Ein Bischof hat ein erfolgreiches Bildungsprojekt für Jugendliche aus den Armenvierteln in Peru initiiert

Campus für Arme

Mit dem Ausbildungsprojekt »Universität der Arbeit« will der peruanische Bischof Javier del Río Alba Jugendlichen aus den Armenvierteln eine Chance geben. Der Erfolg ist groß: Fast alle, die an der Universidad Laboral de Pachacútec lernen, haben bisher einen Job gefunden.

»Das haben wir alles dem Bischof zu verdanken«, sagt Rocío Heredia und deutet durch das Fenster des weißen Kleinbusses, der sich gerade einen sandigen Hügel hinaufschiebt, auf den Gebäudekomplex am Rande der Wüste. Gräulich-gelber Sand ist links und rechts der Piste zu sehen, weiter unten säumen windschiefe Baracken aus Ziegelsteinen, Holz, Pappe und Planen den Weg, weiter oben sind die stattlichen Gebäude der Universidad Laboral de Pachacútec zu sehen, moderne Bauten aus Beton und Ziegelstein, von denen man einen guten Blick über das Stadtviertel hat.
Der Stadtteil liegt am äußersten Ende von Lima, dem Cono Norte, weit hinter dem internationalen Flughafen.
»Hier haben sich zu Beginn dieses Jahrtausends quasi über Nacht mehrere zehntausend Menschen angesiedelt. Die Armut war erschütternd, die Bedingungen mitten in der Wüste katastrophal«, erinnert sich Javier del Río Alba. Der Mann mit dem graumelierten Vollbart ist der Bischof, von dem Rocío Heredia redet. Er hat vor gut zehn Jahren die Initiative ergriffen, ist auf die Leute zugegangen, hat gefragt, was sie wollen und wie die katholische Kirche helfen könne. »Es kamen immer die gleichen Antworten: Unsere Kinder haben keine fünf oder sechs Jahre, um zu studieren. Sie brauchen eine schnelle Ausbildung mit direkter Verbindung zum Arbeitsmarkt, hieß es immer wieder«, erinnert sich der 54jährige Geist­liche. Alles andere als einfach in Peru, denn zum einen dauert es lange, bis der Staat in den neuen Stadtvierteln in den Elendsgürteln rund um Lima Schulen baut, zum anderen gibt es kaum Programme, bei denen Ausbildung in direkter Kooperation mit den Unternehmen stattfindet.
Also suchte Javier del Río Alba, damals noch ein einfacher Priester in Limas Stadtteil Callao, der an Pachacútec angrenzt, händeringend nach Alternativen. Er wendete sich direkt an Unternehmen wie den spanischen Energiekonzern Repsol. Der betreibt nur wenige Kilometer von Pachacútec entfernt die Raffinerie La Pampilla, wo etliche hundert Techniker arbeiten. »Repsol brauchte qualifizierten Nachwuchs; wir wollten Jugendliche in Ausbildung bringen. Das war doch eine Win-win-Situation. So haben wir begonnen, zusammenzuarbeiten«, erzählt der katholische Priester lächelnd. Der quirlige Mann ist zäh und hartnäckig. Er hat keine Scheu nachzuhaken, zu fragen, zu insistieren und kennt so manche der reichen peruanischen Familien, die helfen können. Der Grund ist einfach, er gehört einer dieser Familien an, hat aber das Privileg guter Bildung und ­optimaler Zukunftsaussichten nicht als Selbstverständlichkeit begriffen. Eine Haltung, die ihm Türen geöffnet hat. Nicht nur bei dem peruanischen Zementproduzenten Rizo Patrón, der die Baustoffe für die Pavillons der Arbeitsuniversität lieferte, sondern auch bei Starkoch Gastón Acurio und internationalen Partnern. Zu einigen dieser Unternehmen, die zumeist aus Spanien kommen, hat ein guter Bekannter den Kontakt geknüpft. »Ein Pilot, der regelmäßig Lima anfliegt, ist für uns bei mehreren spanischen Konzernen vorstellig geworden und hat die Koopera­tionen initiiert«, so der Bischof.

Das war 2003, als die »Universität der Arbeit« gegründet wurde. Nach und nach entstanden die ersten Pavillons vor den Stadttoren von Lima, mitten in der Wüste. Hier wird heute fleißig unterrichtet. Ein Kooperationspartner ist der spanische Stromkonzern Endesa, der die Ausbildung von Elektrikern fördert und ausgebildeten Jugend­lichen oft Jobs im direkten Anschluss an die Ausbildung bietet. Elektriker, Friseure und Kosmetikerinnen, Energietechniker sowie Verwaltungsangestellte, Köche und bald auch Kellner werden in dem weitläufigen Areal der Universität ausgebildet.
»Sie wird von der Stiftung Integrale Entwicklung gemanagt und zu dem Komplex gehört auch eine Grund- und weiterführende Schule mit rund 800 Schülern«, sagt Rocío Heredia. Sie ist für die Kochausbildung zuständig, die in Kooperation mit Starkoch Gastón Acurio stattfindet. Pro Halbjahr hat sie es mit knapp 500 Bewerbern zu tun – für 20 Lehrplätze. In den anderen Ausbildungssparten ist der Andrang ähnlich groß, denn es hat sich herumgesprochen, dass an der Arbeitsuniversität Pachacútec die Wahrscheinlichkeit, in Anschluss an die Ausbildung einen Job zu finden, äußerst hoch ist. »Die Vermittlungsquote liegt bei 93 Prozent«, berichtet der Bischof stolz. Sein Engagement hat sich gleich mehrfach ausgezahlt.

