In São Paulo ist Außenwerbung seit Jahren verboten

Schöne Fassaden

Die brasilianische Stadt São Paulo hat bereits 2007 ein populäres Außenwerbeverbot erlassen, dabei hat die Stadt viele andere Probleme.

Endlos ziehen sich die Hochhäuser, mehrspurigen Straßen, Autokolonnen. Bis zum Horizont, ließe sich sagen, doch der ist meist gar nicht erkennbar. Eine Smogglocke lässt ihn verschwimmen. Durch die Stadtlandschaft schlängelt sich eine stinkende Kloake, der Fluss Tietê. Dazu das ständige Hupen und Brummen der Fahrzeuge, laute Musikfetzen, Baustellengeräusche und der sonstige Soundtrack einer geschäftigen Metropole. Dennoch hat São Paulo Charme und bietet beim näheren Hinsehen viele schöne Ecken. Dass es dort weniger Werbung gibt als in anderen Städten, bekam ich bei meinem letzten Besuch 2011 aber nicht mit. Ob die Stadt durch das Verbot von Außenwerbung an Lebensqualität gewonnen hat, lässt sich aus der Perspektive einer gelegentlichen Besucherin also nicht sagen. Die Mehrheit der Einwohnerinnen und Einwohner São Paulos steht jedoch auch Jahre nach dem damals wohl einzigartigen Werbeverbot noch hinter der Entscheidung. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha vom Mai zufolge unterstützen 68 Prozent der paulistanos, der Stadtbevölkerung, das Außenwerbeverbot, es gehört zu den populärsten Maßnahmen der vorigen Stadtregierung.

Am 1. Januar 2007 trat die »Lei Cidade Limpa« (Gesetz Saubere Stadt), ein Verbot von Außenwerbung im Stadtbezirk São Paulos, in Kraft. Auf den Straßen und an öffentlichen wie privaten Gebäuden ist seither das Anbringen von Werbeplakaten und -schildern ab einer bestimmten Größe verboten. Initiiert hatte das Werbeverbot der damalige Bürgermeister Gilberto Kassab. Seinerzeit gehörte er noch den rechtsliberalen Demokraten an. Mit Abtrünnigen anderer Parteien gründete Kassab 2011 die rechtsliberale Sozialdemokratische Partei (PSD). Das Außenwerbeverbot war also keine linke oder antikapitalistische Initiative, auch wenn es damals sicherlich auch von Linken unterstützt wurde und der derzeitige Bürgermeister São Paulos, Fernando Haddad von der Arbeiterpartei (PT), es weiterhin verteidigen will.
Kassab als Marktliberaler hatte gar nichts gegen Werbung und florierende Geschäfte. Das Außenwerbeverbot begründete er mit dem Kampf gegen Verschmutzung und zählte dazu neben Verschmutzung von Luft- und Wasser auch die »visuelle« sowie diejenige durch Lärm. »Wir haben uns entschieden, beim Kampf gegen Verschmutzung mit dem deutlichsten Bereich zu beginnen – der visuellen Verschmutzung«, kündigte er damals an – angesichts dessen, dass die von der »visuellen Verschmutzung« ausgehenden Gefahren wohl kaum mit denen des Smogs und der Verunreinigung der großen Trinkwasserreservoire im Südwesten der Stadt mithalten können, eine zumindest gewagte Aussage. Kassab zufolge ging es darum, das Stadtbild ausgewogener zu gestalten und das kulturelle und historische Erbe zu bewahren, indem architektonische Charakteristika wieder besser sichtbar werden. »Bestimmte grundlegende Bürgerrechte« sollten zurückerobert werden, schreibt die Stadtverwaltung über das Gesetz auf ihrer Website, und preist es als »Oberhoheit des Gemeinwohls über jegliches korpora­tives Interesse«. Das Werbeverbot inspirierte der Stadtverwaltung zufolge Städte weltweit, unter anderem Buenos Aires, Lissabon, Athen, Seoul und London – in diesen gelten Werbeverbote bislang aber nur lokal, zeitlich oder thematisch begrenzt.

Nach Inkrafttreten des Gesetzes wurden in São Paulo 15 000 Werbeflächen abmontiert, vielerorts kamen bröckelnde Fassaden zum Vorschein. In der Folge wurden viele Gebäude renoviert und das Stadtbild wurde tatsächlich etwas schmucker. Doch das Werbeverbot stieß natürlich nicht nur auf Zustimmung. Private Werbeunternehmen lancierten große Gegenkampagnen vor dessen Einführung, Hunderte Gerichtsverfahren wurden danach gegen die Verbotsbestimmungen angestrengt und Werbende lassen sich stets neue Tricks einfallen, um die Vorgaben zu umgehen. So berichtete etwa das TV-Journal »Bom Dia Brasil« Ende Oktober von als Action- und Märchenfiguren verkleideten Menschen, die mit um den Hals gehängten Werbeschildern als mobile Werbeträger für Baufirmen fungieren.
Die Ahndung von Zuwiderhandlungen hat inzwischen, sechs Jahre nach Einführung des Werbeverbots, abgenommen. Im September stimmte der Stadtrat erstmals Ausnahmen für Krankenhäuser und Kirchen zu. Von weiteren, zwischen Januar und September beantragten 106 Ausnahmen wurde 76 stattgegeben. Außerdem wurde eine große Werbekampagne auf Bussen und Taxis für das Fahrradfahren erlaubt. Verfechterinnen und Verfechter der »Lei Cidade Limpa« befürchten mit der Gewährung von Ausnahmen bereits ein Ende des Außenwerbeverbots. Eine Aufweichung wolle er jedoch verhindern, bekräftigt Haddad. Gegner des Verbots betonen hingegen, wie viel potentielle Steuereinnahmen der Stadt verloren gingen. Auch Parteigenossen Kassabs wie Antonio Goulart dos Reis (PSD) fordern mehr Freiheit für die Werbung auf Fahrzeugen: »Damit könnte man Finanzeinnahmen in Höhe von 519 Millionen Reais (167 Millionen Euro) erzielen, was die Kosten für den so erträumten Freifahrtsschein für Studierende tragen könnte.«
Die geplante Erhöhung der Transportkosten in São Paulo in diesem Frühjahr war der Auslöser für die größten sozialen Proteste in Brasilien seit Jahrzehnten. Gegen eine werbefreie städtische Umwelt ist nicht unbedingt etwas einzuwenden, doch scheint die Megacity wichtigere Probleme zu haben. Viele Bewohnerinnen und Bewohner müssen sich täglich stundenlang durch den Verkehr quälen. Vor allem in der armen Peripherie fehlt oft der Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und sonstiger Infrastruktur, etwa zur Kanalisation und ausreichender Elektrizität. Doch diese Probleme sind offenbar nicht so einfach zu verbannen wie Außenwerbung.