»Wir sind bestraft worden«

Bundestrainer Hans-Hubert Vogts und Bundskanzler Helumt Kohl erklären, wie wieder einmal alles gegen Deutschland war, sogar der Ball. Ein ARD-Interviw nach der Niederlage Kroatien

Waldemar Hartmann: Ich muß ganz ehrlich sagen, ich hatte schon dankbarere Aufgaben in meinem Journalistenleben, aber Sie haben es selbst gesagt, eine Weltmeisterschaft ist kein Wunschkonzert. Ich habe es mir auch nicht aussuchen können, jetzt frage ich Sie einfach mal, nach einer Viertelstunde, über Ihr Fazit dieses heutigen Spiels?

Hans-Hubert Vogts: Ich muß mich zuerst einmal bei meiner Mannschaft bedanken, daß sie alles versucht hat, alles Menschenmögliche unternommen hat, um vielleicht noch nach dem 0:1 wieder zurückzukommen. Wir wollten nach Paris. Wir sind brutal bestraft worden - von wem auch immer. Dazu möchte ich hier keine Stellung abgeben. Ansonsten glaube ich, wie die Mannschaft sich hier verkauft hat, wie sie alles gegeben hat, und das war okay, ja.

Ich denke, zu dem, wozu Sie keine, äääh, Stellung nehmen wollen, müssen wir trotzdem kommen. Denn wir zeigen jetzt - und das war ja der Knackpunkt dieses Spiels, bis dahin hatte die deutsche Mannschaft ein Drittel mehr Ballbesitz, es gibt Statistiken hier, es ging die, ja, die Welle durch das Stadion, es war sicher das beste Spiel der Mannschaft hier bei dieser Weltmeisterschaft - und dann kam die rote Karte.

(Einblendung des Fouls von Christian Wörns.)

Das war nicht weit weg von Ihnen, etwa zehn Meter von der Trainerbank. Ich geb' auch eine Vorlage: Wir haben es uns auch dreimal angeschaut, so wie die Schiedsrichter bei dieser Weltmeisterschaft bisher gehandelt haben, war sie wohl vertretbar.

Naja, wenn er letzter Mann gewesen wäre, dann ja. Aber man hat in verschiedenen Situationen gesehen, daß man ... ich unterstelle hier nichts, deswegen möchte ich mich auch nicht weiter zu diesem Schiedsrichter äußern. Bis zu dem Zeitpunkt haben wir das beste Spiel abgeliefert, und danach, wie gesagt - ich möchte mich nicht hier wiederholen -, haben wir alles versucht. Aber jetzt weiter auf gewisse Dinge hinzuweisen, ist sinnlos. Wir fahren nach Hause und, wie gesagt, es war das beste Spiel bis zu dem Platzverweis, was wir geleistet haben. Die Mannschaft ist sehr, sehr enttäuscht. Vor allen Dingen: Es wäre nett mal gewesen, eine Kamera in unsere Kabine zu installieren, aber, äääh, Kroatien ist weiter, und wir müssen nach Hause - warum auch immer. Das haben andere Leute zu verantworten.

Wir hätten nichts dagegen gehabt, eine Kamera aufzustellen, aber das dürfen wir nicht, das wissen Sie auch. Wir wollen aber jetzt ganz einfach procedure as every year machen, die Szenen noch einmal durchschauen. Das 1:0 für die kroatische Mannschaft, das dann im Prinzip kurz danach dann gleich gefallen ist. Hätte da Jörg Heinrich ruhig ein bißchen aggressiver angreifen können?

Nein, der mußte erstmal den Innenraum zumachen, wir hatten uns noch nicht richtig gefunden. Er deckt innen ab, er staffelt sich gut und das war natürlich auch zu einem sehr unglücklichen Zeitpunkt. Uns fehlt natürlich jetzt der Innenverteidiger und deshalb mußte Jörg nach innen. Da kann man ihm wirklich keine Schuld geben.

Kann man sagen, daß die deutsche Mannschaft heute das als Pech hatte, was bei dem einen, anderen Spiel man auch als Glück bezeichnen konnte?

Nein, das kann man nicht. Ich glaube, daß wir in den anderen Spielen nicht glücklich gewonnen haben. Im Gegenteil. Ich glaube, daß heute die Mannschaft ihr wahres Gesicht gezeigt hat, obwohl wir verloren haben. Und ich werde auch morgen zur Mannschaft sagen, daß ich wirklich mich bedanke, für das Engagement, das sie heute gezeigt haben, sondern was sie auch seit dem 18. Mai geleistet hat, für Deutschland, für unsere Fans, und wir haben es leider nicht geschafft. Und wenn es Schuldige geben sollte, die sollte man nicht bei den Spielern suchen.

