Das Essen von der Straße
Was hätte Karl Marx gegessen?
Streetfood zu konsumieren, ist progressiver, als in einem Restaurant zu essen. Eine Verteidigung des Food Trucks.
Ob Berlin, London oder New York – überall unterbrechen Bankangestellte, Berater und Start-up-Unternehmer ihren Zwölfstundentag, um von der Ladenfläche eines umgebauten Lieferwagens bunte Limonaden und szeniges Trendfood zu hohen Preisen zu kaufen. Die Food Trucker sind freie Unternehmer, die mit wenig Kapital und großem Risiko ihren Traum vom eigenen Lokal verwirklichen. Als Kind des Liberalismus tauchen die Food Trucks überall dort auf, wo hohe Einkommen lukrative Mittagspausen versprechen. Die mobile Kantine kann so schnell auf Angebot und Nachfrage, auf Aufstieg und Niedergang ganzer Stadtteile reagieren, als lenkte die unsichtbare Hand des Marktes persönlich. Selbstverständlich ist dieser Budenzauber den Linken verdächtig. Er klingt nach Kapitalismus pur.
Der Food Truck ist für die Gastronomie, was die Industrialisierung für die Produktion war: nötige Voraussetzung für eine große Revolution.
Deshalb beginnen wir seine Verteidigung mit dem vielleicht wichtigsten Loblied auf den Kapitalismus, dem von Marx und Engels im kommunistischen Manifest: »Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.«
Nirgends speist man nüchterner als am Food Truck, in der Fritteuse verdampft der letzte Rest feudaler Gastrokultur. Er ist die Verkörperung von »fortwährender Umwälzung«, von »ewiger Unsicherheit und Bewegung«. Der Food Truck ist für die Gastronomie, was die Industrialisierung für die Produktion war: nötige Voraussetzung für eine große Revolution.
Gefühlslinke möchten im klassischen Restaurant sitzen bleiben, in dem das Personal sich zu fragwürdigen Löhnen bis tief in die Nacht den Rücken ruiniert. Die Hierarchie von Koch und Kellner, von Gast und Gastgeber ist Feudalismus pur. Erst am Food Truck müssen Produzent und Konsument beide stehen. Beide Parteien haben mächtige Hebel: Ich muss deinen Veggie-Burger nicht kaufen, aber du kannst mit deinem Wagen morgen einfach ganz woanders hinfahren.
Aus Restaurantküchen, den »verborgenen Stätten der Produktion«, hört man schlimmste Geschichten: brüllende Chefköche, brutale Arbeitsmethoden, fragwürdige Hygiene und das alles fernab der Augen der Gäste. Die Transparenz des Food Truck nimmt dem Koch diesen Machtraum und zeigt damit brav dialektisch im Hyperkapitalismus den Ausweg aus demselbigen.
Keine Stoffservietten, kein Kerzenlicht, kein Oberkellner und keine Weinkarte. Mit dem »Guide Michelin« werden wir die Massen nicht sattbekommen, mit dem Food Truck schon. Pulled Pork, Craft Beer und Co. können die proletarischen Wurzeln des Food Truck auch gar nicht verbergen. Er ist eine Evolutionsform der Currywurstbude, die selbst aus der Gulaschkanone, der mobilen Suppenküche, entstanden ist.
Die Bolschewiki im russischen Bürgerkrieg hatten Theaterzüge als Propagandainstrumente für den Kommunismus. Food Trucks sind Propagandawagen für die Innovationskraft des Kapitalismus. Marx wusste: Durch den müssen wir durch, wenn es besser werden soll. Im edlen Restaurant des Grandhotels Abgrund sitzt es sich vielleicht bequemer, doch am Food Truck isst man progressiver.
Jan Stich
Langeweile aus der Pappschale
Streetfood begeistert hippe Stadtbewohner, die immer einen neuen Gastro-Kick suchen. Warum aber Pommes mit Bratensauce das nächste Trendgericht sein sollen, bleibt ein Rätsel.
Für ein gastronomisches Abenteuer ist es nicht mehr nötig, in ferne Länder zu reisen oder in Feinkostläden einzukaufen, und schon gar nicht, in exklusiven Restaurants essen zu gehen. Überhaupt essen gehen – tut das eigentlich noch jemand? An einem gedeckten Tisch sitzen, die Speisen aus einer Karte in der klassischen Reihenfolge Vorspeise, Hauptgericht, Dessert wählen und sie auf richtigen Tellern serviert bekommen – das ist etwas, was der urbane foodie, der etwas auf sich hält, heutzutage nur noch tut, wenn es unbedingt sein muss, zum Beispiel wenn die Eltern aus der Provinz zu Besuch kommen.
Der urbane foodie sieht sich als Teil einer »Szene«, die alltägliche Dinge, wie eben essen zu gehen, ganz neu erfunden hat – eine Art Gastro-Avangarde.
