker werden. Besonderer Reichtum braucht besondere Rechtfertigung: etwa standesgemäße akademische Qualifikation.
Für Universitäten sind solche Söhne ein Problem. Wie hätte die Universität Bayreuth, die ihr Geld von der seit 52 Jahren CSU-geführten Bayrischen Staatsregierung erhält, dem jungen CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg, der aus einer mit der Partei eng verbundenen Adelsfamilie stammt, die Doktorwürde nicht gönnen können? Kurz zur Erinnerung: Der Universitätsdekan, ein CSU-Mitglied, gab ihm die Sondergenehmigung, trotz einer schlechten Examensnote zu promovieren, sein Doktorvater, vom ehemaligen CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber nach Guttenbergs Promotion mit dem Bayrischen Verdienstorden ausgezeichnet, übersah sämtliche Plagiate, ebenso der Zweitgutachter, ein CSU-Mitglied. Und die Rhönkliniken, an denen die Guttenbergs einst Anteile hielten und in deren Aufsichtsrat Karl-Theodor bis 2002 saß, hatten von 1998 bis 2003 der Uni einen Lehrstuhl für Medizinmanagement finanziert. Auch wenn alle Beteiligten dementieren, dass dies bei der Promotion Guttenbergs eine Rolle gespielt habe, hat die Universität Bayreuth nun ein kleines Reputationsproblem.

Ein erheblich größeres Problem hat die London School of Economics (LSE) mit ihrem Absolventen Saif al-Islam Gaddafi. Und das nicht nur, weil auch in Saif al-Islams Dissertation Plagiate zu finden sind und er, statt an Rücktritt zu denken, derzeit lieber, wie er im Fernsehen ankündigte, »Flüsse voller Blut« durch Libyen fließen lässt. Denn den Gaddafis war es an der LSE offenbar möglich, viel mehr als nur einen Titel einzukaufen. Der Diktatorensohn, der über die »Rolle der Zivilgesellschaft bei der Demokratisierung globaler Regierungsorganisationen« promovierte, stiftete über die »Gaddafi International Charity and Development Foundation« der LSE ein 1,5 Millionen Pfund schweres Forschungsprogramm.
Dem Guardian zufolge sollte es die »künftigen Herausforderungen Libyens« im »Kontext der Region« zum Thema haben – eine politikwissenschaftliche Expertise, die dem Regime offenbar recht nützlich erschien. Am Projekt beteiligt war der Geografieprofessor George Joffe (University of Cambridge), der daraufhin, wie der Zufall spielt, Saif al-Islam prophetisch zum künftigen Heilsbringer für Demokratie und Menschenrechte in Libyen erklärte. Ungeachtet der Tatsache, dass er mit dieser Einschätzung, die auch etliche andere Wissenschaftler der LSE verbreiteten, etwas daneben lag, wird Joffe derzeit von internationalen Medien gern als Libyen-Experte zitiert.
Howard Davies, der Direktor der London School of Economics, ist hingegen mittlerweile zurückgetreten. Wie die Universität zugibt, hatte er mit den Gaddafis einen Vertrag über 2,2 Millionen Pfund abgeschlossen, der vorsah, dass die LSE dafür künftig Hunderte, wohl vom Regime handverlesene junge Libyer ausbilden sollte. Der Historiker und Betriebswirtschaftler war zudem, wie auch einige seiner Kollegen, nach Libyen gereist, wo er als Wirtschaftsgesandter der britischen Regierung auftrat und das Regime bei der Reform des libyschen Staatsfonds beriet – die LSE erhielt dafür 50 000 US-Dollar.

Infolge dieser Affäre kam heraus, dass die weltweit tätige PR-Agentur Monitor nicht nur bei Saif al-Islams Dissertation geholfen haben soll, sondern von 2006 bis 2008 eine drei Millionen Dollar teure Kampagne organisiert hatte, um Gaddafis PR-Probleme zu lösen. Wie ein geleaktes Dokument offenbart, sollte Monitor den Diktator als »Denker und Intellektuellen« in Szene setzten, um ihm im Westen zu Ansehen zu verhelfen. Berichten zufolge arrangierte die Agentur, dass prominente Intellektuelle in Tripolis mit Muammar al-Gaddafi plauschten – darunter der ehemalige LSE-Direktor und Soziologe Anthony Giddens, der Politologe Benjamin Barber von der University of Maryland, der Soziologe und Politologe Robert Putnam von der Harvard University sowie – historische Ironie – Francis Fukuyama von der Johns Hopkins University, der in seinem berühmten Werk ein »Ende der Geschichte« voller kapitalistischer Demokratien prophezeite.
Anthony Giddens schrieb nach seinem Besuch bei Gaddafi mehrere Artikel darüber, wie Muammar al-Gaddafi und sein Sohn Saif Libyen modernisierten. Im New Statesman veröffentlichte er im August 2008 einen Bericht über sein Treffen mit Gaddafi, in dem er die intellektuellen Fähigkeiten des Despoten preist, bis der Schleim nicht mehr nur zwischen den Zeilen hervorglibbert.
Wenn sich einige der renommiertesten Universitätsprofessoren an Diktatoren verkaufen, könnte man meinen, früher sei die Wissenschaft irgendwie unabhängiger gewesen. Wirklich besser war es aber wohl nur ganz früher, als Monarchen noch die Universitäten stifteten. Die Königssöhne verdankten ihren Status Gottes Gnaden und brauchten keine Doktortitel. Die Bürgerkinder, die diese durch Strebsamkeit erwarben, durften sich im Glauben wähnen, ihre Titel seien unanfechtbare Ausweise ihrer Intelligenz. Vor allem war damals wenigstens transparent, wem die Universitäten dienten. So bleibt zu fordern allein, was die Monarchohedonistische Front am Samstag auf den Soldaritätsdemonstrationen für KT Guttenberg proklamierte: Monarchie, jetzt oder nie.