Werden Sie denn deutlicher werden, wenn diese WM vorbei ist? Ich kann's ja sagen, Sie meinen natürlich den Schiedsrichter, Sie meinen natürlich die technische Kommission, die neue Regeln kurz vor dieser WM eingeführt hat, die alle verunsichert haben. Werden Sie sich irgendwann auch öffentlich oder innerhalb des DFB und dann an die Fifa äußern?

Ich glaube, das ist Sache des DFB. Ich bin nicht der DFB, ich bin Trainer der deutschen Nationalmannschaft. Ich suche auch nicht die Schuld bei einem Schiedsrichter. Nur, wenn man alle Spieler gesehen hat, muß man schon die eine oder andere Schiedsrichterentscheidung noch einmal sich vor Augen halten. Das war schon in England so, vielleicht ist der deutsche Fußball zu erfolgreich, das weiß ich nicht, aber es waren schon seltsame Entscheidungen, die da von einigen Herren getroffen worden sind. Ob es da eine Anordnung gab, das weiß ich nicht.

Ich entscheide mal, daß wir die 2:0 und die 3:0-Tore aus Paris dann auch noch einmal zuspielen lassen. Ich will Sie nicht leiden lassen.

Nein, nein, ich möchte sie schon sehen, denn das 3:0 ist ein klares Handspiel - auch das wollte man nicht sehen.

Okay, dann schauen wir uns das an.

(Einblendung des zweiten kroatischen Treffers.)

Tja, das passiert dann so.

Das ist ja klar. Alle in der Vorwärtsbewegung, und hier ist man in der Überzahl, und es ist unhaltbar und hat ja ganz geschickt diesen Raum, der hier zur Verfügung stand, auch ausgenutzt.

Sie haben vorher vor den Kroaten gewarnt, haben damals schon in England gesagt, wenn die nicht so unbeherrscht gewesen wären, dann wäre es möglicherweise auch anders ausgegangen, das Spiel schon bei der Europameisterschaft. Daß die Fußball spielen können, hat jeder gewußt. Wollen wir uns das 3:0 anschauen.

(Einblendung des dritten kroatischen Treffers.)

Nimmt den Ball klar mit der Hand mit. Also, da brauchen wir keine Linienrichter mehr beim Fußball. Aber das interessiert nicht, das zweite oder das dritte Tor. Ausschlaggebend war halt der Platzverweis. Christian Wörns hat eine tolle WM gespielt, er war einer unserer Besten. Und daß ihm so etwas passiert - hoffentlich verkraftet er es sehr sehr schnell. Hier muß man auch als Trainer jetzt helfen.

Er ist einer derjenigen, der in der neuen deutschen Nationalmannschaft sicher spielen wird. Einige verabschieden sich, Jürgen Klinsmann, Jürgen Kohler. Wie gehen Sie das an, ganz schnell, mit einem harten Schnitt?

Ich möchte jetzt hier nicht eine halbe Stunde nach dem Spiel aus den Emotionen eine voreilige Entscheidung treffen.

Entschuldigung, ist da auch eine persönliche Entscheidung mit dabei?

Natürlich. Ich werde in aller Ruhe über einiges nachdenken, und natürlich muß eine neue deutsche Nationalmannschaft aufgebaut werden. Allerdings müssen wir dementsprechend auch die Spieler haben, und wenn man sagt, hier unsere Mannschaft ist zu alt, dann muß man nachfragen: Wo sind die jungen Spieler? Wo läßt man unserer Jugend eine Chance? Wo läßt man unseren Talenten eine Chance? Und das sind Fragen, mit denen muß ich persönlich zuerst einmal klarkommen, und ich bin nicht immer der Buhmann oder der Müllhaufen der deutschen Nation.

Sind das persönliche Forderungen oder Bedingungen in einem Gespräch mit Egidius Braun, das Sie ohnehin schon angekündigt haben, um ans Weitermachen bei dieser Nationalmannschaft überhaupt zu denken?

Ich kann und werde keinerlei Forderungen stellen. Ich möchte nur, daß man auch im Jahr 2000 eine gut funktionierende Nationalmannschaft hat und Forderungen stellen, als Angestellter des DFB, das kann ich nicht.

