Gomme bekämpfen mit ihrer EP »Absent Healing« Mansplaining

Instrumente gegen Mansplaining

Die Pariser Band Gomme führt auf ihrer neuen EP von sich selbst ergriffene Männer vor und wünscht sich, dass Frauen zu ihrer Musik ausrasten.

Zwei Jahre brauchte es, bis die zarten Basslines und eleganten Drums von Betsy Roszkowiak und Hannah Todt alias Gomme auf Vinyl gepresst wurden. Mit »Absent Healing« erscheint nach der ersten Platte der Pariser Post-Punkerinnen (die nur als CD erschien) nun eine Vinyl-EP auf dem Berliner Hardcore-Punk-Label Adagio830.

Im Interview mit der Jungle World erklären Todt und Roszkowiak »Absent Healing« zum ersten wirklich »gemeinsamem Baby« von Gomme, während das Vorgängeralbum »Hiss« noch maßgeblich aus Roszkowiaks Feder stammte. »Absent Healing«, aufgenommen auf einem abgelegenen Bauernhof in Burgund, vereint treibenden Post-Punk mit weicherem, nicht minder energetischen Indie-Rock, der an Grass Widow und Kleenex erinnert. Roszkowiak erzählt: »›Absent Healing‹ ist weitaus experimenteller, allein schon durch die Mitarbeit von Hannah. Bei ›Hiss‹ ging es auch darum, endlich dieses Goth-Punk-Album herauszubringen, was schon ewig in mir schlummerte – nun kamen neue Einflüsse dazu, inspiriert von Bands wie Unwound und Broken Water.«

Die Platte leitet knapp mit einer männliche Stimme ein, die bedeutungsschwanger »I found« – dramatische Pause – »a wasp in the garden« vor sich hin lallt. Die eingespielte Aufnahme mag nur 37 Sekunden dauern, und doch ist die Erleichterung enorm groß, wenn das nächste Stück »Es ist Zeit« beginnt, dieses Mal ohne die männliche Stimme. Zu vertraut erscheint die übermäßige Aufmerksamkeit, die oft von Männern geäußerten Nichtigkeiten zukommt. Gomme vertreiben diesen Archetypus des Mansplaining buchstäblich mit ihren Instrumenten. Gomme begegnet dem alltäglichen Sexismus weder indifferent noch affektiv. Deutlich wurde das auch bei dem Vorgängeralbum »Hiss«. Fun Fact: Der Titel ist inspiriert von der Serie »Stranger Things«, in der die Geräusche des körperlosen Monsters in den Untertiteln mit »Hiss« wiedergegeben werden.

Weniger düster, dafür stellenweise sehr viel härter, schneller und bedingungsloser zerlegen Gomme die weiterhin patriarchal strukturierte Gesellschaft. Dabei sind sie so wild und präzise zugleich, wie man es sich von einer feministischen Band nur wünschen kann. Neben Songs wie »Rape and Run«, der auf dem Debüt erschien und den als Stanford-Fall bekannt gewordenen Missbrauch aufgreift (der Täter, ein Elitestudent, kam nach gerade einmal drei Monaten Haft wieder auf freien Fuß), singen Gomme auch über persönliche Erfahrungen. Für Roszkowiak sind die Übergange fließend: »Wir haben Lieder, die dezidiert feministisch sind. Der Rest ist schlicht über unser Leben, erfahrenen Schmerz oder Erkenntnisse, die wir gewonnen haben.« Wichtiger als Songs über feministische Themen sei es, den Feminismus auch praktisch zu machen: »Am Ende ist es bedeutsam für alles, was du machst: die Dynamik in der Band, wo du spielst, ob sich Frauen und andere marginalisierte Gruppen in der ersten Reihe wohlfühlen, um auszurasten, wenn sie denn möchten.«

Währenddessen preschen die Drums im Song »L’inverse« in einer ungebändigten Härte voran, wobei der Gesang der Frauen, nur scheinbar langsamer, zu jedem Zeitpunkt im Vordergrund bleibt. Gomme geraten nicht in den Bereich des Unaussprechlichen, Verstummenden oder Kapitulierenden, sondern fordern in dröhnender Selbstverständlichkeit sogleich wieder ihr Recht ein.

Hierbei wechseln sich wütendes Französisch, Nietzsche zitierendes Deutsch (schon okay) und Englisch mit weichem Akzent unmerklich ab. Betsy und Hannah, die ursprünglich aus San Francisco beziehungsweise Wien nach Paris zogen, gefällt die Idee der Mehrsprachigkeit für ihre Songs: »Wir sprechen alle unterschiedliche Sprachen, warum nicht auch in ihnen singen? Ich mag es, die Leute damit zu verwirren, und mal ehrlich – für französische Muttersprachler ergibt unser Französisch wahrscheinlich nicht mal viel Sinn, aber das macht die ganze Sache noch konfuser und damit sehr viel amüsanter, oder?«

Gomme: Absent Healing (Adagio830)