Kämpfer mit Einsatzeifer

Der Prozeß gegen Kay Diesner geht seinem Ende entgegen. Während die Taten aufgeklärt sind, bleiben die Hintergründe im dunkeln

Drei Monate ist es nun her, daß der Prozeß gegen den Neonazi-Terroristen Kay Diesner vor dem Lübecker Landgericht begann, das Ende des Verfahrens zeichnet sich jetzt ab. Daß an diesem Ende ein Schuldspruch - voraussichtlich auch wegen Mordes - und eine langjährige Gefängnisstrafe stehen werden, daran zweifelt mittlerweile niemand mehr. Diesners Versuche, die Schüsse auf den Berliner Buchhändler Klaus Baltruschat und die Schleswig-Holsteiner Polizisten als Körperverletzung beziehungsweise Notwehr darzustellen, sind durch die Rekonstruktion der Tatverläufe und durch Aussagen von Zeugen und Sachverständigen wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Die Lübecker Kammer hat damit alles, was sie braucht. Nur ein Interesse an den organisatorischen Hintergründen der Tat besteht offensichtlich nicht.

Somit sind die verbleibenden Prozeßtage vorrangig dem Staatsanwalt Günter Möller und den Anwälten der Nebenklage in ihrem Bestreben, die Tathintergründe aufzuklären, überlassen. So hatten Möller und der Nebenklagevertreter Klaus Baltruschats, Ulrich Dost, für den 31. Oktober den Berliner Neonazi und langjährigen Freund Diesners, Andreas Tews, als Zeugen vorgeladen. Der 23jährige hatte für seinen Kumpanen Diesner den Kontakt zur neonazistischen "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene e.V." hergestellt, in dessen Briefkontaktliste Diesner bis heute steht. Tews räumte vor dem Lübecker Gericht nicht nur ein, daß er nach den Schüssen auf Baltruschat mit Diesner telefoniert hatte, sondern sagt auch aus, daß er in Diesners Wohnung eine Anti-Antifa-Liste gesehen habe. Die Liste, auf der vor allem Zivilpolizisten erfaßt waren, war später auch von der Polizei gefunden worden.

Daß Diesner in der Anti-Antifa aktiv war, für die sich offensichtlich auch Tews engagiert, bestätigt ein Artikel von Berliner Neonazis in dem Neonaziblättchen Freie Stimme, dessen Verlesung das Lübecker Gericht untersagte. Das Antifaschistische Info-Blatt zitierte den Artikel bereits in seiner September-Ausgabe: "Für die 'Anti-Antifa'-Berlin war er in der Aufklärung tätig, indem er z.B. in Zeckenläden einschlägige Literatur beschaffte oder sich um Feindadressen bemühte." Der Artikel macht auch Diesners Bemühungen, sich als Einzelgänger und unorganisierter Rechter darzustellen, zunichte: "In seinem Arbeits- und Einsatzeifer war er überall dabei, wo Männer und Kämpfer benötigt wurden."

Tews' Auftritt vor Gericht wirft erneut Zweifel auf, ob Diesner bei seinen Taten wirklich so alleine gehandelt hat, wie er es immer darstellt. Dagegen spricht nicht nur das Telefonat mit Tews. Der 23jährige Tews sagte auch aus, daß er einen Abschiedsbrief, den Diesner angeblich bereits zwei Monate vor der Tat im Dezember 1996 verfaßt hatte, an dessen Mutter weitergab. Vehement widersprach er allerdings der Vorhaltung, er sei zumindest Mitwisser, wenn nicht gar Tatbeteiligter bei dem Attentat auf den Buchhändler Baltruschat gewesen. Ein anderer Zeuge hatte ausgesagt, daß nach den Schüssen im Berliner Bezirk Marzahn ein graues Auto japanischen Fabrikats vor dem Buchladen gewendet habe und in schnellem Tempo weggefahren wäre. Laut dem Nebenklagevertreter besaß die Mutter von Tews einen grauen Mitsubishi Colt.

Selbst wenn Diesner ohne Unterstützung seiner Gesinnungsgenossen gehandelt haben sollte, so steht doch fest, daß seine Taten in der Szene nicht auf Ablehnung stoßen und genau in das krude Weltbild der Rechtsextremen passen. Lediglich der Zeitpunkt wird in der Szene teilweise als falsch gewählt bezeichnet. Angesichts der Tatsache, daß es zahlreiche weitere Nazis gibt, die an Waffen ausgebildet wurden und den gleichen Ideen wie Diesner anhängen, scheint es lediglich eine Frage der Zeit, bis weitere Anschläge folgen. Wie dem auch sei: Ohne entsprechende Bereitschaft des Lübecker Gerichts wird es der Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern wohl nicht gelingen, Diesners Tathintergründe wirklich aufzuklären und über Mechanismen aufzuklären, die militärisch und ideologisch ausgebildete Neonazis zu Terroristen werden lassen.

Zu verdanken ist dies nicht zuletzt den Staatsschützern der Berliner Polizei, deren Ermittlungen große Lücken aufweisen, die Staatsanwalt und Nebenkläger mit ihren Recherchen wohl kaum werden füllen können. Den Berliner Ermittlern war es - wie sie mittlerweile zugeben müssen - nicht gelungen, Diesner als Täter von Marzahn auszumachen, obwohl er in unmittelbarer Nähe des Tatortes wohnte und der Polizei als gewalttätiger Neonazi mit Hang zum Terrorismus bekannt war. Als Polemik hat Diesner hat damit ungewollt die Aussagen von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) enttarnt, aktive AntifaschistInnen seien in Berlin überflüssig, die Polizei habe alles im Griff und es gebe in Berlin keinen rechten Terrorismus.