Provinzkaff mit Stadion

In Mönchengladbach ist man glücklich über den Klassenerhalt und den Kölner Abstieg

"Werden Sie mal groß in einer Stadt wie Mönchengladbach. Keine Ecken, keine Kanten, außer denen an den Waschbetonblumenkübeln der Fußgängerzone. (...) Existentielle Erfahrungen macht man hier nur rund um den Ball. Was Wut ist, lernt man im Bökelbergstadion, wo piekfein gekleidete Geschäftsleute den Trainer mit Frikadellen bewerfen." So beschrieb die Zeit die Stadt, in der Fußball viel mehr Bedeutung hat als andernorts. Mönchengladbach ist nur aus einem einzigen Grund einen Punkt auf der Landkarte wert: Fußball! Bzw.: Die Borussia.

Die typische Gladbacher Fußball-Sozialisation begann vor zwei Jahrzehnten so: Im Alter von acht Jahren wurde man zum ersten Mal vom Vater mitgenommen, der stolz vorführen wollte, wie elf junge Männer aus Mönchengladbach und Umgebung fast dem gesamten Rest der Welt zeigten, wie man erfolgreich und schön Fußball spielte.

Günter Netzer mit seinen wehenden langen Haaren wurde zum Symbol eines revolutionären Fußballers, im Gegensatz zum arroganten, kapitalistischen Pack des FC Bayern München mit seiner kaiserlichen Diva Franz Beckenbauer.

Natürlich paßte Günter Netzer so gar nicht in das Provinz-Kaff. Netzer war ein Exot. Er fuhr mit dem Ferrari beim Training vor, während Berti Vogts damals noch ganz im Stil der Stadt mit einem zweitaktmotorbetriebenen Mofa zum Platz tuckerte. Aber war man deshalb auf den Mann mit Schuhgröße 52 neidisch? Nein. Er hatte am 26. Juni 1965 - mit links - das Tor geschossen, das 1:1 gegen Wormatia Worms, das den Aufstieg bedeutete. Er war es auch, der sich im legendären Pokalfinale gegen die Intimfeinde vom 1. FC Köln, nachdem er sich wegen seines anstehenden Wechsels zu Real Madrid mit Trainergott Hennes Weisweiler überworfen hatte, selbst einwechselte, den Ball nahm und ins Tor hämmerte. Dafür gebührte ihm einfach ein Ferrari und ein Denkmal.

Fußball ist in Mönchengladbach nie nur Fußball, sondern Weltanschauung, Religion, Ideologie - ein Fakt, den die lokale Politik in seiner Radikalität jedoch nie einzusehen bereit war. Seit nunmehr 25 Jahren wartet man dort auf den Fußballdom, der es ermöglichen soll, wieder im europäischen Fußballgeschäft mitzupielen.

Aber dann war Mönchengladbach plötzlich vom Abstieg bedroht. Gründe wurden in der Stadt viele diskutiert, da wurde der Neid der anderen Spieler auf den Großverdiener Stefan Effenberg genannt, das viel zu wenig Zuschauer fassende Stadion, die Stadtväter, die den dringend nötigen Stadionausbau 25 Jahre lang verschleppt hatten, die Arroganz der Vereinsangestellten gegenüber kritischen Fans und Journalisten und die Mannschaft, die a): entweder nicht kapiert hatte, worum es ging, und sich einfach nicht anstrengen wollte, oder b): wirklich nicht besser Fußball spielen konnte.

So wurde die Borussia schon vor dem letzten Spieltag nicht nur außerhalb Mönchengladbachs als sicherer Absteiger gehandelt. Die Stimmung in der Stadt war resignativ. Mönchengladbach blieb am 9. Mai 1998 zu Hause und hörte Radio. Anscheinend ohne große Hoffnungen, aber nach dem Schlußpfiff erwies sich, daß viele wohl doch vorgesorgt hatten. An Straßenecken kam es zu spontanen Partys mit viel Bier und Sekt, ein Autocorso fuhr laut hupend durch die Stadt, und plötzlich schien es sogar möglich, daß man Effenberg noch vor dem Wechsel nach Bayern bewahren könnte. Besonders schön machte den Gladbacher Jubel natürlich das Ergebnis des 1. FC Köln.

Dort hatte man bis zuletzt nicht an den Abstieg geglaubt - "et hätt noch immer jot jejangen", zitierte man ein beliebtes örtliches Sprichwort und glaubte an ein Wunder. Ob man in Köln wirklich angenommen hatte, daß ausgerechnet der Gegner Leverkusen den FC gewinnen lassen würde? Die Feindschaft zwischen den Anhängern beider Vereine ist ebenso alt und gewachsen wie heftig. Mit dem Bayer-Management hat es sich der FC spätestens im letzten Jahr gründ-ich verdorben, als man mit einem 4:0-Sieg alle Leverkusener Chancen auf den Meistertitel verdarb.

Das schrie nach Kölner Rache. Vor zwei Wochen überfielen FC-Hools eine Kneipe ihrer Bayer-Kollegen, nach dem letzten Spieltag wollte man dann endgültig miteinander abrechnen. Die Kölner Polizei nahm das ernst und griff zum ersten Mal zum Mittel der vorsorglichen Ein-Tages-Inhaftierungen. Dabei mußten außer FC-"Rädelsführern" auch Unbeteiligte dran glauben .