Progressive Hauptstadt
Mehr als zwei Jahrzehnte lang herrschte politischer Stillstand in Zagreb. Seit 2000 regierte der konservativ-populistische ehemalige Sozialdemokrat Milan Bandić die Stadt und wob ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten und Gefälligkeiten. Während seiner Amtszeit gab es zahlreiche Skandale und Korruptionsvorwürfe, 2002 bis 2005 und 2014/2015 durfte er deshalb sein Amt zeitweise nicht ausüben, zweimal saß er in Untersuchungshaft – doch nie kam es zu einer Verurteilung.
Anfang des Jahres kündigte Bandić an, für eine siebte Amtszeit als Bürgermeister der Hauptstadt Kroatiens zu kandidieren. Zu diesem Zeitpunkt saß »der Caesar von Zagreb« schon nicht mehr fest im Sattel. Das jahrelange Missmanagement der öffentlichen Infrastruktur und der Müllentsorgung sowie die Vernachlässigung der steigenden Mieten und des Mangels an Wohnraum zugunsten teurer Prestigeprojekte hatten seine politische Stellung untergraben und zu regelmäßigen Protesten geführt. Im Februar 2021 starb der 65jährige Bandić überraschend an einem Herzinfarkt, wodurch die anstehenden Wahlen eine neue Wendung erfuhren.
Bereits zu den Kommunalwahlen 2017 war aus einem Teil der oppositionellen Szene von sozialen Bewegungen, NGOs und Intellektuellen die lokalpolitische Plattform Zagreb je naš (Zagreb gehört uns) entstanden. Diese lehnt ihre politische Praxis an vergleichbare spanische Wahlplattformen in Barcelona, Madrid und La Coruña an und gehört zu »Fearless Cities«, einem weltweiten Netzwerk politischer Initiativen, die sich vor allem auf der lokalen Ebene engagieren.
Damals hatte Zagreb je naš als Teil eines Wahlbündnisses vier Sitze im Stadtparlament und viele auf unteren kommunalen Ebenen erhalten. Am 16. Mai trat die Plattform erneut an – in einem Bündnis aus kleineren Parteien und der links-grünen, auf nationaler Ebene agierenden Plattform Možemo (Wir können) Diese war 2019 ausgehend vom lokalpolitischen Projekt Zagreb je naš gegründet worden.
Bei den Lokalwahlen im Mai erhielt das Bündnis über 40 Prozent der Stimmen, 23 von 47 Mandaten im Stadtparlament und erneut viele Sitze in den Nachbarschafts- und Bezirksräten der Stadt. Bei der Direktwahl des Bürgermeisters erhielt ihr Kandidat Tomislav Tomašević, selbst langjährig aktiv in Bewegungen für Wohnraum, Umweltschutz und gegen Korruption, in der ersten Runde 147 631 Stimmen (45 Prozent) – mehr als Bandić jemals im ersten Durchgang erreicht hatte.
Während die zwei großen kroatischen Parteien, die konservative Regierungspartei HDZ und die sozialdemokratische SDP, schlecht abschnitten, kam der Kandidat der 2020 gegründeten nationalistisch-autoritären »Heimatbewegung«, der ehemalige Sänger Miroslav Škoro, mit zwölf Prozent auf Platz zwei. Škoro ist bekannt als Sänger patriotischer Lieder, die besonders während des kroatischen Unabhängigkeitskrieg und der Jahre danach – der Hochzeit des kroatischen Nationalismus – populär waren. Er äußerte sich wiederholt frauenfeindlich, verteidigt die Verwendung faschistischer Symbole und verlangt mehr Macht für die Exekutive.
Da Tomašević weniger als 50 Prozent der Stimmen erhalten hatte, kam es am Sonntag zur Stichwahl zwischen ihm und Škoro. Dieser versuchte, den Kandidaten des links-grünen Bündnisses als linksextrem, korrupt und eines unkroatischen Geistes verdächtig zu diskreditieren. Trotzdem gewann Tomašević mit 65,25 Prozent der Stimmen. Es ist der wohl größte Erfolg der kroatischen Linken seit 30 Jahren.
Diese Linke entspricht nicht dem von Škoro verbreiteten antikommunistischen Feindbild. Sie gleicht eher einer sozial-egalitären Sozialdemokratie mit starken ökologischen Elementen und stellt damit die progressivste politische Kraft im Land dar. Während die SDP in ihrer Regierungszeit Austeritätspolitik durchsetzte, konkurrieren in der konservativen HDZ ein extrem rechter und ein eher moderater, der EU zugewandter Flügel, wodurch es ihr immer weniger gelingt, eindeutiger nationalistisch-autoritär orientierte Wählerinnen und Wähler zu integrieren.
Das lokale Bündnis aus Možemo, Zagreb je naš und anderen hat die absolute Mehrheit im Stadtparlament knapp verfehlt und wird nun mit der geschrumpften SDP kooperieren. Das erste Problem wird darin bestehen, die kommunalen Finanzströme gegen den Widerstand jener Kräfte offenzulegen, die bislang vom Bandić-Klientelismus profitiert haben. Die neu gewählten Abgeordneten planen diverse Prüfungen, um sich einen Überblick über die Haushaltslage und die Höhe der Schulden zu verschaffen sowie die Summen festzustellen, die aus öffentlichen Budgets an private Dienstleister flossen, womöglich zu überhöhten Preisen.
Auch hat sich die neue Regierung vorgenommen, den öffentlichen Nahverkehr zu fördern, Entscheidungsbefugnisse zu dezentralisieren und den öffentlichen Wohnungsbestand auszubauen, der derzeit nur knapp zwei Prozent der Wohnungen ausmacht. Ob es ihr darüber hinaus gelingt, den Status quo einer neoliberalen, konservativen Hegemonie auf nationaler Ebene herauszufordern, bleibt abzuwarten. Denkbar wäre auch eine weitere Polarisierung zwischen linken Kräften und den populistischen Nationalisten.