Der französische Geheimdienst. 6. Teil einer Serie

Prism à la française

Auch die fränzösischen Geheimdienste stehen der Datenüberwachung der US-amerikansichen NSA in kaum etwas nach. Teil 6 einer Serie über Geheimdienste.

Man glaubte, die NSA-Story sei in groben Zügen bekannt, doch Anfang dieser Woche wurde die Geschichte um die Überwachungsmaßnahmen der National Security Agency der USA fortgesetzt. In seiner neusten Ausgabe berichtet der Spiegel von Spionage des US-Nachrichtendiensts gegen französische Diplomaten auf dem Territorium der USA sowie bei den Vereinten Nationen, aber auch gegen Büros des in Katar ansässigen Fernsehsenders al-Jazeera in den USA. Das Ganze fand 2010 statt, überwacht wurden die Korrespondentenbüros des arabischen Senders in Nordamerika für die Auslandsberichterstattung. Al-Jazeera strahlt seit vorvergangener Woche nun auch Programme in den USA aus, damals war dies allerdings noch nicht der Fall.

Dass Frankreich ein beliebtes Zielland für die Spionage der NSA war, ist seit Beginn der Enthül­lungen im Zusammenhang mit der Snowden-Affäre bekannt. Ende Juni berichtete die britische Tageszeitung The Guardian etwa, in der Europä­ischen Union habe die NSA sich stark für Frankreich, Italien sowie Griechenland interessiert, »um eventuelle Divergenzen zwischen den EU-Ländern« aufzuspüren.
Dennoch fielen die Reaktionen darauf in Frankreich, verglichen mit dem übrigen Europa, verhalten aus – jedenfalls die des politischen Establishments. Staatspräsident François Hollande forderte Anfang Juli pflichtgemäß »rückhaltlose Aufklärung« seitens der USA. Von verschiedenen Seiten wurde gefordert, Edward Snowden politisches Asyl in Frankreich zu gewähren – von den einen eher aus bürgerrechtlichen, von anderen aus nationalistischen, von den USA gerichteten Motiven. Snowden hatte einen Asylanträge an 21 Staaten gerichtet, darunter Frankreich. Das Innenministerium lehnte den Antrag in der ersten Juliwoche ab, weil »die USA ein Partnerland und ein demokratischer Staat« seien und »über eine funktionierende unabhängige Justiz« verfügten. Dagegen forderten das Bündnis aus französischen Grünen und Linksliberalen, Europe Ecologie-­Les Verts (EE-LV), und der Vorsitzende der linken »Parti de Gauche«, Jean-Luc Mélenchon, aber auch die Rechtsextreme Marine Le Pen die französischen Behörden auf, Snowden Asyl zu ge­währen.
Am 4. Juli konstatierte die Pariser Abendzeitung Le Monde, wenn die politischen Reaktionen auf den NSA-Skandal insegsamt moderat ausfielen, dann aus »zwei Hauptgründen«: »In Paris war man bereits auf dem Laufenden«, und man tue »dasselbe« wie die NSA. In derselben Ausgabe erklärt die liberale Zeitung genauer, wie der französische Auslandsgeheimdienst, die Allgemeine Direktion für Äußere Sicherheit (DGSE), die Überwachung von Telefon- und Internetverbindungen in Frankreich praktiziert. Die Zeitung spricht, unter Anlehnung an die Überwachungspro­gramme der NSA, von »Prism à la française«. Demnach wird aller Informationsaustausch zwischen dem französischen Staatsgebiet und dem Ausland gespeichert, aber auch »die von Computern und Mobiltelefonen in Frankreich ausgesandten elektromagnetischen Signale« – also das, was bei der NSA als »signal intelligence« oder »signit« bezeichnet wird. Kommunikationsdaten in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter würden ebenfalls für Jahre gespeichert. Und dies in einem Rahmen, der im Prinzip illegal ist. Ein Behördensprecher bezeichnete das Vorgehen im Gespräch mit Le Monde höflich als »alegal«, was nichts anderes bedeutet als »ohne gesetzliche Grundlage«.

