ALF mit Napalm im Gepäck

Animal Liberation: Der geheime Krieg für Tierrechte

Drei Uhr morgens in Christchurch, Neuseeland: Zwei vermummte Menschen haben das Ziel, ein Jagdwaffengeschäft, ins Visier genommen. Die Aktivisten der Animal Liberation Front (ALF) sind mit Sekundenkleber, Zwille und Sprühdose bewaffnet. Zwei Sekunden später sind die Türen verklebt, das Fensterglas eingeschlagen und die Anschlags-Erklärung "ALF" mittels Sprühdose hinterlassen. Die Alarmanlage singt ihr denunziatorisches Lied, und innerhalb weniger Minuten wimmelt es im Zentrum von Christchurch nur so von Sicherheitskräften: Die beiden Täter gehen ins Netz. Der neuseeländische Geheimdienst hatte die ALF seit langem überwacht: "Die ALF ist sehr gefährlich, weil diese Menschen von ihren Prinzipen völlig überzeugt sind."

Nicht nur in Neuseeland sind die Tierrechtler aktiv. "Es ist immer einfach, Gründe zu nennen, warum wir nicht erfolgreich sein können. Aber ohne den Glauben, daß man erfolgreich sein kann, ist es wesentlich schwieriger, unsere Ziele zu verwirklichen, sogar unmöglich", schrieb Barry Horne von seiner Gefängniszelle im englischen Bristol am 29. August dieses Jahres. Horne, der sich zu diesem Zeitpunkt im Hungerstreik befand, hatte schon über ein Jahr in Untersuchungshaft gesessen wegen Brandanschlägen auf Einkaufszentren in Bristol und auf der Isle of Wight: Die Sachschäden betrugen umgerechnet acht Millionen Mark. Mit seinem Hungerstreik protestierte er dagegen, daß solche Aktionen vor Gericht nicht als politische, sondern als kriminelle Taten behandelt werden. Nach sechs Wochen beendete Horne seinen Hungerstreik, nachdem die britische Regierung versprochen hatte, Gespräche mit militanten Tierrechtlern aufzunehmen. Am 13. November wurde der 45jährige wegen Brandstiftung für schuldig erklärt: Das Urteil wird für den 5. Dezember erwartet.

Drei Tage nach dem Prozeß kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Tierrechtlern vor einer Farm, in der Katzen für Vivisektionen gezüchtet werden. Acht Demonstranten wurden festgenommen. In den letzten zehn Jahren mußten in Großbritannien mehr als 150 militante Tierschützer hinter Gitter. Der britische Geheimdienst MI-5 bespitzelt seit Jahren die Tierrechtsbewegung.

Am selben Tag, an dem Horne schuldig gesprochen wurde, wurden fünf norwegische Aktivisten in Bergen wegen eines Brandanschlags auf einen Schlachthof festgenommen: Alle waren führende Mitglieder der einzigen norwegischen Tierrechtsgruppe NOAH - Für Tierrechte. Die Staatsmacht versucht seit diesem Anschlag mit Hilfe der Medien und durch Informanten, die Tierrechtsbewegung in Norwegen zu kriminalisieren und dadurch zu zerschlagen.

Schon zwei Tage davor, am 11. November, wurden die Bodenventile des Walfangschiffes "Morild" in Br¿nn¿ysund von unbekannten Tierrechtlern geöffnet. Das Schiff versank binnen weniger Minuten. Die "Morild" gehörte dem norwegischen Abgeordneten Steinar Bastesen, ehemaliger Präsident der Norwegischen Walfängergesellschaft und bekanntester Walfänger Norwegens. Das 1986 von der Internationalen Walfangkommission verhängte Fangverbot wurde 1993 in Norwegen trotz internationaler Proteste aufgehoben. Seitdem arbeiten viele Anti-Walfanggruppen, darunter US-amerikanische Gruppen, innerhalb und außerhalb norwegischer Gewässer. Paul Watson von der "Sea Shepherd", 1992 für seine Teilnahme bei der Versenkung des Walfangschiffes "Nybr3/4na" verurteilt, drohte nach dem Anschlag auf die "Morild" im norwegischen Fernsehen: "Es wird mit höchster Wahrscheinlichkeit in nächster Zeit weitere Anschläge auf Walfangschiffe geben." Bereits am 30. Oktober scheiterte eine Gruppe namens Agenda 21 bei dem Versuch, die Bodenventile des Walfangschiffes "Elin-Toril" zu öffnen.

Die Regierung in Oslo beobachtet sorgenvoll die stetig steigende Zahl von militanten Anschlägen. Auch Finnland und Schweden haben in den letzten Jahren eine gewaltige Zunahme von militanten Angriffen auf Forschungslabore, Schlachthöfe und Pelztier-Farmen erlebt: Im September dieses Jahres wurden beispielsweise sechs von siebzehn dieser Farmen in Finnland gleichzeitig angegriffen und sämtliche Tiere befreit. Brandanschläge auf Schlachthöfe, Tiertransporter und Forschungslabore, in denen Vivisektion praktiziert wird, sind längst an der Tagesordnung.

In den USA ist ein regelrechter Guerillakrieg ausgebrochen: Am 21. Juli dieses Jahres stürmte ein Kommando der ALF einen Pferdeschlachthof in Redmond, Oregon. Das Kommando war mit Sprengsätzen und 150 Litern "Vegan Gelatine" - also Napalm - bewaffnet: Der Schlachthof brannte völlig aus. Nach Zahlen des US-amerikanischen Justizministeriums hat ALF allein 1993 über 300 Anschläge begangen. Der Sachschaden betrug insgesamt umgerechnet 200 Millionen Mark. 1987 waren es nur 19 Anschläge, in diesem Jahr dagegen gab es bisher durchschnittlich einen Anschlag pro Tag. Im Februar, nach einem Anschlag auf einen Schlachthof in Kalifornien, meinten die flüchtigen Täter: "Das war nur der Anfang, der Krieg hat begonnen."

Einen Krieg gegen militante Umweltschützer und Tierrechtler in den USA gab es aber schon vor dieser Erklärung. Allein in den westlichen Staaten der USA wurden im vergangenen Jahr über 50 Umweltschützer und Tierrechtler, sogenannte Greenies, durch Androhung von Gewalt, Vergewaltigung und Tod eingeschüchtert: Tendenz steigend. Viele rechte Demagogen versuchen, die ländliche Bevölkerung gegen Umweltgruppen und Tierrechtler aufzustacheln. Rechte Gruppen wie Wise Use (Kluge Benutzung) oder Property Rights Alliance (Allianz für Eigentumsrechte) halten Umweltgruppen und Tierrechtler für ideale Sündenböcke. Allen Gottlieb, der Spendengelder für dieses "Anti-Umwelt-Bündnis" organisiert, bestätigt: "Die Umweltschützer sind für uns der perfekte Buhman." In den letzten fünf Jahren haben viele Rechte das Schimpfwort "Commie" (Kommunist) einfach durch "Greenie" ersetzt. In den kleinen Gemeinden der Weststaaten und immer öfter auch im US-amerikanischen Kongreß werden die Greenies als die neueste und gefährlichste Bedrohung für "God, country and the american way" betrachtet. Aber wie der Tierschützer Rodney Coronado, der zur Zeit in einer US-amerikanischen Haftanstalt sitzt, sagt: "Wir alle sind Subcomandante Marcos, Crazy Horse und ALF. Niemals sollten wir vergessen, daß Opfer gebracht werden müssen, um den Frieden und die Freiheit zu gewinnen".