Schiefergas gilt in Europa als rentabler Rohstoff

Die Angst vor dem Bohrer

In Europa gibt es große Vorkommen von Schiefergas. Doch wie sich in den USA bereits zeigte, ist die Förderung des Erdgases umwelt- und gesundheitsschädlich. In Frankreich hat sich das Parlament kürzlich mit der Förderungsmethode befasst.

Leitungswasser gerät in Brand. Das Bild bleibt im Kopf. Es stammt aus dem Dokumentarfilm »Gasland« von Josh Fox. Der Regisseur ist quer durch die USA gereist, um die Schattenseiten einer noch recht unbekannten Methode der Gasförderung aufzuzeigen. In 34 Bundesstaaten wird derzeit Schiefergas gefördert. Anders als gewöhnliches Erdgas sammelt sich Schiefergas nicht in großen Blasen, sondern sitzt in winzigen Gesteins­poren fest und kann diesen nur mit Gewalt entzogen werden. Dafür werden große Mengen Wasser, Sand und Chemikalien mit enormem Druck in die Tiefe gepresst, wodurch Risse im Gestein entstehen, durch die das Gas später abgesaugt werden kann. So funktioniert das »Hydraulic Fracturing«, das auch als Frac-Technik bezeichnet wird.

Diese unkonventionelle Art der Gasförderung ist in den USA mittlerweile so verbreitet, dass das Land unabhängig von Importen ist. Doch immer wieder kommt es bei den Bohrungen zur Verseuchung des Grund- und Trinkwassers mit Chemikalien, Schwermetallen und Methan, das das Entzünden des Leitungswassers in »Gasland« möglich gemacht hat. Darauf machte ein Mitte April veröffentlichter Untersuchungsbericht des amerikanischen Abgeordnetenhauses aufmerksam. Dem Bericht zufolge wurden in den USA in den Jahren 2005 bis 2009 mehr als drei Millionen Tonnen Wasser bei Frac-Bohrungen verbraucht und mit 2 500 verschiedenen Substanzen gemischt, darunter viel Sand und 750 Chemikalien. Von einfachem Salz bis zu hochtoxischen und krebserregenden Stoffen reicht die Liste. Eine große Menge des mit den Chemikalien in die Tiefe gepressten Wassers bleibt im Boden. Ende April sorgte ein Unfall in Pennsylvania für weitere Beunruhigung. Eine Explosion beschädigte eine Gasgrube schwer, ein Wasserlauf wurde verunreinigt. Der Konzern Chesapeake Energy hat vorläufig die Frac-Bohrungen an dem Standort ausgesetzt.
Auch bei Energiekonzernen in Europa gilt Schiefergas mittlerweile als rentabler Rohstoff. Die geschätzten Vorkommen sind groß: 5 200 Milliarden Kubikmeter in Polen, 5 000 in Frankreich, 2 300 in Norwegen, 1 100 in Schweden, 500 in den Niederlanden. Die deutschen Vorkommen sind mit etwa 200 Milliarden Kubikmetern zwar geringer. Das Land verfügt aber noch über andere Gasvorkommen in ähnlichen Mengen wie etwa Kohlenflözgas und »Tight Gas«, bei dem es sich um Erdgas handelt, das in Gesteinsschichten mit geringer Gasdurchlässigkeit eingeschlossen ist. Diese Rohstoffe liegen genau wie das Schiefergas in festen Gesteinen, zu ihrer Förderung wird ebenfalls die Frac-Technik eingesetzt.
Niedersachsen ist das Bundesland, in dem am meisten Erdgas gefördert wird. Sein Anteil an der deutschen Erdgasproduktion beträgt etwa 90 Prozent. Dort fördert der amerikanische Energiekonzern Exxon Mobil seit mehr als 15 Jahren »Tight Gas«. Auch zur Förderung herkömmlichen Erdgases wurde dort die Frac-Technik verwendet, um die Produktion zu erhöhen. Nach Angaben des Landesamts für Bergbau wurde in Niedersachsen schon 1977 zum ersten Mal mit dieser Methode gearbeitet, seither geschah dies insgesamt 250 Mal an 120 unterschiedlichen Förderstellen.
Davon wussten die Einwohner aber bisher nichts. Umfangreiche Bohrungen in Söhlingen bei Rotenburg haben erst im vergangenen Herbst Aufmerksamkeit erregt. Dort tauschte Exxon bis Dezember 2 500 Kubikmeter Boden aus, der mit Quecksilber, Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol verseucht war. Diese Substanzen sind krebserregend und wurden auch im Bericht des amerikanischen Abgeordnetenhauses erwähnt. Wie der Bericht ausführt, wurden diese Stoffe in den Chemikalien gefunden, die für das »Hydraulic Fracturing« in den Boden gepresst werden.