All diese gespeicherten Daten laufen über einen Supercomputer, der drei Stockwerke in der Zentrale der DGSE am Boulevard Mortier im Osten des Pariser Stadtgebiets einnimmt. Der Riesenrechner entwickelt bei seiner Tätigkeit so viel Abwärme, dass die DGSE allein mit ihr ihre Gebäude im Winter beheizt. Die DGSE zählt offiziell nur 4 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die US-amerikanische NSA hingegen rund 40 000. Gespeichert werden deswegen nicht alle erhobenen Daten. Der »technische Direktor« der DSGE, Bernard Barbier, sagte Le Monde, dass vier Milliarden Kommunikationsdaten im ersten Halbjahr 2013 abgespeichert worden seien.
Von Interesse sind dabei nicht primär die Inhalte der Kommunikation, die zunächst nicht registriert oder untersucht werden, sondern die Verbindungsdaten: Wer spricht mit wem, wie oft und wie lange? Im Verdachtsfall werden dann andere, klassische Überwachungsmaßnahmen vom Telefonabhören bis zum Beschatten eingeleitet.
Was jedoch verdächtig ist, entscheidet nicht die DGSE alleine, die eigentlich ausschließlich für Spionageabwehr sowie Untersuchungen zum Thema Wirtschaftsspionage zuständig ist. Zugang zu ihrem Datenpool wird nämlich auch sechs anderen Nachrichtendiensten gewährt: dem Inlandsgeheimdienst DCRI, den Zollbehörden und Tracfin, einer gegen Geldwäsche kämpfenden Einrichtung, dem kleinen internen Nachrichtendienst der Pariser Polizeidirektion sowie zwei Militär­geheimdiensten: DRM und DPSD. All das geschieht ohne Gesetzesgrundlage.
Theoretisch darf Fernemeldeverkehr in Frankreich nur auf Anordnung des Premierministers überwacht werden, und das muss von einer Kommission genehmigt werden. Die Datenschutzkommission CNIL, die den Aufgaben der Datenschutzbeauftragten in Deutschland vergleich­bare Kompetenzen hat, muss zudem darüber informiert werden. Als Reaktion auf die Enthül­lungen über »Prism à la française« behauptete die von einem konservativen Politiker geleitete CNIL, die gesetzlichen Auflagen würden eingehalten – um zugleich einzuräumen, keinen Zugang zu den Akten oder Datenbeständen der DSGE zu haben.

Von den Kapazitäten her steht das französische Überwachungssystem demnach weltweit auf dem fünften Platz, hinter denen der USA, Großbritanniens, Israels und Chinas. Aber die ge­wonnenen Daten werden auch mit »befreundeten« Diensten geteilt, wie unter den Sicherheitsap­paraten üblich. Die französischen Dienste haben etwa einen erheblichen Informations- und ­Wissensvorsprung über Vorgänge in Ländern des französischsprachigen Afrika, an denen auch US-Amerikaner und Briten sehr interessiert sind.
Ein aktuelles Beispiel für das Interesse der Verwendung solcher Verbindungsdaten liefert die »Squarcini-Affäre«. Bernard Squarcini, der unter Präsident Nicolas Sarkozy den Inlandsgeheimdienst DCRI leitete, hatte sich im Hochsommer 2010 außergesetzlich die Verbindungsdaten für das Mobiltelefon eines Journalisten von Le Monde geben lassen. Dadurch kam er dem Ministerial­beamten David Sénat auf die Schliche, der die Zeitung kurz zuvor über illegale Ermittlungsme­thoden im Justizministerium unterrichtet hatte, die zur Vertuschung eines Korruptionsskandals an der Staatsspitze eingesetzt worden waren. Sénat wurde umgehend nach Französisch-Guyana strafversetzt. Squarcini erhielt die Kommuni­kationsdaten für das Handy mutmaßlich durch direkte Nachfrage beim Anbieter, der ­unter Druck gesetzt worden war. Aber in anderen Fällen können die Dienste sich im Datenpool ­der DGSE bedienen.