Der frauenfeindliche Influencer Andrew Tate sitzt in Rumänien in Haft

Neue Männerphantasien

Der Influencer und bekennende Frauenfeind Andrew Tate wurde in Rumänien wegen des Verdachts auf Menschenhandel und Vergewaltigung festgenommen. Die meisten sozialen Medien haben seine Accounts gesperrt, doch er hat im Internet noch immer eine weltweite Fangemeinde.
Networld Von

Die Behauptung, Männer und die Männlichkeit seien schwersten Angriffen ausgesetzt, gehört zu den beliebtesten Wahnideen konservativer und extremer Rechter, die damit ihre antifeministische und gegen die Rechte von LGBT-Personen gerichtete Politik rechtfertigen. Einer der bekanntesten Vertreter dieser These jedoch ist kein Politiker, sondern der britisch-amerika­nische Influencer Andrew Tate, dessen frauenfeindliche Videos millionenfach in den sozialen Medien geteilt werden.

Der ehemalige Kickboxer rückte zum ersten Mal 2016 ins Rampenlicht, als er in Großbritannien nach nur fünf Tagen als Teilnehmer der Reality-TV-Show »Big Brother« ausgeschlossen wurde, nachdem die Produzent:innen erfahren hatten, dass gegen ihn wegen des Verdachts der Vergewaltigung ermittelt wurde. Zwei Frauen, die für Tate als erotische Webcam-Models gearbeitet hatten, hatten ihn ein Jahr zuvor unter anderem wegen Vergewaltigung bei der Polizei angezeigt.

Seinen mit teuren Sportwagen und Villen inszenierten Lebensstil führte Tate auf seinen Kanälen in den sozialen Medien vor.

Das damalige Verfahren gegen Tate wurde später eingestellt; dennoch zog er es vor, Großbritannien zu verlassen und nach Rumänien zu ziehen, weil er in einem Land leben wollte, »in dem Korruption für jeden verfügbar ist«, wie er es ausdrückte. Von dort aus betrieb er weiter seine mehr oder minder dubiosen Geschäfte. Am 29. Dezember nahm die Polizei Tate zusammen mit seinem Bruder und zwei rumänischen Staatsbürgern in Bukarest fest. Ermittelt wird unter anderem wegen des Verdachts auf Menschenhandel und Vergewaltigung. Die vier Festgenommenen sollen eine kriminelle Vereinigung gegründet haben, deren Geschäft darin bestand, Frauen Interesse an einer Beziehung vorzutäuschen, um sie dann dazu zu bringen, als Webcam-Modelle zu arbeiten oder pornographisches Material für Internetplattformen wie Onlyfans zu produzieren.

Die zweite wichtige Einnahmequelle des »Top G«, wie seine Anhänger Tate nennen, firmierte unter dem Namen Hustler’s University. Tate versprach, jungen Männern über das Internet beizubringen, wie sie schnell und ohne ­einen konventionellen Beruf zu Geld kommen können, beispielsweise mit dem Handel von Kryptowährungen, als Freelancer oder im E-Commerce-Bereich. Vermarktet wurde das mit der recht unverhohlenen Verheißung, Tate werde seinen Fans zeigen, wie sie genauso reich und unabhängig leben und mit genauso vielen Frauen Sex haben könnten wie er. Seinen teuren Lebensstil, die Villen und Sportwagen, die die Mitglieder der Hustler’s University mit monatlichen Gebühren in Höhe von 49,99 US-Dollar mitfinanzierten, führte Tate auf seinen Kanälen in den sozialen Medien vor. Die zeitweilig über 100 000 zahlenden Mitglieder der »Universität« wurden ihrerseits mit Kommissionszahlungen dazu motiviert, neue Kunden zu rekrutieren und das Projekt in den sozialen Medien zu bewerben – wodurch das Ganze den Charakter eines Pyramidensystems annahm und Tate zu wachsender Berühmtheit gelangte.

Im vergangenen Sommer gingen große soziale Medien wie Tiktok und Youtube gegen diese aggressive Vermarktungsstrategie Tates vor und löschten viele seiner Videos. Daraufhin benannte er seine Unternehmung in »The Real World« um – »Die wirkliche Welt«. Den zahlenden Mitgliedern versprach er, Mitglieder einer männerbundartigen Gemeinschaft zu werden und ihnen den »Weg aus der Matrix« zu weisen. Das Bild des Gefangenseins in der »Marix« verwendet Tate nicht nur für das trübselige Schicksal angestellt arbeitender Menschen, denen er zeigen wolle, wie sie finanziell unabhängig werden könnten, sondern, wie viele Verschwörungstheoretiker, als allgemeine Metapher für eine angeblich von Medien, Politik und Feminist:innen manipulierte und unterdrückte Menschheit, der er – gegen Bezahlung natürlich – den Weg zur Befreiung weisen könne.