Jugendliche wie Waldo Zapato, der Verwaltungslehre an der Arbeitsuniversität studierte, oder die Köchin Luisa Serna del R. engagieren sich heute für die Einrichtung. Zapato arbeitet im Bereich Verwaltung und Marketing für die Stiftung, während Serna del R. regelmäßig an der Tafel und am Herd im Kochpavillon steht. »Jeden Montag komme ich, denn da habe ich frei im El Veridico de Fidel«, sagt die kleine, stämmige Frau mit ­einem Lächeln. Sie hat es geschafft und kocht heute in einem der angesehenen Feinschmeckerrestaurants der peruanischen Hauptstadt, dem El Veridico de Fidel. 2007 gehörte die heute 25jährige zum ersten Jahrgang. Die neun Azubis lernten, mit traditionellen Produkten aus Peru nach internationalen Standards zu kochen.
Als »Neue Peruanische Küche« genießt die leichte, einfallsreiche Küche von Gastón Acurio und anderen Spitzenköchen weltweit einen ­guten Ruf und auch in London, Madrid und New York wird sie angeboten. Daran hat auch Luisa Serna del R. ihren Anteil. Erst vor ein paar Monaten war sie in Barcelona und hat dort in die Töpfe geguckt, aber auch die eigenen Kreationen gezeigt und ihr Wissen über peruanische Spe­zialitäten und Gewürze weitergegeben.
Darin ist sie exzellent und bei den Schülern kommt die junge Lehrerin besonders gut an, weil sie eine von ihnen ist. Sie kommt aus Comas, einem der Armenviertel, die im Halbkreis um die peruanische Hauptstadt Lima liegen, und den Jugendlichen aus diesen Vierteln wollen Javier del Rio Alba und Gastón Acurio eine Chance geben. Das Konzept funktioniert, wie das Beispiel von Serna del R. zeigt. »Ein guter Koch muss auch dem Nationalgericht noch neue Nuancen abgewinnen«, erklärt sie ihren Schülern in der Lehr­küche. Jeden Montag kocht sie hier mit dem Nachwuchs, gibt ihren freien Tag dafür dran, um auch anderen den Ausweg aus der Armut zu ermöglichen, und bringt den Schülern bei, wie man auch Klassiker wie die Ceviche neu interpretieren kann. Das peruanische Nationalgericht besteht aus in Limonensaft mariniertem Edelfisch, der mit Zwiebeln und aji, einer milden Chilischote, gewürzt und mit etwas Süßkartoffel und einem frisch gekochtem Maiskolben serviert wird. Das Gericht wird in Peru täglich millionenfach serviert und kommt in vielen Variationen vor. Doch hin und wieder etwas zu verändern, hält auch die Gäste bei der Stange, weiß die Meisterköchin. Sie entwickelt sich stetig weiter und feilt am virtuosen Umgang mit Gewürzen und ausgefallen Zutaten wie Quinoa, das Getreide der Anden, Hochlandkartoffeln oder exotischen Früchte aus dem Amazonasgebiet.
Das sind peruanische Besonderheiten und die stehen auch heute auf dem Stundenplan vom Kochkollegen Daniel Sologuren in der Lehrküche Pachacútec. Sologuren, auch ein Schüler von Gastón Acurio, unterrichtet heute gleichzeitig mit Luisa und dem etatmäßigen Lehrer Gustavo Montestruque in der Kochklasse, wo sich in den drei Räumen an die 60 Schüler der unterschied­lichen Jahrgänge tummeln. Sologuren hat bei seiner Großmutter die ersten Entdeckungen in der kulinarischen Welt gemacht und nutzt deren Tricks bis heute. Mit Erfolg, denn sein »Tartar de Pejerrey«, dem auf Avocadoscheiben gebetteten, mit Limone, Zwiebeln und aji gewürzten Stücken vom Ährenfisch, schmilzt auf der Zunge. Pejerrey, Carajito, Perico und Bonito heißen die Edelfische, die bei Küchenchefs in Peru besonders beliebt sind. Auch in Acurios Kochschule kommen sie auf den Tresen, wo Lehrer wie Gustavo Montestruque und Küchenchefs wie Sologuren und Luisa Serna del R. dafür sorgen, dass traditionelle Zutaten und Rezepte und internationale Techniken aufeinandertreffen.
Fusión heißt das auf peruanisch, doch die Lehrer in Gastón Acurios Kochschule achten auch darauf, dass traditionelle Gerichte nicht zu kurz kommen. Nicht jeder Koch kann schließlich in einem Sternerestaurant unterkommen, und so werden auch Spieße vom Rinderherz, Hühnerfrikassee und gefüllte Kartoffeln zubereitet. Die werden in vielen kleinen Restaurants in Lima angeboten. Vom eigenen Betrieb träumen viele Schüler der Klasse von Luisa Serna del R.
Da findet ein reger Austausch statt, über Perspektiven, Ansatzpunkte und Businesspläne, denn das gehört auch zur Ausbildung. Ein Koch muss genauso kalkulieren können wie eine Kosmetikerin, ein Elektrotechniker oder ein Verwaltungstechniker und da die Stiftung auch Kleinkredite und Förderstipendium vergibt, wird auf den wirtschaftlichen Aspekt großen Wert gelegt. Die Studenten können sich nach der Ausbildung mit Hilfe eines Kleinkredits selbständig machen. Wie etwa Gloria Ramos, die heute ihren Businessplan einer Runde von Fachleuten vorstellt, die entscheiden werden, ob sie einen Mikrokredit für den Aufbau eines Buch- und Kopierladen erhält.
Das spricht sich herum und das ist im Interesse von Javier del Río Alba. »Wir setzen auf den Multiplikatoreffekt und geben unsere Erfahrungen auch gern weiter. Aber dass Absolventen es ebenfalls tun, das hatten wir nicht erwartet«, sagt der Geistliche voller Freude. Er hat die Arbeit in Lima längst in andere Hände gegeben und sich in Arequipa, der zweitgrößten Stadt Perus, daran gemacht, eine zweite Arbeitsuniversität aufzubauen.

