Kritik an der Historikerin Joan Wallach Scott für ihre Haltung zu Kritik an Israel

Taschenspielertrick der Kritikabwehr

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Dass Salaita sich bei seinen »heftigen Invektiven« (Scott) auf Twitter unter anderem recht unverhohlen der Ritualmordlegende bediente, erfährt man leider nicht. Im Versuch, einen cordon sanitaire gegen das antiintellektuelle Außen zu errichten, verweigert sie die Überprüfung der Vorwürfe, die ohne Umschweife einfach als Rufmordkampagne gegen Kritiker Israels behandelt werden. Der britische Soziologe David Hirsh hat für diesen populären Taschenspielertrick der Kritikabwehr den Ausdruck »Livingston formulation« geprägt, nach dem ehemaligen Londoner Bürgermeister, der sich besonders prominent in dieser Disziplin hervorgetan hat. Antisemitismus werde in diesem Modus als eine subjektive Empfindung und nicht als ein objektives soziales Phänomen behandelt, über das man rational diskutieren kann – und auch muss.

In genau dieses Horn stößt Scott, wenn sie einen Diskursmechanismus ausgemacht haben will, der die Äquivalenzreihe Kritik an Israel gleich Antisemitismus gleich »incivility« zugrunde liegt, ein Meschanismus, der als Waffe gegen kritische Wissenschaftler verwendet werde. Ihr Argument wird hier zirkulär: Sie suggeriert, dass es sich nur um einen Affekt handeln kann, wenn Kritik an Israel als antisemitisch bezeichnet wird, um die unheilvoll entpolitisierende ­Wirkung des »affective turn« zu demonstrieren. Über die wissenschaftliche Frage, ob und wann Kritik an Israel nicht durchaus auch objektiv antisemitisch sein kann, verliert sie kein Wort.

Die bittere Ironie dieser impliziten Gleichsetzung einer bestimmten Art von Kritik mit Zensur ist freilich, dass dies sehr dem gewollten Missverständnis ähnelt, mit dem auch ihre Kontrahenten in der Debatte gerne hausieren gehen: Man darf ja heute gar nichts mehr sagen …

Joan Wallach Scott: Knowledge, Power, and Academic Freedom. Columbia University Press, New York 2019, 171 Seiten, circa 25 Euro