Tate hatte selbst einmal behauptet, dass er mit knapp der Hälfte der Frauen, die für ihn arbeiteten, zuvor eine Beziehung eingegangen war. Waren sie einmal in seinem Haus, würde er ihnen verbieten, es zu verlassen. »Nicht in Restaurants, nicht in Clubs, nichts.« Frauenverachtung gehörte nicht nur zu seinem Geschäftsmodell, sondern bildete auch den Kern seiner Botschaft an seine Fans. »Ich bin ein Realist, und wenn man Realist ist, ist man Sexist«, sagte er dem BBC zufolge in einem Youtube-Interview. Frauen, die er oft females, also Weibchen, nennt, seien »intrinsisch faul«, und »so etwas wie ein unabhängiges Weibchen gibt es nicht«. Tate vertrat die Ansicht, Frauen seien das »Eigentum« ihrer Ehe­männer, und sagte, er würde nicht mit Pilotinnen fliegen wollen, weil Frauen nicht einmal richtig Auto fahren könnten.

Äußerungen wie diese finden sich in zahlreichen, oft millionenfach verbreiteten Videos, die auch heute noch auf den verschiedensten Plattformen verfügbar sind. Zwar sind Tates Konten in allen relevanten sozialen Medien von Youtube bis Tiktok gesperrt worden, doch seine Anhänger laden sie immer wieder hoch. Auf Twitter ist sein ­Profil zudem kürzlich entsperrt worden, nachdem Elon Musk die Plattform ­erworben hatte.

Andrew Tate bezeichnet sich selbst als libertär und frönt einer Art Anarchokapitalismus, Armut stellt er als Ergebnis von Charakterschwäche dar. Er leugnet die Existenz des Covid-19-Virus und gab der irgendwo zwischen Verschwörungswahn und offenem Faschismus oszillierenden Internetsendung von Alex Jones, »Infowars«, ein Interview.

In den vergangenen Monaten wurden die Meldungen über Tate immer bizarrer. Zunächst verkündete er, nachdem er in seinen Videos mehrfach Männer, die keinen Alkohol trinken, her­abgewürdigt hatte, im Oktober seine Konversion zum Islam. Im November legte er sich mit der Klimaaktivistin Greta Thunberg an. Auf Twitter bat er sie um ihre ­E-Mail-Adresse, damit er ihr eine komplette Liste der enormen Emissionen seiner zahlreichen Sportwagen schicken könne. Thunberg antwortete, er könne ihr unter »small­dickenergy@getalife.com« schreiben. Ihr Tweet erreichte rund vier Millionen Likes und gilt damit als einer der erfolgreichsten Tweets aller Zeiten.

Mit Tates Festnahme einen Monat später war der Spaß jedoch vorbei. Am 20. Januar hat ein rumänisches Gericht seine Untersuchungshaft zum zweiten Mal um 30 Tage verlängert, Andrew Tate sitzt also weiter im Gefängnis. Tate hatte sein Geschäft mit Webcam-­Models, mit denen man kostenpflichtig chatten konnte, vor einem Jahr im britischen Sunday Mirror noch freimütig als »a total scam« (eine totale Ab­zockerei) bezeichnet. Dass er die für ihn und seine Geschäftspartner arbeitenden knapp bekleideten Models anhielt, leichtgläubigen Männern unter anderem mit erfundenen Geschichten über persönliche Notlagen Geld aus der ­Tasche zu ziehen, sei »deren Problem, nicht meins«, und die Polizei könne nichts dagegen machen.

Am Tag nach Tates Festnahme veröffentlichte der konservative Washington Examiner einen Kommentar des Journalisten Conn Carroll. In diesem hieß es, Carroll verstehe zwar, »warum viele Konservative mit Tate sympathisieren«, denn dieser sei schließlich von den ­sozialen Medien »gecancelt« worden, doch sei Andrew Tate »kein Held des konservativen Kulturkampfs«, sondern vielmehr »das, was geschieht, wenn der Feminismus gewinnt, die Ehe zerstört ist und die Welt in sexuelle Anarchie entgleitet«. In der Tat hat Tates Raubtier-Machismo wenig gemein mit konservativen family values. Doch es sind Misogynie und das Feindbild des Feminismus, die viele Rechtspopulisten, die sich noch als konservativ gerieren, mit faschistischen Rechten gemein haben – auch wenn honorige Lehnstuhlantifeministen wie Carroll ihre Ablehnung des Feminismus und der ­sexuellen Selbstbestimmung lieber etwas bürgerlicher verpacken.

Ohnehin geht die größte Gefahr nicht von Tate selbst aus, sondern von den Millionen von überwiegend jungen Männern, teilweise noch Kindern, die seiner Mischung aus Erfolgsethos und toxischer Männlichkeit Glauben schenken. Misogynie ist eine Einstiegs­droge für die extreme Rechte. Bei den Attentätern von Halle, Toronto und Christchurch waren Hass auf Frauen und Antifeminismus fester Teil ihres Weltbilds. Somit ist Andrew Tate zugleich Sym­ptom und Katalysator einer gesellschaftlichen Rechtsentwicklung, der den weiblichen Körper und das Recht der Männer, über diesen zu verfügen, als zentrales Schlachtfeld ausgemacht hat.