Verantwortlich dafür war Papst Benedikt XVI., der ihn 2006 zum Bischof ernannte und von Lima nach Arequipa schickte. Vor zehn Monaten eröffnete der Bischof gemeinsam mit Gastón Acurio die dortige Lehrküche, darüber wurde in Peru viel berichtet. Das hat Folgen, denn über das etwas andere Bildungsprojekt wird nun zwischen Piura im Norden und Tacna im Süden diskutiert.
Bischöfe sowie NGOs aus Cusco und Trujillo sind auf Javier del Río Alba zugekommen, um sich beraten zu lassen, wie sich das Modellprojekt auch in besonders benachteiligte Verwaltungsbezirke wie Junín und Huancavelica übertragen lässt.
»Voraussetzung ist die Anschubfinanzierung«, sagt der Bischof in seinem Arbeitszimmer in Arequipa. Vor allem private Förderer haben geholfen. »Das Beispiel der spanischen Unternehmen hat dabei auch dazu geführt, dass peruanische Konzerne nachzogen«, fährt er fort. »Bildung ist die zentrale Voraussetzung für Entwicklung. Das hat sich auch unter Unternehmern herumgesprochen und da das peruanische Bildungssystem der regionalen Entwicklung hinterherhinkt, beginnt man sich zu engagieren«, erklärt der Bischof. Das soll den Staat allerdings nicht aus der Verantwortung entlassen. »Wir wollen aufzeigen, wo man auch ansetzen kann«, erklärt Javier del Rió Alba. In Pachacútec hat das ganz gut geklappt.
Peru ist mit einer Fläche von rund 1 285 220 Quadratkilometern rund dreimal so groß wie Deutschland, hat jedoch nur rund 29 Millionen Einwohner. An den Universitäten des Landes studieren rund 810 000 Studenten und an den Schulen des Landes sind vier bis fünf Millionen Schüler eingeschrieben. Die Schulen sind zwar in aller Regel staatlich, doch die Konkurrenz der privaten Bildungseinrichtungen hat in den vergangenen Jahren merklich zugenommen. Der Grund ist einfach: die fehlende Qualität der staatlichen Schulen.
Auf dem Land und in den Armenvierteln rund um die großen Städte sei die Qualität des Bildungsangebots besonders schlecht, sagt Bildungsexperte Oscar Cerne vom Kinder- und Jugendzentrum Puririsun in Cusco. Der soziale Aufstieg ist dort sehr schwierig, denn schon die Ausgaben für Hefte und Stifte überfordern arme Familien. Gleichwohl wird auch an der Arbeitsuniversität Pachacútec eine Gebühr von rund 100 Soles, umgerechnet 30 Euro pro Monat, für die Ausbildung verlangt. Die Gebühren hätten für mehr Disziplin und Zielstrebigkeit der Schüler gesorgt, meint Rocío Heredia. Die eigentlichen Kosten belaufen sich auf das Zehnfache, aber die Differenz tragen Stiftung und Sponsoren.