Der Freispruch für Vojislav Šešelj und die Folgen für die serbische Politik

Freispruch für Kriegshetzer

Vojislav Šešelj war während der Jugoslawien-Kriege der führende Propagandist eines Großserbiens. Er wurde wegen der Anstiftung zu Kriegsverbrechen und weiteren Vergehen angeklagt, aber vorige Woche freigesprochen. Nun bereitet er sich auf sein politisches Comeback vor.

Der langjährige Prozess gegen Vojislav Šešelj endete am Donnerstag vergangener Woche mit einem Freispruch in allen neun Anklagepunkten. Der Richter Jean-Claude Antonetti erklärte in seinem Urteilspruch: »Nationalistische Propaganda ist nicht kriminell.« Die Anklage habe Begriffe wie Verbrechen und Gewalt nicht korrekt angewandt. Eine direkte Verbindung zwischen Šešeljs Hassreden und konkreten Kriegsverbrechen sei nicht bewiesen worden.
Dem Urteilsspruch zufolge sei die Schaffung Großserbiens ein politisches Projekt und verfolge keine kriminellen Ziele, für die man den Angeklagten verurteilen könne. Zwar sieht es das Gericht als erwiesen an, dass der Angeklagte Freiwillige für den Krieg anwarb. Es ist aber nicht davon überzeugt, dass Šešelj von den Kriegsverbrechen gewusst oder diese in Auftrag gegeben hat. Die Antwort darauf, wie Šešeljs Großserbien denn ohne sogenannte ethnische Säuberungen hätte geschaffen werden können, blieb das Gericht schuldig. Dass er nicht für seine Anstachelung zu Kriegsverbrechen verurteilt wird, mag ein Skandal sein, eine Überraschung ist es nicht. Die Anklageschrift war von Anfang an kritisiert worden, weil sich dort gröbste Fehler fanden, die es für Šešelj zu einem Kinderspiel machten, das Gericht vorzuführen. Die Anklage hatte 28 Jahre Haft gefordert, weil sie Šešelj für einen der schlimmsten Kriegsverbrecher der Jugoslawien-Kriege hält. Er ist nicht der erste Kriegstreiber, der mit einem Freispruch davonkommt.
Šešelj tat nach der Urteilsverkündung das, was er am besten kann: Er pöbelte. »Die Idee Großserbiens ist unsterblich«, sagte er und forderte eine Entschädigung in Höhe von 14 Millionen Euro dafür, dass er von 2003 bis 2014 in Untersuchungshaft saß. Die serbische Boulevardzeitung Kurir titelte am Tag nach dem Freispruch mit dem Šešelj-Zitat: »Ich habe Den Haags Mutter gefickt.« Wegen des Datums haben wohl einige auf einen Aprilscherz gehofft, aber die Zeitung meinte es tatsächlich ernst mit diesem Titel.
In den Nachbarstaaten gab es empörte Reaktionen auf das Urteil. Die kroatische Tageszeitung Jutarnji List forderte: »Das Gericht muss man sofort schließen.« Das Geld solle stattdessen für die Exhumierung der Massengräber der Jugoslawien-Kriege verwendet werden. Im ostbosnischen Srebrenica fuhren Anhänger von Šešelj stundenlang im Autokorso und bedrohten Bosniaken in der Stadt. Sie passierten auch das Massengrab in Potočari, wo der Großteil der 8 000 bosniakischen Opfer der Massaker von Srebrenica begraben liegt. Bewohner der Stadt betonen jedoch, dass es sich bei jenen aggressiven Anhängern Šešeljs um Menschen aus den Nachbarorten gehandelt habe. Das Zusammenleben zwischen bosnischen Serben und Bosniaken in Srebrenica funktioniere gut.
In der serbischen Hauptstdt Belgrad wurde am Abend des Freispruchs das Kollektiv Zadruga Oktobar angegriffen. Sieben Neonazis mit Schlagstöcken stürmten das von Linken betriebene Kollektiv. Zum Zeitpunkt des Angriffs waren vier Personen in dem Raum. Die Neonazis zerstörten die Fensterscheiben und brachen einem der Anwesenden die Nase. Weil das Kollektiv recht versteckt liegt, handelte es sich wohl um einen geplanten Angriff. Ob die Neonazis damit den Freispruch Šešeljs feiern wollten, ist derzeit unklar.
Der Freispruch beinflusst auch die serbische Politik, in der Šešelj wieder aktiv ist. Die größte Partei, die Serbische Forschrittspartei (SNS), ist eine Abspaltung von Šešeljs rechtsextremer Serbischer Radikaler Partei (SRS). Sowohl der serbische Präsident Tomislav Nikolić als auch der Ministerpräsident Aleksandar Vučić sind politische Ziehsöhne des Ultranationalisten Šešelj. Allerdings haben sie sich inhaltlich von der SRS entfernt, verfolgen einen proeuropäischen Kurs und haben die großserbische Rhetorik ad acta gelegt. Šešelj wird nun zu einem politischen Problem für seine ehemaligen Ziehsöhne.
Es gibt in Serbien mehrere ultranationalistische und rechtsextreme Parteien, von denen derzeit dank der Fünf-Prozent-Hürde keine im Parlament sitzt. Der Freispruch beschert Šešelj nun ein enormes Mobilisierungspotential für die Parlamentswahlen am 24. April. Die SRS würde aktuellen Umfragen zufolge als drittstärkste Kraft ins Parlament einziehen und ihre großserbische Propaganda dort verbreiten. Niko­lić und Vučić können schlecht Wahlkampf gegen Šešelj betreiben, weil das ein negatives Licht auf ihre Vergangenheit werfen würde. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass sich Šešeljs rechtsextreme Partei in einer Regierungskoalition wiederfinden wird. Zu tief sind die Gräben zwischen dem Ultranationalisten und seinen politischen Ziehsöhnen.