Das Leck, durch das die Substanzen in Söhlingen in den Boden gelangt waren, wurde 2007 im Zuge regelmäßiger Druckprüfungen entdeckt. Angaben von Exxon und des Landesamts für Bergbau zufolge sind undichte Leitungen aus Kunststoff die Ursache für den Austritt. Quecksilber und Benzol sollen jedoch aus dem in den Erdgaslagerstätten enthaltenen Wasser stammen. Die lokalen Behörden seien sofort informiert worden, gibt Exxon an. Zudem bestehe keine Gefahr für die Anwohner. Wie der NDR im Februar in einer Reportage berichtete, starben jedoch die Karpfen im Teich eines Anwohners. Im Blut des Mannes wurden erhöhte Werte von Quecksilber und Benzol festgestellt. Das Blutbild seiner Frau sah ähnlich aus. Mittlerweile hat der Anwohner Exxon verklagt. Eine ähnliche Verschmutzung wurde auch etwa 100 Kilometer entfernt gemeldet, im Erdgasfeld Hengstlage, das ebenfalls von Exxon betrieben wird.
»Wir denken, dass diese Verunreinigung von den Frac-Bohrungen kommt«, sagt Stefan Wenzel, ein Abgeordneter der Grünen im niedersächsischen Landtag. »Wir können es bislang aber nicht beweisen. Der Wirtschaftsminister des Landes, Jörg Böde, hat jetzt behauptet, dass die Unterscheidung zwischen Lagerstättenwasser und Frac-Flüssigkeit nur durch eine ›visuelle Inspektion‹ vorgenommen wird. Sie haben angeblich keine chemische Analyse machen lassen.« Die niedersächsischen Grünen fordern eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Ihre Kollegen von der SPD bitten um die gesamte Liste der in Niedersachsen für das »Hydraulic Fracturing« verwendeten Chemikalien und um Informationen zu den benutzten Mengen. Die Hauptbefürchtung ist, dass die in einer Tiefe von ungefähr 5 000 Meter freigesetzten Chemikalien das etwa 300 Meter tief liegende Grundwasser verunreinigen.
Die Einwohner der Region haben einen weiteren Grund zur Sorge: die seismischen Auswirkungen der Frac-Bohrungen. Ein Erdbeben der Stärke 4,4 traf im Herbst 2004 das Gebiet um Rotenburg. Nach Recherchen des Helmholtz-Geoforschungszentrums besteht ein Zusammenhang mit der Erdgasförderung in der Umgebung. Das Gas wird aus einer Tiefe von etwa viereinhalb bis fünf Kilometern gefördert. Das ist sehr nah am Epizentrum des damaligen Bebens, das zwischen fünf und sieben Kilometern unter der Erde lag. Derartige Beben können sowohl durch sogenannte Fluid-Injektionen, wie sie in der Frac-Methode vorkommen, oder auch »Fluid-Extraktionen«, also das Abpumpen von Gas oder Erdöl, ausgelöst werden.
Diese Informationen werden im südlichen Niedersachsen und im nördlichen Nordrhein-Westfalen mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Dort suchen Exxon und andere Energiekonzerne wie das BASF-Tochterunternehmen Wintershall nach Schiefergas. Die Firmen haben sich für bestimmte Gebiete in Nordrhein-Westfalen die Erlaubnis zur Suche nach Erdgas gesichert. In Baden-Württemberg hat die Firma 3 Legs Resources Erkundungslizenzen für eine Fläche von 2 550 Quadratkilometern erhalten. Sie plant seismische Profilmessungen und eine Probebohrung. Dem Unternehmen BNK Petroleum wurden für Gebiete in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Erkundungslizenzen erteilt.

Auch in Frankreich erhielten mehrere Konzerne in den vergangenen Jahren Bohrgenehmigungen für den Südosten des Landes und das Pariser Becken. Betroffen sind auch Naturparks. Die Nationalversammlung hat aber in der vergangenen Woche ein Gesetz angenommen, das das »Hydraulic Fracturing« verbietet. Es lässt aber eine Möglichkeit offen, Schiefergas zu fördern. Mit einer anderen oder sogar mit derselben Methode, nur unter einem anderen Namen, könnten die Energiekonzerne ungestört weitermachen, kritisieren Umweltschützer.
Auch in Deutschland wächst die Kritik. Acht Bürgerinitiativen wurden seit September 2010 unter dem gemeinsamen Namen »Gegen Gasbohren« in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gegründet. »Eine neue Bürgerinitiative gründet sich überall dort, wo Konzerne Testbohrungen planen«, sagt Mathias Elshoff von der Interessengemeinschaft Nordwalde. »Und Unterstützung bekommen wir von den Trinkwasserversorgern.« Der Konzern Gelsenwasser, der in der Region 2,7 Millionen Personen mit Trinkwasser versorgt, hat sich gegen die Testbohrungen ausgesprochen. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen will über weitere Genehmigungen für Probebohrungen mit der Frac-Methode erst dann entscheiden, wenn ein unabhängiges Gutachten vorliegt. Das soll im Dezember der Fall sein. Bis dahin liegen weitere Anträge in der Schublade.
In dem niedersächsischen Dorf Lünne hat Exxon von Januar bis Ende März probeweise nach Schiefergas gebohrt. Sollte im Gestein genug Schiefergas vorhanden sein, werden die Maschinen nächstes Jahr erneut anrücken, um dann mit der Frac-Technik die Förderung zu beginnen. »Dann werden wir in unserer Region ein zweites ›Stuttgart 21‹ bekommen«, sagt Elshoff.