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Mein Kiez im Spiegel der Weltpresse – nicht wenige Redakteure geben zu, dass sie von dem, was in ihrer Straße passiert, praktisch gar nichts mitkriegen oder davon lediglich in der Zeitung lesen. Sie kennen sich in der Weltgeschichte bestens aus, wissen immer, was gerade im Verteidigungsministerium vor sich geht und an welchem Stuhl in welchem Ausschuss gerade gesägt wird, aber die eigene Nachbarschaft finden sie sterbenslangweilig. Dann sowas: Ein energisches »Stehenbleiben oder wir schießen!« bekam ein in Neukölln wohnender Redakteur beim Rauchen auf dem Balkon seiner Wohnung im ersten Stock gegen 2 Uhr 30 zu hören. Die Ansprache des Polizisten galt einem 20jährigen, der sich mit den Beamten eine »filmreife Verfolgungsjagd« (Berliner Morgenpost) geliefert hatte, die nur durch Schüsse auf die Reifen des Fluchtwagens gestoppt werden konnte. Unter dem Balkon des Redakteurs kam es zum Showdown. »Alles ging irrsinnig schnell«, berichtete er uns.
Filmreif waren auch die Auftritte der Berlinale-Prominenz, die ein unweit des Friedrichstadtpalastes wohnender Redakteur von seinem Fenster in der vergangenen Woche gut beobachten konnte. Mehr oder weniger gut: »Die fahren in dicken Autos vor und werden belagert. Man erkennt die nie.« Später las er in den News im U-Bahn-Fernsehen, dass er Bill Murray gesehen haben muss, der sich zur fraglichen Zeit vor seiner Haustür aufgehalten hatte.
Tatort Neukölln, die zweite. Auf dem Parkplatz vor dem Haus eines in Neukölln wohnenden Redakteurs wurde nachts ein Türsteher mit fünf Schüssen regelrecht hingerichtet. »Kerzen und Blumen erinnern an die Tat. Gehört und mitgekriegt haben wir nichts.«
Vom Kleinkrieg im Kiez zu den großen internationalen Konflikten. Die sieht ein ebenfalls in Neukölln wohnender Redakteur direkt vor seiner Haustür gespiegelt. Hier demonstrieren Anhänger der AKP regelmäßig dafür, dass Mohammed Mursi in Ägypten wieder Präsident wird.
Mit Stirnrunzeln verfolgt eine Redakteurin die Presseberichte in diversen Stadtmagazinen über die sagenhafte Expansion des Hostels auf der anderen Straßenseite, das sich in wenigen Monaten von einer unauffälligen Absteige zum größten Schwabentreff nach dem Prenzlauer Berg entwickelt hat.

kreuzworträtsel
Stadt-Land-Gefälle. Natürlich sitzen die rund eine Million Flüchtlinge in Griechenland und nicht in Athen fest, sonst wäre es dort ja ziemlich voll. Nicht Athen hat nämlich elf Millionen Einwohner, sondern das gesamte Land. (Nr. 7/2014, Seiten 10/11)