Wer sich schon mal in den angesagten Vierteln vieler nordamerikanischer oder mitteleuropäischer Großstädte nach gastronomischen Angeboten umgesehen hat, wird es bemerkt haben: Klassische Restaurants haben ihre behrrschende Stellung verloren, Food Trucks haben die Straßen erobert. Es handelt sich dabei um ein Upgrade des tristen, als Inbegriff kulinarischer Armseligkeit geltenden Imbisswagens, das allein schon optisch eine zivilisatorische Errungenschaft darstellt: In schrillen Farben bemalt tragen die Food Trucks meist Namen, die etwas charmanter klingen als etwa »Zur Bratpfanne«, und auf die Servietten sind coole Sprüche gedruckt, in denen häufig Worte wie »Liebe« beziehungsweise »love« oder »revolution« vorkommen. Für den stets nach kulinarischen Erlebnissen hungernden, aber eine gewisse Lässigkeit pflegenden, kosmopolitischen Stadtbewohner spielt dieses zwangslose Setting eine mindestens genauso wichtige Rolle wie die Auswahl der angebotenen Gerichte.
Er stellt sich dann gerne in der Schlange vor dem entsprechenden Food Truck an und nimmt die Wartezeit in Kauf, die nun mal anfällt, wenn der Andrang groß ist und die Küche winzig. Das Warten wird dabei nicht wirklich als lästig empfunden, wie die meist gut gelaunten Gesichter erkennen lassen, denn einerseits kann man beim Warten etwas über die Freude auf das gleich kommende Essen posten, andererseits bekommt man neben der Nahrung ein wichtiges Gefühl vermittelt: das, Teil einer »Szene« zu sein, die alltägliche Dinge, wie eben essen zu gehen, ganz neu erfunden hat – eine Art Gastro-Avangarde. Die Auswahl ist in der Regel nicht sehr groß, das bestellte Gericht kommt in kleinen, meist überfüllten Pappschalen und wird ganz lässig auf Holzbänken, auf der Bordsteinkante sitzend oder einfach im Stehen konsumiert.
Doch was genau wird auf diese Art gegessen, und vor allem, warum? Ein Blick in die Angebote verschiedener Streetfood-Veranstaltungen quer durch das Netz verrät: Streetfood kann alles sein, wenn es im richtigen Format präsentiert und vermarktet wird. Als sich der Trend vor einigen Jahren in Deutschland etablierte, erlebten bestimmte Gerichten aus der schnellen Küche eine unerwartete Renaissance: Burger, Pommes, Currywurst und Co. emanzipierten sich vom Image des qualitativ minderwertigen Imbissfraßes – Stichwort Unterschicht – und wurden Teil der hippen urbanen Esskultur, die die Schnelligkeit des Fastfood mit dem Bedürfnis nach frischer, selbstgemachter Kost und stillvoller Inszenierung kombiniert. Das Angebot hat sich mittlerweile diversifiziert, die Ansprüche sind gestiegen, die Szene hat sich professionalisiert.
Seit 2013 findet der World Street Food Congress statt, in Deutschland gibt es jährlich den Street Food Congress Europe in Dortmund und die Street Food Convention in Nürnberg, in jeder größeren Stadt finden sich Streetfood-Märkte, und kein Sommer vergeht ohne das obligatorische Streetfood-Festival.
Beim Besuch der mittlerweile auch in Deutschland stattfindenden Großveranstaltungen rund um die schnelle Straßenküche wird man trotzdem das Gefühl nicht los, es handele sich dabei um riesengroße Spielplätze, wo übersättigte Wohlstandskinder, die nicht mehr zu Hause kochen, weil sie es gar nicht nötig haben, nach dem nächsten Gastro-Kick suchen und sich für ganz ordinäre Dinge begeistern, sobald ein bisschen Glitzer darüber gestreut wird.
Zum Beispiel für das neue Trendgericht aus der Street-Food-Szene: die kanadische Poutine, eine ziemlich unspektakuläre Schale Pommes mit cheese curds, also Käsestücken, und Bratensauce. Was dieses Gericht zu einer Besonderheit macht, über die Stadtmagazine begeistert schreiben, bleibt ein Rätsel. Oder liegt es vielleicht daran, dass die Fritten handgeschnitten sind und die dunkle Bratensauce sowie die Käsestückchen »aus regionaler Brandenburger Produktion« kommen, wie es Qiez zufolge bei The Poutine Kitchen in der Berliner Arminiusmarkthalle der Fall ist? Man weiß es nicht.
Wer mehr erfahren wollte, konnte am vergangenen Wochenende die European Street Food Awards in der Berliner Malzfabrik besuchen, wo neben der kanadischen Poutine italienische Arrosticini, maghrebinische Fusion-Küche und finnische Burger vertreten waren. Außerdem viel Craft-Bier und »kulinarische Extravaganza«, wie es in der Ankündigung hieß. Gewonnen haben die Trucks des indischen Jah Jyot Punjabi Street Food (Jurypreis) und der Berliner Grillspezialist Piekfein, der Pulled-Pork-, Chicken- und Quinoa-Burger im Angebot hatte und dafür den Publikumspreis bekam.
Am Ende der kulinarische Reise also zurück zum Burger. Viel mehr als die Erkenntnis, dass ein gutes Gericht sich in erster Linie durch Zutaten guter Qualität, kulinarisches Können und etwas Kreativität auszeichnet, ist so nicht gewonnen. Die Streetfood-Revolution muss sich bald etwas Neues einfallen lassen. Oder sie wird von ihren Kindern gefressen.
Federica Matteoni