Julklapp

Obwohl die Sekretärin des Chefs vor Arbeit nicht aus den Augen gucken kann, wie sie immer klagt, hat sie jetzt wieder eine Einladung an den ganzen Betrieb auf dem Computer komponiert, mit Weihnachtsbäumen und Nikoläusen und Engeln drauf. In diesem Jahr soll ein Julklapp veranstaltet werden. Ach, du liebe Zeit! Ich überlege jetzt, ob ich behaupten soll, daß ich Buddhistin bin, praktizierende Buddhistin. Ist es wirklich wahr, daß der Buddhismus seinen Anhängern verbietet, irgendwelches Zeugs in Geschenkpapier zu wickeln und Aua-Aua-Gedichte zu schreiben? Allerdings besitze ich eine Auswahl höchst scheußlicher Dinge, die unbedingt mal unter die Leute gebracht werden müßten. Nämlich ein Gemälde, auf dem vorne abgestorbene Bäume zu sehen sind und hinten ein Atomkraftwerk. Mein Schwager nahm wohl damals an, daß ich es ins Wohnzimmer hängen würde, weil ich so "engagiert" war. Dann kann ich mir ja gleich Fotos von verhungerten Kindern an die Küchenwand nageln. Ein Julklapp kann aber auch gelingen! Gerne denke ich an jenen Tag zurück, als ich vor hundert Jahren, damals noch Lehrerin an einer Gewerbeschule, einen Julklapp mit meiner Sonderklasse veranstaltete. Fünf Jungs und ein Mädchen aus einem Hamburger Prolo-Ghetto. Die nannten sich immer gegenseitig und geschlechtsunabhängig "Alder-du-schdinks-ja". "Alder-du-schdinks-ja, Tom-ma-te schreibt man mit zwei Emm!" An sich verstanden wir uns gut, auch wenn ihre Scherze manchmal etwas rauh ausfielen: beispielsweise forderten sie mich eines Tages auf, mich an die Tür zu stellen. "Warum?" "Jeder, der sich anner Tür stellt, kricht was aufer Fresse. Hahaha."

Haha. Ja. Lustig, wenn man sowas gut findet. Ich sage ja immer, daß Humor doch schichtenspezifisch ist. Meistens hatte ich sie aber sehr lieb, weil sie den Kollegen Herrn W. fast in den Wahnsinn trieben, indem sie ihn jeden Tag aufs neue ausfragten, was denn die Farben auf seinem Schlips zu bedeuten hätten. Die Farben waren schwarz-rot-gold. Herr W. war auch als ehrenamtlicher Ordner auf der Dönitz-Beerdigung zugange gewesen. Meine Ansage für den Julklapp war deutlich: Auf keinen Fall dürfte das Geschenk mehr als fünf Mark kosten. Wunderbarerweise hielten sie sich daran: eine Schachtel Marlboro und ein Feuerzeug. Und zwar für jeden. Alle waren hochzufrieden und fanden es eine gelungene Feier. Und das war es ja irgendwie auch.