Russlands Neonazis foltern Terror­verdächtige

Ohren und Genitalien

Die des Terroranschlags auf eine Moskauer Konzerthalle verdächtigten Tadschiken wurden mit Spuren schwerer Misshandlungen vorgeführt. Russland scheint nicht mehr bemüht, die seit langem gängige Anwendung von Folter zu kaschieren.

Misshandlungen in Polizeigewahrsam und Folter stellen in Russland keine Randerscheinung dar, auch wenn die breite Öffentlichkeit selten davon Kenntnis erhält. Dabei existiert sogar auf staatlicher Ebene ein gewisses Pro­blembewusstsein, worauf zumindest theoretische Versuche hinweisen, der Ausübung physischer Gewalt durch Ordnungskräfte Einhalt zu gebieten. So gab es im Jahr 2022 eine Gesetzesverschärfung: Auf Amtsmissbrauch bei der Vernehmung Verdächtiger unter Anwendung von Folter steht seither eine Freiheitsstrafe bis zu 15 Jahren.

Handelt es sich bei den Betroffenen um mutmaßliche Terroristen, die zahlreiche Menschenleben auf dem Gewissen haben, gelten offenbar andere Regeln. Nach dem Anschlag am 22. März in der Moskauer Crocus City Hall, bei dem mindestens 143 Menschen getötet und über 500 verletzt wurden, war dies deutlich zu sehen. Beim Haftprüfungstermin von vier aus Tadschikistan stammenden Männern, die teilweise ihre Schuld eingestanden hatten, war keiner von ihnen körperlich unversehrt. Bei einem von ihnen muss sogar angezweifelt werden, dass er überhaupt bei vollem Bewusstsein war. Mittlerweile stellte sich heraus, dass sie bereits gegen Mitternacht in der Region Brjansk festgehalten worden waren, also viele Stunden bevor am späten Vormittag des Folgetags bekanntgegeben wurde, dass die in einem Auto geflüchteten mutmaßlichen Täter gefasst worden waren.

Derweil erhielten im Grenzgebiet zur Ukraine eingesetzte Soldaten, die sich bei der Festnahme dieser nach offiziellen Angaben Tatverdächtigen besonders hervorgetan haben, vom russischen Verteidigungsministerium eine Auszeichnung. Unter ihnen dürften sich auch Angehörige des Freiwilligencorps Rusitsch befunden haben. Jewgenij Rasskasow alias Topaz, ein ehemaliger Frontkämpfer der von russischen Nationalisten und Neonazis gebildeten Einheit, veröffentlichte auf seinem Telegram-Kanal ein Foto von einem Mann in Uniform mit einem für Neonazis typischen Abzeichen – einer sogenannten schwarzen Sonne oder auch Kolovrat, die doppelte (»slawische«) Swastika mit acht Haken. Rasskasow bezeichnete ihn als seinen Follower. Auf dem Bild hält er einem der Tadschiken ein Maschinengewehr an den Kopf. Außerdem hat Rasskasow ein blutiges Messer zur Versteigerung angeboten, bei dem es sich angeblich um die Tatwaffe handelt, mit dem einem anderen Tadschiken ein Ohr abgeschnitten wurde.

Da sich paramilitärische Formationen im Zuge des Kriegs gegen die Ukraine voll ausleben dürfen, war es nur eine Frage der Zeit, bis ihre brutalen Kampfpraktiken auch auf zivile Bereiche übergreifen.

Die blutige Szene des Ohrabschneidens ging als Videoaufnahme über etliche kriegstreiberische Telegram-Kanäle viral. Auch kursieren Fotos von den Körpern der Tadschiken, die auf Folterungen mit an Genitalien angeschlossenem Stromkabel schließen lassen. Die Ordnungsbehörden kommentierten dies nicht, nur die russische Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa nahm darauf Bezug, indem sie Folterungen von Tatverdächtigen als unzulässig kritisierte. Klare Worte fand auch die aus Tadschikistan stammende Sängerin Manizha. Auf Instagram schrieb sie von »öffentlicher Folter«, was ihr prompt eine Denunziation bei den Behörden einbrachte und mit einem Strafverfahren wegen »Rechtfertigung von Terrorismus« enden könnte. Ermittlungen sind bereits angelaufen. Als Vertreterin Russlands war sie bei dem Songwettbewerb Eurovision 2021 mit ihrem Hit »Russian Woman« über weibliche Emanzipation auf Platz neun gelandet.

Da sich paramilitärische Formationen wie Rusitsch im Zuge des Ukraine-Kriegs voll ausleben dürfen, war es nur eine Frage der Zeit, bis ihre brutalen Kampfpraktiken auch auf zivile Bereiche übergreifen. Der Rusitsch-Anführer Aleksej Miltschakow, der mit seinen rechtsextremen Ansichten nie hinter dem Berg hielt, sieht in dem Kriegseinsatz nur eine logische Fortsetzung seiner Aktivitäten in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg. Dort war er unter anderem als Tierquäler und als Mitglied der verbotenen Neonazi-Organisation Slawischer Bund bekannt. Rusitsch mit geschätzt bis zu mehreren Hundert Mitgliedern war mit der Söldnergruppe Wagner affiliiert, was Miltschakow neben Kämpfen im Donbass ab 2014 wohl auch einen Einsatz in Syrien ermöglicht hatte.

Bei einer Zollkontrolle in Helsinki vor einem Flug nach Nizza im Juli 2023 erfolgte die Festnahme von Woislaw Torden mit Decknamen Slawjan, der ursprünglich Jan Petrowskij hieß, eines weiteren Rusitsch-Kommandeurs. Die russischen Behörden reagierten zunächst mit Zurückhaltung, woraufhin Rusitsch plötzlich bis auf weiteres seine Dienstleistungen an der Front verweigerte. Wegen Verdachts auf Beteiligung an Kriegsverbrechen auf ukrainischem Gebiet in den Jahren 2014 und 2015 stellte die Ukraine einen Auslieferungsantrag, im Dezember sprach sich das Oberste Gericht in Finnland jedoch gegen eine Überstellung in die Ukraine aus. Torden befindet sich seither in Untersuchungshaft und muss sich vermutlich vor einem finnischen Gericht verantworten.

Rusitsch betreibt derweil Hetze gegen tadschikische Migranten, Aufrufe zu rassistischen Übergriffen gab es auch von anderen Neonazi-Gruppierungen. Einen Todesfall im Zusammenhang mit dem Anschlag meldete das kremlkritische Medienportal Agentstwo unter Bezugnahme auf den oppositionellen tschetschenischen Telegram-Kanal 1ADAT. Als Tatverdächtigen habe die Polizei einen Mann aus Tschetschenien festgenommen und in Gewahrsam zu Tode gefoltert, entsprechende Spuren seien an der Leiche zu sehen. Über seine Festnahme habe der tschetschenische Kleinunternehmer seine Angehörigen noch telefonisch informieren können, dann sei der Kontakt abgebrochen.