Aber fürs Weitermachen kann man Bedingungen stellen, wenn man in einer Firma arbeitet.

Das hat jetzt nichts mit Bedingungen stellen zu tun, man sollte sehr, sehr gut analysieren, warum und weshalb gewisse Dinge nicht so funktionieren. Das liegt nicht in meinen Händen, dafür sind andere Ausschüsse tätig.

Der Bundeskanzler war auch bei diesem Spiel, eigentlich als positives Maskottchen, die Mannschaft hat bei den letzten Spielen, wenn er da war, nie verloren. Wir haben ihn vor der Kamera gehabt, ich denke, Benno Neumüller hat ihn die richtigen Sachen gefragt.

(Einblendung Benno Neumüller und Helmut Kohl.)

Kohl: Ich habe Ihnen gesagt, es war aus meiner Sicht das beste Spiel, das die deutsche Mannschaft in dem ganzen Turnier geliefert hat. Es war deutlich spürbar. Die erste Halbzeit war über weite Passagen ein phantastisches Spiel. Die Sache mit dem rausgestellten Mann hat erhebliche Wirkung gehabt, dann das Tor und dann das zweite Tor - Sepp Herberger hat gesagt, der Ball ist rund, und das haben wir jetzt heute wieder in einer dramatischen Weise gegen uns erlebt. Die Mannschaft hat eine gute Visitenkarte während des Turniers in Deutschland, äääh, in Frankreich abgegeben, aber wir haben verloren. Und die Kroaten, das muß man sagen, haben mit gewaltigem Aufwand auch an Esprit und an Spielkunst vor allem in der zweiten Halbzeit mit dem ganzen Ehrgeiz eines Landes, das in einer schwierigen Lage lebt, auch politisch sehr schwierigen Lage lebt, es auch einmal der Welt zu zeigen, daß man da ist, daß man wer ist, das ist sehr respektvoll.

Neumüller: Ihre geradezu persönliche freundschaftliche Beziehung zu Berti Vogts ist ja gekennzeichnet durch die Zeit der Weltmeisterschaft 1994 in den USA. Haben Sie bei Berti gestanden und ihm Beistand gezollt, haben Sie ihn jetzt gesprochen?

Kohl: Ja, natürlich. Aber nicht über das, was Sie jetzt andeuten, sondern über den Ablauf des Turniers und daß wir jetzt rausgeflogen sind. Und daß ich noch einmal sage, das ist eben der Verlauf eines Fußballturniers, hätten wir - hätten, hätten - in den ersten 20 Minuten das eine Tor, das ja in der Luft lag, machen können, hätten wir den Mann nicht verloren und mit zehn weiterspielen müssen. Das war schon eine gravierende Situation gegen eine solche Mannschaft, die voller Energiebündel steckt. Das ist ja nicht eine Mannschaft, die auf leisen Sohlen - Kroatien - spielt, sondern mit vollem Push, und mit vollem Power, das war schon ziemlich bedenklich in den Minuten. Ich habe geglaubt, bis das zweite Tor gefallen ist, man kann es wenden, aber es ist passiert. Das Leben geht weiter, wir sind alle traurig, Millionen in Deutschland sind traurig, aber das ist das Risiko eines solchen Turniers. Ich finde, wir sollten vor allem auch der Mannschaft und dem Trainer ein herzliches Dankeschön sagen für das, was sie versucht haben zu leisten und was sie geleistet haben.

Hartmann: Das war also der Bundeskanzler mit tröstenden Worten, die, meine ich, auch gepaßt haben. Gibt es jetzt schon Pläne, bleiben Sie in Frankreich, oder gehen Sie in Urlaub? Denken Sie nach?

Vogts: Das weiß ich nicht. Ob ich nach Amerika fliege oder vielleicht in Frankreich bleibe oder in den Schwarzwald gehe, das muß ich in aller Ruhe mit meiner Familie besprechen.

Hartmann: Ich mach' schon ein paar Jahre jetzt Nationalmannschaft - ich hoffe, Sie machen es auch noch ein paar Jahre, dann macht es mir auch noch Spaß, obwohl wir vor dieser Kamera ab und zu auch schon verschiedener Meinung waren, aber das ist der legitime Platz eines Journalisten. Bedanke mich herzlich, und, der Bundeskanzler hat es schon gesagt, das Leben geht weiter.